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Lena Stehr

Im Einsatz für die Demokratie

Polizeidirektion Lüneburg und Gedenkstätte Lager Sandbostel schließen Kooperationsvereinbarung.

Sandbostel. Demokratiefeindlichen und rassistischen Einflüssen aktiv entgegenzuwirken ist das Kernziel der jetzt besiegelten Zusammenarbeit der Polizeidirektion Lüneburg und der Stiftung Lager Sandbostel.

Mehr als 200 Mitglieder der Polizeidirektion Lüneburg sowie weitere Gäste aus der Politik, darunter auch Innenministerin Daniela Behrens, waren am Montagnachmittag dabei, als Polizeipräsident Thomas Ring und Henning Müller, stellvertretender Vorsitzender der Stiftung Lager Sandbostel, unter dem Titel „Die Vergangenheit im Blick - Die Zukunft vor Augen“ eine Kooperationsvereinbarung unterzeichneten. Im Rahmen der Vereinbarung sollen Angehörige der Polizeidirektion Lüneburg künftig spezielle historisch-pädagogische Aus- und Fortbildungen in der Gedenkstätte erhalten. Darüber hinaus sollen gemeinsame Veranstaltungen und Forschungsprojekte entwickelt und durchgeführt werden.

Das Projekt stelle den Beginn einer neuen Phase der berufsgruppenspezifischen Bildungsarbeit dar, so Gedenkstättenleiter Andreas Ehresmann. Unter anderem durch die Thematisierung des polizeilichen Arbeitsalltags im NS-Staat sollten die Teilnehmenden ermutigt werden, ihren Arbeitsalltag heute zu reflektieren und als Kontrast in die Diskussion einzubringen.

 

Beunruhigender Zwischenbericht der „Megavo“-Studie

 

Dass offenbar Handlungsbedarf besteht, legt der kürzlich veröffentlichte Zwischenbericht der „Megavo“-Studie der Deutschen Hochschule der Polizei nahe, die sich mit der „Motivation, Einstellung und Gewalt im Polizeialltag“ beschäftigt. Demnach seien bei fast 30 Prozent der befragten Polizistinnen und Polizisten Tendenzen sichtbar, Asylsuchende abzuwerten. Knapp zehn Prozent lassen in ihren Antworten Muslimfeindlichkeit erkennen. Fast jeder Fünfte unterstützt chauvinistische Einstellungen oder äußert sich nicht eindeutig ablehnend. Ein Drittel notierte diskriminierende, ausgrenzende oder rassistische Aussagen innerhalb der Polizei. 15 Prozent der Befragten stimmten zudem voll oder eher dem Satz zu, dass Demokratie „eher zu faulen Kompromissen“ führe.

 

„Vorfälle in Hessen haben uns wachgerüttelt“

 

„Die Vorfälle in Hessen haben uns wachgerüttelt“, erklärte Polizeipräsident Ring am Rande der Veranstaltung gegenüber dem Anzeiger und spielte damit auf die im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu den „NSU 2.0“-Drohschreiben 2018 aufgedeckte Chatgruppe „Idiotentreff“ an, in der unter anderem fünf Polizisten des 1. Polizeireviers Frankfurt rechtsextreme und rassistische Inhalte ausgetauscht hatten.

Bei der jetzt geschlossenen Kooperation mit der Gedenkstätte handele es sich jedoch um keine direkte Reaktion auf Gewalt- und Rassismusvorwürfe gegen Polizeiangehörige, teilt die Pressestelle der Polizeidirektion Lüneburg mit. Innerhalb der Polizeidirektion sei es im vergangenen Jahr zu keinem Vorwurf rassistischer Tendenz gekommen, weder intern noch extern.

Während der NS-Zeit habe sich die Polizei allzu willig vom Regime einbinden lassen und sei zu einem ausführenden Organ von Unrecht und Terror geworden, so Thomas Ring. Man dürfe nicht vergessen, was sich insbesondere auch in der Gedenkstätte Lager Sandbostel abgespielt habe und wie tausende Inhaftierte hier unter den Gewalttaten der Wachmannschaft gelitten und schließlich auch ihr Leben verloren hätten.

Die von der Polizeiinspektion Rotenburg initiierte Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte stehe nicht nur für den Beginn eines Austausches, sondern vor allem für die Reflexion, die Verinnerlichung und das Leben der demokratischen Werte, für die die Polizei auch in Zukunft als Garantin eintrete.

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es politischen Außenseitern immer mehr gelinge, durch Polemik und Hass Profit aus der von Krisen geprägten Situation zu schlagen, liege es in der Verantwortung der Polizei, demokratische Werte zu verteidigen und sich aktiv gegen Demokratiefeindlichkeit einzusetzen, so der Polizeipräsident.

 

Sich erinnern und Verantwortung übernehmen

 

Konsequenzen aus der Vergangenheit könnten aber nur gezogen werden, wenn man sich auch an die Geschichte erinnere, betonte Innenministerin Daniela Behrens. Sie zeigte sich besorgt, dass viele junge Leute inzwischen mit dem Begriff Holocaust nichts mehr anfangen könnten. Umso wichtiger seien authentische Lernorte wie die Gedenkstätte Lager Sandbostel.

„Wir müssen mit Hilfe von historischem Wissen erkennen, wohin wir uns nicht mehr entwickeln wollen und unseren Teil der geschichtlichen Verantwortung übernehmen“, so das Fazit von Dr. Dirk Götting, Leiter der Forschungsstelle für Polizei und Demokratiegeschichte, der einen Vortrag zur Rolle der Polizei im Nationalsozialismus hielt. Mit erschreckendem Ausmaß und Engagement seien Polizisten an der Shoah, also der Massenvernichtung der Juden, beteiligt gewesen, so Götting.

 

Der Bordell-Skandal von Sandbostel

 

Als überlebender Zeitzeuge und Schlüsselfigur in der Geschichte der Gedenkstätte Lager Sandbostel berichtete Ivar Buterfas-Frankenthal am Ende der Veranstaltung nicht nur von den Schrecken der Nazi-Herrschaft, sondern auch von seinen positiven Erfahrungen mit der Polizei im Zuge der Gedenkstättengründung in Sandbostel. Der 1933 in Hamburg geborene Sohn eines Juden und einer Deutschen aus Hamburg stand nämlich zeitweise unter Polizeischutz, weil er antisemitisch beschimpft wurde und Morddrohungen erhalten hatte, nachdem 2004 die Debatte um eine Gedenkstätte in Sandbostel öffentlich ausgetragen wurde. „Wie die Verantwortlichen damals mit dem Lagergelände umgingen und es zuließen, dass sich hier Gewerbebetriebe, ein Reiterhof und sogar ein Bordell ansiedelten, ist skandalös“, so Buterfas-Frankenthal. Er sei in Sandbostel damals nicht willkommen gewesen, viele hätten die Gedenkstätte nicht gewollt. Erst nachdem das Land Niedersachsen seinerzeit zwei Moderatoren eingesetzt hatte, die in zahlreichen Gesprächen zwischen den Akteuren zu vermitteln versuchten, konnte Ende 2004 die Stiftung Lager Sandbostel gegründet werden. „Was hier daraufhin entstanden ist, ist beispiellos und hat weltweite Bedeutung“, so Ivar Buterfas-Frankenthal.

Für die beiden Polizisten, die damals sein Leben beschützten, hatte er jeweils ein Exemplar seiner Autobiografie „Von ganz, ganz unten“ im Gepäck, die er gemeinsam mit seiner Frau Dagmar im vergangenen Jahr veröffentlicht hat.


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