Fahrt ins Ungewisse
Die Diskussion über die Zukunft großer Verkehrsprojekte im Norden ist derzeit unübersichtlich. Während zunächst von einem Stopp mehrerer Autobahnvorhaben im Elbe-Weser-Dreieck die Rede war, mehren sich inzwischen die Hinweise, dass die Finanzierung doch gesichert werden soll.
Die Nachricht war ein kleiner Schock für alle, die auf einen baldigen Baubeginn der A20 zwischen Bremervörde und Elm gehofft hatten: Das geplante Teilstück der Küstenautobahn tauchte auf einer Liste von Bauprojekten auf, für die laut Bundesverkehrsministerium die Finanzierung nicht gesichert sei. Nach Angaben aus Berlin könnten deshalb keine Baufreigaben erteilt werden. In einem Zeitungsinterview forderte CDU-Verkehrsminister Patrick Schnieder mehr Mittel für den Neu- und Ausbau von Autobahnen. Nach seinen Angaben fehlten im Zeitraum von 2026 bis 2029 rund 15 Milliarden Euro.
Kritik aus der Region
„Wenn es tatsächlich so kommt wie befürchtet, wäre das für die Region verheerend“, warnte Rotenburgs Landrat Marco Prietz (CDU) gegenüber der Bremervörder Zeitung. Er machte die hohen Sozialausgaben im Bundeshaushalt verantwortlich. „Das ist die Folge davon, dass der Bund im regulären Haushalt fast 200 Milliarden Euro im Jahr für Soziales ausgibt und keine 40 Milliarden für Verkehrsinfrastruktur“, so Prietz. Ohne grundlegende Reformen drohe ein Investitionsstau zulasten künftiger Generationen.
Auch die örtliche Bundestagsabgeordnete Vanessa Zobel (CDU) fand deutliche Worte - unter anderem an Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) gerichtet. „Die Haushalts-Neuigkeit aus dem Finanzministerium hat auch mich kalt erwischt“, sagte sie. Statt ländliche Räume zu fördern, würden baureife Projekte auf Eis gelegt. „Das ist doch keinem Bürger zu vermitteln. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wir als Union werden das so nicht akzeptieren.“
Alarmiert reagierte zudem die Wirtschaft. „Wie kann man ein Sondervermögen Infrastruktur beschließen – und dann scheitern Autobahnprojekte am Geld? Das ist die Quadratur des Kreises“, sagte Alexander Anders, Geschäftsführer der IHK Nord. Jahrelang habe man auf Planfeststellungen gewartet, nun lägen sie vor – und plötzlich fehlten die Mittel. Das Sondervermögen sei eigens geschaffen worden, um Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit zu sichern.
Kanzler und Vizekanzler signalisieren Kurswechsel
In diese verfahrene Situation schalteten sich wenige Tage später Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Vizekanzler Lars Klingbeil ein. Nach Informationen des NDR haben sich beide darauf verständigt, die Finanzierung planfestgestellter Autobahnprojekte sicherzustellen - mit Geld aus dem Sondervermögen, das der alte Bundestag kurz vor dem Regierungswechsel noch beschlossen hatte. Es sei den Menschen nicht zu vermitteln, wenn sich der Staat mit einem Sondervermögen für die Infrastruktur in dreistelliger Milliardenhöhe verschulde und dann baureife Autobahnprojekte nicht umgesetzt würden, soll Merz in einer Sitzung der Unionsfraktion gesagt haben.
In Norddeutschland beträfe dies Vorhaben in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
Wie die Finanzierung konkret erfolgen soll, blieb zunächst offen. Im Gespräch seien Umschichtungen im Bundeshaushalt 2026 oder die Beteiligung privater Investoren. Das Finanzministerium bestätigte Gespräche parallel zu den Haushaltsberatungen, betonte aber, dass die Priorisierung der Projekte Aufgabe des Verkehrsministers sei.
Detlef Bade, Präsident der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, äußerte sich erleichtert über die Signale aus Berlin. „Die Entscheidung des Bundes, die Finanzierung der baureifen Autobahnprojekte A20, A26 und A39 sicherzustellen, ist ein wichtiges Signal für Norddeutschland“, sagt er. Bade mahnt Tempo für die Straßenbauprojekte an: „Wir müssen jetzt endlich vom langjährigen Planen zum Bauen kommen. Der Bau dieser Autobahnen bedeutet für unsere Region nicht nur bessere Anbindungen, sondern auch eine Stärkung des Wirtschaftsstandorts insgesamt.“
Widerspruch von Initiative
Ganz anders reagieren die Projektgegner. „Endlich hat die Vernunft gesiegt – die A20 war ein fossiles Dinosaurierprojekt – teuer, klimaschädlich und völlig aus der Zeit gefallen“, erklärte Uwe Schmidt, Sprecher der Bürgerinitiativen gegen die Küstenautobahn. Schmidt kritisiert außerdem die Aussagen des Bundeskanzlers: Bei der A20 habe nur Abschnitt 1 in Niedersachsen einen rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss. „Alle weiteren 17 Abschnitte der so genannten Küstenautobahn sind entweder noch gar nicht im Verfahren oder Planfeststellungsbeschlüsse liegen noch nicht vor, sind nicht vollziehbar oder werden beklagt.“ Trotz ungeklärter Finanzierung mache Merz Versprechungen: „Dadurch wird die Bevölkerung in die Irre geführt“, so Schmidt. Er sieht auch wenig Chancen, private Gelder für die Straßenprojekte zu gewinnen: „Bei dem extrem schlechten Nutzen-Kosten-Verhältnis wird sich kein privater Investor finden. Das wird bereits seit 20 Jahren versucht und hat bisher nicht geklappt – nicht einmal beim geplanten Elbtunnel, bei dem private Mauteinnahmen gelockt hätten.“
Die Initiativen warnen zudem vor den Folgen der staatlichen Finanzierung. „Wir kritisieren aufs Schärfste die geplante Verschuldung auf Kosten nachfolgender Generationen für ein Projekt mit großem Schaden für nachfolgende Generationen“, prangert Schmidt an. Generationengerecht wäre aus seiner Sicht vielmehr „ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuermitteln mit Investitionen in eine zukunftsfähige Verkehrswende, die jetzt endlich weiter forciert werden müsste“.
Die Bremervörder Grünen stimmen in die Kritik ein. Sie bezeichnen den Bau als „verkehrspolitischen Irrweg aus dem letzten Jahrhundert“ und befürchten „erhebliche Umweltschäden durch die Zerstörung von örtlichen Mooren und Geestlandschaften“. Die Argumente der Wirtschaftslobby wollen sie ebenfalls nicht gelten lassen: „Nur in geringer Weise würden die deutschen Häfen vom Bau profitieren, eher profitieren die Häfen Rotterdam und Antwerpen, die die per Schiff dort angelieferten Waren schnell per LKW nach Osteuropa und Skandinavien transportieren können“, heißt es in einer Mitteilung.
Freigeistin auf Tour
Für pflegende Angehörige

Erste Töne wagen
