

Niedersachsen. Die finanzielle Belastung für Pflegebedürftige in Niedersachsen hat einen neuen Höchststand erreicht. Wie der Verband der Ersatzkassen (vdek) am 22. Juli mitteilte, zahlen Heimbewohner im ersten Jahr durchschnittlich 2.785 Euro monatlich aus eigener Tasche – 257 Euro mehr als im Vorjahr. Laut einer parallel veröffentlichten Stellungnahme der Diakonie in Niedersachsen liegt der Eigenanteil sogar schon bei 3.035 Euro und damit erstmals über der psychologisch bedeutsamen 3.000-Euro-Marke.
Zum Vergleich: Die durchschnittliche monatliche Rente in Niedersachsen beträgt laut Diakonie 1.800 Euro für Männer und 1.333 Euro für Frauen. Die Differenz ist offensichtlich und erschreckend. Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie, kommentiert: „Ich bin der Meinung, dass es nicht sein kann, dass Pflege in einem Sozialstaat immer mehr zur Armutsfalle wird.“
Steigende Kosten durch Personal, Energie und Investitionen
Haupttreiber für die Preisexplosion seien laut vdek steigende Löhne in der Pflegebranche sowie höhere Lebenshaltungskosten – insbesondere für Lebensmittel. Hinzu kommt: Investitionskosten für Gebäude und Ausstattung, die eigentlich von der öffentlichen Hand getragen werden sollten, wälzt das Land Niedersachsen weiterhin auf die Bewohner ab. Allein dieser Posten macht im Schnitt 547 Euro im Monat aus.
Der vdek fordert deshalb schnelle Entlastungsmaßnahmen auf Landesebene und verweist auf die Krankenhausfinanzierung: „Wie für die Krankenhäuser sollte Niedersachsen die Investitionskosten auch für Pflegeheime übernehmen“, erklärt Hanno Kummer, vdek-Leiter in Niedersachsen.
Doch auch auf Bundesebene sehen die Verbände dringenden Handlungsbedarf. Eine im Koalitionsvertrag angekündigte Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll bis Ende des Jahres Eckpunkte einer grundlegenden Pflegereform vorlegen. Aus Sicht der Diakonie ist eine Pflegevollversicherung mit begrenztem Eigenanteil unabdingbar – unabhängig von Wohnort oder Versorgungsform.
Die Diakonie fordert außerdem eine breitere Finanzierungsbasis. Künftig müssten auch Kapitalerträge und Mieteinnahmen in die Pflegeversicherung einbezogen werden. „Ansonsten wird die Pflege für Pflegebedürftige unbezahlbar“, warnt Lenke.
Widerstand gegen Leistungsabbau
Besorgniserregend ist aus Sicht der niedersächsischen Wohlfahrtsverbände nicht nur die Entwicklung der Eigenanteile, sondern auch die politische Debatte um mögliche Kürzungen. Vorschläge, die auf eine weitere Belastung Pflegebedürftiger oder eine Reduzierung der Leistungen hinauslaufen, lehnt die Diakonie strikt ab. „Wir befürchten, dass dadurch eine pflegerische Unterversorgung miteinhergeht“, heißt es in der Stellungnahme.
Der Handlungsdruck ist äußerst groß. Denn was für viele heute noch statistisch klingt, ist für nicht wenige Menschen bereits knallharte Realität: Wer auf stationäre Pflege angewiesen ist, rutscht trotz jahrzehntelanger Erwerbsarbeit zunehmend in die Sozialhilfe.
Eigenanteile in Bremervörde deutlich über Landesdurchschnitt
Wie stark die finanzielle Belastung vor Ort ausfallen kann, zeigt ein Blick ins Charleston Seniorendomizil Haus am Park in Bremervörde. Dort liegt der monatliche Eigenanteil für gesetzlich Versicherte – je nach Pflegegrad und Zimmerart – zwischen rund 3.264 und 3.836 Euro. Bei privat Versicherten betragen die Kosten bis zu 5.439 Euro monatlich. „Durch jährliche Pflegesatzverhandlungen steigen die Eigenanteile in jedem Jahr an. Zudem kommt hinzu, dass auch die Investitionskosten angepasst werden müssen. Dies hat bei uns im vergangenen Jahr eine starke Erhöhung ausgemacht“, erklärt Einrichtungsleiterin Sandra Idem.
Als Hauptursachen nennt Idem die gestiegenen Tariflöhne, höhere Lebensmittel- und Energiekosten sowie zunehmende Ausgaben für Wartung und Instandhaltung durch steigende Handwerkerpreise. Um Pflege künftig bezahlbarer zu machen, fordert sie neben einer Deckelung der Eigenanteile auch „schnellere und einfachere Sozialhilfeanträge. Wir warten teilweise sechs bis zwölf Monate auf die Übernahme von Heimkosten.“ Ebenso sei es nicht nachvollziehbar, warum die Bewohner die Ausbildungskosten mitfinanzieren müssten: „Die Übernahme der Ausbildungskosten durch das Land wäre dringend geboten.“
Kostenanstieg auch im Landkreis Osterholz
Auch im Landkreis Osterholz liegen die Eigenanteile inzwischen deutlich über dem Rentenniveau vieler Pflegebedürftiger. „Der durchschnittliche monatliche Eigenanteil für Bewohner im Landkreis Osterholz liegt aktuell bei 2.987,55 Euro“, teilte Sabine Schäfer, Pressesprecherin der Kreisverwaltung, auf Anfrage mit. Im Vergleich zum Dezember 2024 sei dies ein Anstieg um rund 200 Euro. In dieser Durchschnittsberechnung ist die Einrichtung Haus am Barkhof-Phase F nicht berücksichtigt – eine auf außerklinische Intensivpflege spezialisierte Einrichtung, deren Kostenstruktur nochmals höher ausfallen dürfte.
Als zentrale Kostentreiber nennt Schäfer die wachsenden Personalkosten in der Pflege, die allgemeine Inflation, gestiegene Lebensmittelpreise sowie deutlich erhöhte Energiekosten. Diese Faktoren wirkten sich auch im ländlich geprägten Landkreis Osterholz deutlich aus.