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Patrick Viol

Die Steine auf der Baustelle der Menschheit

Lilienthal.Wofür steht eine moderne konservative Partei in einer komplexen Welt und wie kann sie sowohl Mitglieder befriedigen als auch Wähler:innen abholen? Darüber hat Patrick Viol mit dem Lilienthaler Bürgermeister Kristian Tangermann gesprochen

Braun, Merz, Röttgen - die Kandidaten für die einmalige Mitgliederwahl des Parteivorsitzes der Union im Januar stehen fest. Doch die Frage bleibt - wofür steht eine moderne konservative Partei in einer komplexen Welt und wie kann sie sowohl Mitglieder befriedigen als auch Wähler:innen abholen?
 

Bürgerlich-konservativ - was heißt das heute eigentlich, Herr Tangermann?
 
Konservativ heißt, das Feuer weiter zu tragen, nicht die Asche. Es geht nicht darum zu sagen, früher war alles besser. Damit wird niemandem geholfen. Das ist zudem eine pessimistische Grundeinstellung zum Leben.
 
Und konkret heißt konservativ dann?
 
Es heißt, verlässlich zu sein, Verbindlichkeit mit sich zu bringen und lösungsorientiert, pragmatisch, jedoch aufgrund von gewissen Grundwerten, Politik zu machen. Dabei geht es um die Frage: Wie organisiere ich den Staat so, dass jeder Einzelne, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, seiner Religion oder Biografie möglichst gut leben kann. Dabei hat der Einzelne aber auch Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen. Jeder muss seinen Teil zu einem guten Zusammenleben beitragen.
 
Das hätte auch ein Sozialdemokrat sagen können.
 
Nun, als die großen Volksparteien haben wir unweigerlich Schnittmengen.
 
Dennoch würde ein Sozialdemokrat nicht sagen, er betreibe konservativ Politik. Aber vielleicht wird es klarer, wenn Sie einmal die Grundwerte benennen, die sie angesprochen haben?
 
Christliches Menschenbild und Nächstenliebe. Thomas Hobbes formulierte einst: Der Mensch ist des Menschen Wolf - und das ist bedauerlicherweise so. Der Mensch ist nicht an sich gut, sondern der Mensch ist auch schlecht. Und das christliche Menschenbild, auf das sich die Union beruft, geht ja davon aus, dass der Mensch Gerechter und Sünder in einem ist. Deswegen gibt es Recht und damit einhergehende Spielregeln. Und die sind am Ende von der Frage her zu gestalten: Übernimmt man Verantwortung für den anderen. Sonst zählt nur der Stärkere. Das ist, was christlich-konservative Politik im Kern ausmacht. Das fängt in der Familie, als Keimzelle der Gesellschaft, an. Auch wenn die heute ausdifferenzierter ist.
 
Ebenso wie Lebensentwürfe und politische Herausforderungen.
 
Richtig, deshalb ist aber auch ein einfaches Schwarz/Weiß-Denken in der Politik nicht mehr ratsam. War es im Grunde nie. In einer wesentlich immer schneller komplexer werdenden Welt ist die Aufgabe von Politik bzw. einer Volkspartei - so wie ich sie verstehe - nicht nur, Partikularinteressen zu vertreten, sondern einen Interessensausgleich zu formulieren und Lösungsansätze anzubieten, die für möglichst viele Menschen tauglich sind. Das heißt letztlich, sich vor dem Hintergrund der Frage, welche Verantwortung die Menschheit hat, für mehr Kompromissbereitschaft einzusetzen. Dazu muss man übrigens nicht in der Kirche sein.
 
Aber glauben Sie, dass die CDU-Basis das auch so sieht? Wenn man bedenkt, dass sich hier die meisten Friedrich Merz an die Spitze der Union wünschen, der weniger für Kompromiss als für klare Kante bekannt ist und auch gern mal schmollt, wenn ihm etwas nicht passt, könnte man denken, die Mitglieder wünschen sich von der Union mehr Bremskraft, um den Wandel der sich immer schneller vervielfältigende Gesellschaft zu verlangsamen und mehr Orientierung zu schaffen?
 
Das glaube ich nicht. Und da komme ich zum Anfang zurück. Es muss um das Feuer gehen, das weitergetragen wird. So kann es nicht darum gehen, geschäftliche Entwicklungsprozesse auszubremsen. Wir müssen die Herausforderung leisten, die Menschen bei den Prozessen mitzunehmen. Dazu müssen sie aber miteinander und nicht übereinander reden. Das ist auch der wesentliche Knackpunkt, den wir als CDU hier vor Ort in Angriff nehmen.
 
Zusammengefasst: Eine moderne konservative Politik bzw. Partei ist stets bemüht, den Spagat zu bewerkstelligen, einerseits gesellschaftliche Entwicklung voranzutreiben und andrerseits den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu befördern. Dabei geht von ihr sowohl die Aufforderung an den Einzelnen aus, Verantwortung für andere zu übernehmen, während die Partei sich dafür einsetzt, jedem Einzelnen die Möglichkeit zu verschaffen, sein Leben ohne Angst vor Zudringlichkeiten wie Rassismus oder Homophobie einerseits und sozialem Abstieg andrerseits bestreiten zu können.
 
Ganz genau.
 
Und inwiefern wollen sie es bewerkstelligen, dass die Menschen mehr miteinander und weniger übereinander reden?
 
Indem wir persönliche Begegnungen organisieren, Möglichkeiten schaffen, um miteinander über die wichtigen Themen in Gespräche zu kommen. Menschen beteiligen. Dabei geht es auch darum, dass aus den Parteien heraus die Aufgabe wahrgenommen wird, den Menschen auch größere Zusammenhänge zu erklären. Denn Politik hat im Prozess der Individualisierung die Aufgabe die Klammer aufzuzeigen, die uns zusammenhält. Sie muss aufzeigen, wo wir gemeinsame Interessen haben können. Da wo unterschiedliche Menschen z. B. zusammen Fußball spielen, finden sie auch Kompromisse. Das ist schwer, wenn sie sich nicht kennen. Und weil wir das vor Ort im Landkreis ermöglichen, sind wir hier nach wie vor gut aufgestellt.
 
Im Gegensatz zur Bundesebene.
 
Mit der Kreisvorsitzendenkonferenz samt Ergebnis wurde aber ein guter Anfang dafür gemacht, die Reihen in der Union wieder zu schließen. Bei der Findung des neuen Parteivorsitzes im Januar sollte es dann darum gehen, festzustellen, was einer gut kann, und nicht permanent darum, was jemand nicht kann. Und nach der Abstimmung sollte dann auch das Ergebnis von allen getragen werden. Das ist uns in letzter Zeit ja nicht gelungen. Dann können wir uns auch wieder um Politik kümmern und aufhören, uns mit uns selber zu beschäftigen. Das ist nicht unsere eigentliche Aufgabe.
 
Was sind denn ihre Aufgaben vor Ort in den nächsten Monaten?
 
Da liegt einiges an. Zum einen haben wir die Pandemie noch nicht hinter uns. Sie verschlimmert sich gerade, was in der Behörde viel Extraaufwand erzeugt. Zum anderen wird es eine große Herausforderung sein, für die nächsten Jahre die Kinderbetreuung besser zu organisieren.
Das heißt aber auch, nicht nur Gebäude zu finden, sondern seitens der Gemeinde auch Personal, das für die Verwaltung der Betreuungseinrichtungen zuständig ist. Das Personal im Rathaus ist derzeit teilweise am Limit. Da schafft im Übrigen eine Digitalisierung der Behörde, die wir verfolgen, allein keine Abhilfe. Da wir ja zugleich das analoge Angebot für Menschen aufrechterhalten müssen, die nicht alles mit dem Smartphone oder PC erledigen können.
 
Und wie sieht es mit Projekten zum Klimaschutz in der Gemeinde aus?
 
Wir wollen z. B. an Projekte wie die Nachhaltigkeitswochen anknüpfen. Aber es kann bei diesem Thema nicht nur um die Erwartungshaltung gehen: Die Gemeinde macht. Das ist zu wenig. Jeder Einzelne ist gefordert, sich einzubringen. Auch wenn da verhältnismäßig kleine Bausteine zusammenkommen – die gehören zur großen Baustelle dazu. Ohne die werden wir das als Menschheit nicht hinbekommen.
 Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
 
Das Interview mit Vanessa Kim Zobel lesen Sie hier


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