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Matthias Spekker

Der Versuch, Geschichte zu machen

Bremen. Die Zerschlagung der Bremer Räterepublik jährt sich am 4. Februar zum 102. Mal. Sie steht exemplarisch für den gewaltsamen Bruch innerhalb der Arbeiterbewegung und wirft die Frage nach den Gründungsbedingungen der Demokratie in Deutschland auf.

Infolge des Aufstands der Kieler Matrosen im November 1918 eroberten revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte überall im deutschen Reichsgebiet die politische Macht. Sie forderten nicht nur das sofortige Ende des Krieges und die Abdankung Kaiser Wilhelms II., sondern wollten eine sozialistische Republik errichten. So auch in Bremen. Am 6. November meuterten die Matrosen, Soldaten besetzten die Neustädter Garnison und es kam zu Massendemonstrationen von Arbeiter:innen. Ein 30-köpfiger Soldatenrat wurde eingesetzt, in den Bremer Betrieben wurden 180 Vertreter in den Arbeiterrat gewählt. Ein gemeinsamer Aktionsausschuss sollte die Regierungsgeschäfte übernehmen. Bürgerschaft und Senat wurden eine Woche später abgesetzt. Weil die Revolutionäre jedoch einsehen mussten, dass ihnen die nötige bürokratische Erfahrung fehlte, ließen sie den Senat als Verwaltungsorgan bestehen. Dass sie weiterhin auf das Bürgertum und die Strukturen der alten Ordnung angewiesen waren, war das eine Problem. Das andere war der interne Konflikt mit der Mehrheits-SPD (MSPD), die bereits kurz vor Kriegsende vom Kanzler Prinz Max von Baden an der Reichsregierung beteiligt wurde.
 
Die Bremer Linksradikalen
 
Anders als im übrigen Reich stellte in Bremen der reformistische Flügel der SPD um Friedrich Ebert de facto die Minderheit. Bereits vor dem 1. Weltkrieg dominierten in der Partei die „Bremer Linksradikalen“. Die zielten nicht nur auf ein Ende der Monarchie und bessere Lebensbedingungen für die Arbeiter:innen im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Sie verlangten deren revolutionäre Abschaffung mittels Massenstreiks, Enteignung und Entwaffnung von Militär und Polizei. Ende November 1918 benannten sie sich in Internationale Kommunisten Deutschlands (IKD) um und gründeten mit dem Spartakusbund am 30. Dezember in Berlin die KPD. Die Linksradikalen und die Unabhängigen Sozialdemokrat:innen (USPD), die sich wegen der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 und der „Burgfriedenspolitik“ von der Reichs-SPD abgespalten hatten, waren die treibenden Kräfte der Revolution in Bremen. Dennoch sahen sie sich gezwungen, die erfahreneren Funktionäre der MSPD insbesondere an den Unterausschüssen zu beteiligen, obwohl die MSPD von vornherein Gegnerin des Rätesystems war.
 
Allgemeine Wahlen
 
In Berlin bildete die MSPD mit der USPD den „Rat der Volksbeauftragen“ als provisorische Reichsregierung. Den Reichskanzler stellte Parteivorsitzender Ebert, der die Revolution so schnell wie möglich wieder beenden wollte. Bislang hatte er lediglich eine parlamentarische Monarchie angestrebt. Vorrangiges Ziel der Regierung war die Vorbereitung der ersten allgemeinen Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung, an denen zudem erstmals auch Frauen teilnehmen durften. Auch der Reichsrätekongress, die zentrale Versammlung aller deutschen Arbeiter- und Soldatenräte, sprach sich Mitte Dezember mit fast 90-prozentiger Mehrheit für allgemeine Wahlen am 19. Januar 1919 aus. Beschloss er damit im Grunde seine eigene Auflösung, hatten die Revolutionäre in Bremen indes anderes vor.
 
Die Macht in den Räten
 
Für die Bremer Linksradikalen, aber auch für Teile der USPD, waren die Räte die geeignetste Form der Selbstregierung des Proletariats und der Umwälzung der kapitalistischen Ordnung. Bremen war seit zehn Jahren das Zentrum der Debatten um einen antizentralistischen, antiautoritären Rätekommunismus, der auch in der Bremer Arbeiterschaft großen Zuspruch fand (eine Hochburg war die „AG Weser“-Werft in Gröpelingen). Allgemeine Wahlen, an denen auch das Bürgertum teilnehmen würde, lehnten Linksradikale und USPD dagegen konsequent ab, auch den Beschluss des Reichsrätekongresses erkannten sie nicht an. Der Konflikt mit der MSPD war also vorprogrammiert. Er entlud sich schließlich in den Auseinandersetzungen um das Reglement für die Neuwahlen des Arbeiter- und Soldatenrates. Die Linksradikalen wollten das Wahlrecht nur Mitgliedern ihrer Partei IKD (ab Jahreswechsel KPD) und der USPD zugestehen. Die USPD konnte dagegen durchsetzen, auch die mehrheitssozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsmitglieder zuzulassen. Die MSPD jedoch, die sich für ein allgemeines Wahlrecht ausgesprochen hatte, hinterging diesen Beschluss, indem sie sich im Vorfeld zur Wahl am 6. Januar 1919 für Masseneintritte insbesondere auch bürgerlicher Kräfte öffnete. So gewann sie schließlich fast die Hälfte aller Mandate für den Arbeiterrat. Zusammen mit den 30 Mitgliedern des politisch gemäßigteren Soldatenrates hätte sie die Räte als Revolutionsorgane entmachten können. Das wollten IKD/KPD und USPD unbedingt verhindern - durch die Bewaffnung der Arbeiter.
 
Die sozialistische Republik
 
Der Soldatenrat hatte diese Forderung der Linksradikalen lange Zeit abgelehnt. Als sich jedoch die Rückkehr des Infanterie-Regiments Nr. 75 der Preußischen Armee ankündigte, gab er der Forderung schließlich statt. Zur Enttäuschung des Bremer Bürgertums, das sich vom Regiment die Zerschlagung der Räte erhofft hatte, gelang es den Revolutionären, das Regiment bei seiner Ankunft Neujahr 1919 zu entwaffnen. Um der MSPD zuvorzukommen und zugleich den Spartakusaufstand, der am 5. Januar in Berlin ausgebrochen war, zu unterstützen, zog am 10. Januar eine bewaffnete Massendemonstration zum Bremer Marktplatz, setzte Bürgerschaft und Senat endgültig ab und schloss die Vertreter der MSPD aus dem Arbeiterrat aus. Der neugegründete Bremer Rat der Volksbeauftragten ließ bekanntmachen: „Bremen ist eine selbständige sozialistische Republik!
 
Der Spartakusaufstand
Die am 10. Januar 1919 ausgerufene Bremer Räterepublik stand von Beginn an auf verlorenem Posten. Die Aufständischen hofften, nach dem am 5. Januar in Berlin ausgebrochenen Spartakusaufstand ein zweites Signal für weitere Erhebungen zu setzen. So sollte der längst beschlossene Kompromiss mit dem Bürgertum und den alten Eliten, den die parlamentarische Demokratie für sie darstellte, verhindert werden.
Dem Aufstand in Berlin vorangegangen waren Ende Dezember 1918 der Schießbefehl Eberts gegen die mit der Geiselnahme des Stadtkommandanten ihre Lohnauszahlung erzwingende Volksmarinedivision, der darauf folgende Austritt der USPD aus der Regierung und schließlich die Absetzung des Polizeipräsidenten Eichhorn (USPD). Die Anhänger von USPD und KPD warfen der MSPD vor, die Revolution zu ersticken. Sie gingen zu Hunderttausenden auf die Straße, es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Gustav Noske (MSPD), Volksbeauftragter für Heer und Marine, ließ den Aufstand am 12. Januar u.a. von rechtsradikalen Freikorps niederschlagen. Am 15. Januar wurden mit seiner Zustimmung die KPD-Vorsitzenden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet.
 
Das Exempel
 
Derweil drehten die Banken der nun isolierten Räteregierung in Bremen den Geldhahn zu und machten weitere Kredite u.a. von demokratischen Wahlen zu einer Bremischen Volksvertretung abhängig. Zuvor war es bereits zu schweren Konflikten im Arbeiter- und Soldatenrat gekommen, weil die USPD vom Beschluss, die Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar zu verbieten, zurückgetreten war. Doch nun musste sich die Räteregierung auch den Banken beugen, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Indem sie für Anfang März allgemeine Wahlen zu einem bremischen Parlament beschloss, die dem Konzept der Räte diametral widersprachen, stimmte sie faktisch für die eigene Auflösung.
Zur gleichen Zeit hatte Noske in Berlin bereits - auch nach wiederholtem Drängen von Bremer Kaufleuten - die Reichswehr mit der Auflösung der Bremer Räterepublik und der Entwaffnung der Arbeiter betraut. Ab dem 29. Januar sammelte sich die Division Gerstenberg in Verden. Es folgten Vermittlungsversuche durch die Arbeiter- und Soldatenräte anderer Städte und sogar die Bremer MSPD. Die Räteregierung bot am 2. Februar in einem Abkommen mit Vertretern der Division Gerstenberg schließlich ihren Rücktritt und eine geordnete Entwaffnung durch den Soldatenrat des IX. Armeekorps aus Hamburg an. Damit wäre das offizielle Ziel der Reichsregierung ohne Truppeneinmarsch erreicht gewesen. Doch Noske wollte ein Exempel statuieren und ließ am 4. Februar die Division Gerstenberg und das Freikorps Caspari nach Bremen einrücken.
Die folgenden Kämpfe zwischen den vorrückenden Truppen und bewaffneten Arbeitern forderten schließlich das Leben von 24 Soldaten, 28 Revolutionären und 29 Unbeteiligten. Nach der Einnahme der Stadt setzten die Militärs eine provisorische Regierung aus fünf MSPDlern ein, die die Organe der Räterepublik auflöste und den Senat wieder einsetzte. In den kommenden Wochen nahm sie fast alle Verordnungen der Räteregierung zurück und setzte die Wahlen zur Bremer Nationalversammlung für den 9. März an. Noskes Exempel fruchtete indes zunächst nicht. In den Folgemonaten wurden in weiteren Städten Räterepubliken gegründet, die er ebenfalls niederschlagen ließ - etwa in München mit vielen Hundert Toten und einer anschließenden Hinrichtungswelle.
 
Die Gründe der Bremer Räte
 
Heute überwiegt in der historischen Einschätzung der Ereignisse das Urteil, dass die linken Revolutionäre in Bremen eine zwar idealistische, aber eben auch autoritäre Bewegung darstellten, die die Entwicklung hin zu einer freiheitlichen Demokratie gewaltsam verhindern wollte. Doch was waren ihre Gründe? Und wie ernst war es wiederum ihren Gegnern mit der Demokratie?
Während sich die Mehrheit der SPD seit Ende des 19. Jh. aufgrund zunehmender Teilerfolge bei Wahlen und in betrieblichen Auseinandersetzungen mit der kapitalistischen Grundordnung zu arrangieren begann und auf Kompromisskurs mit dem Bürgertum ging, hielten die radikaleren Kräfte an den ursprünglichen Grundsätzen der sozialistischen Kritik fest. Demnach gründe die Herrschaft des Bürgertums wesentlich in der kapitalistischen Organisation der Reichtumsproduktion, die auf der strukturellen Ausbeutung der Arbeiter:innen basiere. Diese ökonomische Klassenherrschaft werde durch eine demokratische Beteiligung aller Gesellschaftsschichten an der politischen Ordnung überhaupt nicht berührt, sondern verschleiert. Daher zielten die Radikalen auch nicht auf demokratische Beteiligung an der staatlichen Macht. Sie hielten wirkliche Freiheit und Gleichheit nur für möglich, wenn die kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse - gegen den Willen des Bürgertums - abgeschafft würden.
War eine kommunistische Revolution daher eine existenzielle Bedrohung für das Bürgertum, konnte es sich mit der Sozialdemokratie hingegen durchaus einig werden, auch wenn das keine Liebesheirat war.
Denn wie es um den freiheitlich-demokratischen Geist einer Klientel bestellt war, die sich mit dem autoritären Kaiserreich noch zu arrangieren gewusst hatte, das ihm mit dem 1. Weltkrieg immerhin neue Absatzmärkte zu verschaffen versprach, sollten die Jahre nach der Niederschlagung der Räterepublik erweisen: Bis zu den letzten freien Reichstagswahlen im November 1932 wandte sich die bürgerliche Wählerschaft wie im gesamten Reichgebiet, so auch in Bremen von Parteien wie der liberalen DDP, der auch zentrale Figuren der Bremer Bürgerschaft angehörten, nahezu komplett ab. Sie stimmte beinahe geschlossen für die antidemokratisch-völkische DNVP und die NSDAP.


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