

Worpswede. Am 9. November erinnerte die Initiative „NIE WIEDER – Erinnern für die Zukunft – Gemeinsam gegen Rechts“ in Worpswede am 87. Jahrestag der Novemberpogrome auf dem Rosa-Abraham-Platz an die Gräueltaten des Naziregimes. Im Anschluss an die gut besuchte Veranstaltung machten sich die Teilnehmer gemeinsam auf den Weg ins Alte Rathaus des Künstlerortes. Dort stand ein Vortrag des Berliner Politik- und Religionswissenschaftlers Monty Ott zum Thema „Jüdischer Widerstand 1933 bis 1945. Vergessen? Verschwiegen?“ auf dem Programm. Die Rede sollte an die oftmals übersehene aktive Gegenwehr jüdischer Frauen und Männer gegen das NS-Regime erinnern.
Jüdischer Widerstand wird verdrängt
Zu Beginn seiner rund vierzigminütigen Ausführungen sagte Monty Ott: „Wenn wir uns mit dem jüdischen Widerstand beschäftigen, möchte ich damit die Warnung verbinden, dass die Beschäftigung nicht zum Selbstzweck werden darf. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit muss dazu führen, ihre Auswirkungen auf die Gegenwart zu begreifen.“ An Gedenktagen werde häufig über Juden als passive Opfer gesprochen. Dabei hätten Auswertungen bislang unbeachteter Quellen gezeigt, dass jüdischer Widerstand deutlich verbreiteter und vielfältiger gewesen sei, als lange angenommen.
So hätten Jüdinnen und Juden trotz massiver Strafandrohungen Ausgangssperren ignoriert, Restaurants und Kinos besucht oder den sogenannten Judenstern abgelegt. Doch nicht nur dieser jüdische Widerstand werde in der Erinnerungskultur verdrängt, sondern auch der Widerstand gegen den Nationalsozialismus insgesamt. Ott fragte weiter, warum der jüdische Widerstand in Deutschland bis heute nicht in gleicher Weise gewürdigt werde wie der ehemaliger Wehrmachtsgenerale eines verbrecherischen Regimes, nach denen noch immer Kasernen der Bundeswehr benannt seien. Einige dieser Personen seien an Massenmorden beteiligt und in die mörderische Kriegsführung verstrickt gewesen.
Mythos Entnazifizierung
In Deutschland würden vielerorts Gedenkveranstaltungen zur Reichspogromnacht abgehalten, Stolpersteine geputzt, Blumen niedergelegt und Kerzen mit und ohne Grabkreuze entzündet, sagte Ott. Für viele Angehörige der damals geflüchteten oder ermordeten Menschen seien diese Handlungen wohltuend. Wenn sich Gedenkarbeit jedoch auf solche Rituale beschränke und Juden zugleich auf die Rolle passiver Opfer reduziert würden, gehe Entscheidendes verloren.
Die Bundesrepublik sei stolz auf ihre Erinnerungskultur, doch diese habe nie ein breites gesellschaftliches Fundament gehabt. Eine Umfrage des Instituts Policy Matters für Die Zeit habe ergeben, dass der Anteil der „Schlussstrich-Befürworter“ zwischen 2020 bis 2025 weiter gestiegen sei. Die vermeintlich gut aufgearbeitete Vergangenheit sei in Wahrheit unvollständig aufgearbeitet. Die realen Erfahrungen von Juden zeigten, dass Antisemitismus nie verschwunden sei und die Entnazifizierung ein Mythos bleibe.
Zum Abschluss sagte Ott: „Eine verantwortungsvolle und selbstkritische Auseinandersetzung mit der Geschichte, das ist Arbeit und kostet Kraft. Sprechen wir über jüdischen Widerstand, dann, um den Underdogs der deutschen Geschichtsschreibung zu ihrem Recht zu verhelfen – und, um beschönigende und relativierende Vorstellungen in Frage zu stellen. Beschäftigen wir uns mit dem jüdischen Widerstand, dann um die Instrumentalisierung von jüdischer Gegenwart für das deutsche Selbstbild in Frage zu stellen. Beschäftigen wir uns mit dem jüdischen Widerstand, dann, um dieser Forderung gerecht zu werden: ‚Erinnern heißt kämpfen!‘“




