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Das reicht hinten und vorne nicht

Warum vom kürzlich verabschiedeten Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz pflegende Angehörige nicht viel zu erwarten haben.

Foto: Freepik/ DCStudio

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Am kürzlich vom Bundestagverabschiedeten Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz hagelt es Kritik von allen Seiten. Vor allem pflegende Angehörige, die Partner:innen oder Eltern zuhause betreuen, fühlen sich im Stich gelassen.

Ende 2021 waren in Niedersachsen 542.904 Menschen pflegebedürftig - Tendenz steigend. 278.981 von ihnen erhielten Pflegegeld und wurden in der Regel durch Angehörige oder durch privat organisierte Unterstützung zuhause versorgt. Weitere 110.608 Personen wurden ebenfalls in den eigenen vier Wänden mit Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes gepflegt. In einem Pflegeheim waren 93.912 Betroffene untergebracht, die meisten von ihnen zur vollstationären Dauerpflege (90.734).

 

Das bringt die Reform

 

Im Rahmen der Pflegereform steigen zum Juli dieses Jahres zunächst die Beiträge zur Pflegeversicherung von 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens auf 3,4 Prozent. Kinderlose zahlen künftig vier Prozent Pflegebeitrag, bisher sind es 3,4 Prozent. Eltern mit einem Kind zahlen den normalen Beitrag, vom zweiten Kind an wird er um jeweils 0,25 Beitragssatzpunkte verringert.

Zum 1. Januar 2024 werden dann das Pflegegeld und die ambulanten Sachleistungsbeträge um jeweils fünf Prozent erhöht. Zum 1. Januar 2025 und zum 1. Januar 2028 werden die Geld- und Sachleistungen automatisch dynamisiert – in Anlehnung an die Preisentwicklung. Das Pflegegeld beträgt heute zwischen 316 und 901 Euro im Monat, die Sachleistungen für Pflegedienst-Einsätze liegen zwischen 724 und 2.095 Euro.

Pflegende Angehörige können zudem pro Kalenderjahr bis zu zehn Urlaubstage im Jahr nehmen, für die bis zu 90 Prozent des Nettogehalts gezahlt werden sollen. Bisher waren es einmalig zehn Tage.

Heimbewohner:innen erhalten ab Anfang 2024 Zuschüsse zum Eigenanteil. Für das erste Jahr des Heimaufenthalts steigt der Zuschuss um zehn Prozent auf 15 Prozent, für die folgenden beiden Jahre jeweils um fünf Prozent auf 30 bzw. 50 Prozent - und für das vierte und alle weiteren Jahre auf 75 Prozent. Der Eigenanteil liegt inzwischen im Durchschnitt bei mehr als 2.400 Euro pro Heimplatz und Monat.

 

Pflegegelderhöhung kommt zu spät

 

Verbände wie der VdK kritisieren unter anderem, dass die Pflegegelderhöhung erst im nächsten Jahr kommt und zudem viel zu gering ausfalle - vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass das Pflegegeld seit 2017 nicht mehr angehoben wurde. Ein großes Problem sei außerdem, dass Angehörige kaum Tagespflege-Angebote finden. Vor diesem Hintergrund wäre das zunächst geplante Onlineportal wichtig gewesen, das allerdings nun doch nicht umgesetzt werde.

Manfred Bordiehn von der Interessengemeinschaft (IG) Pflege aus Bremervörde (kontakt@ig-pflege.de) bezweifelt, dass sich durch die Pflegereform die Bedingungen in der Pflege verbessern werden. Das Kernproblem im Bereich der stationären Pflege sieht er neben dem Fachkräftemangel vor allem in den großen Investorengruppen, denen es in erster Linie um Profit und nicht um die Menschen gehe. Der Fehler liege hier im ganzen System. Und pflegende Angehörige würden ohnehin komplett aus dem System fallen, so Bordiehn.

 

„Das Geld reicht hinten und vorne nicht“

 

Angehörige wie Manfred Müller (Name von der Redaktion geändert), der sich gemeinsam mit zwei Geschwistern um die demenzkranke 91-jährige Schwiegermutter kümmert und dafür alle drei Tage insgesamt 36 Kilometer Fahrtweg zurücklegt, um vor Ort Wäsche zu waschen, Brote zu schmieren oder zu putzen. Unterstützung bekommt die Familie von einem ambulanten Pflegedienst. „Das Pflegegeld, von dem unter anderem der Pflegedienst, Massagen und Medikamente bezahlt werden müssen, reicht hinten und vorne nicht und hätte mindestens um 10 Prozent erhöht werden müssen“, sagt Müller, der quasi immer auf Abruf ist und viel von seiner Freizeit für die Schwiegermutter opfert. Als pflegender Angehöriger bekomme er dafür keinerlei finanzielle Unterstützung. „Ich habe inzwischen auch den Mut verloren, irgendwo etwas einzureichen, weil es höchstwahrscheinlich doch abgelehnt wird“, sagt er. Dass es künftig mehr Urlaubstage für pflegende Angehörige geben soll, klinge theoretisch vielleicht gut. „Wie soll das aber praktisch funktionieren, wenn es viel zu wenig Tagespflegeplätze gibt“, fragt Müller sich.

 

Reform bringt keine Entlastungen

 

Die Pflegereform bringe keine Stabilität, keine Entlastungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen und keine besseren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, sagt Herbert Behrens von der Osterholzer Linken.

Die fünfprozentige Erhöhung des Pflegegeldes ab 2024 gleiche die Preissteigerungen von 17 Prozent seit der letzten Erhöhung 2010 nicht aus. Auch die mehr als 1500 Pflegebedürftigen und deren Angehörige im Landkreis Osterholz würden vertröstet auf Verbesserungen ab 2028. Wie es besser gehen kann, will Die Linke Osterholz am 13. September mit ihrem pflegepolitischen Sprecher im Deutschen Bundestag Ates Gürpinar diskutieren.

Auch Rainer A. Sekunde, Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion Osterholz, und Dr. Marco Mohrmann, Kreisvorsitzender der CDU Rotenburg (Wümme), kritisieren die Pflegereform. Der finanzielle Druck, der auf den Pflegebedürftigen und den Pflegepersonen laste, werde von der Politik nicht wahrgenommen und es bestehe die Gefahr, dass komplette Versorgungsstrukturen zusammenbrechen, da die Handelnden ihren Auftrag nicht erfüllen können, so Sekunde.

De facto gingen die Mehrbelastungen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen ungebremst weiter, sagt Mohrmann. Eine mutige und grundlegende Neuaufstellung der Finanzierungsfrage sei auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben worden. Angesichts der zunehmenden Herausforderungen in der Pflege seien das leider keine guten Aussichten. „Hier hätte ich insbesondere von Bundesgesundheitsminister Lauterbach mehr erwartet“, so Mohrmann.

Karl Lauterbach möchte nach eigenen Angaben im kommenden Jahr Konzepte für eine grundlegende Finanzreform der Pflegeversicherung vorlegen.


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