Bundeswehr im Generationenjob - Generalinspekteur Zorn sprach vor Norddeutscher Tafelrunde
Einen eigenen Tisch belegten bereits die Sicherheitsbeamten, die den Ersten der Soldaten in drei Berliner Staatslimousinen, auf dem Hof des Gutes Sandbeck geparkt, in die Provinz begleitet hatten. Bürgermeister Torsten Rohde begrüßte die Gäste aus hiesiger Wirtschaft und Wissenschaft und den hochrangigen Gast. „Die Bundeswehr ist Teil unserer Gesellschaft“, beschrieb Rohde die Rolle der Bundeswehr in der Garnisonsstadt Osterholz-Scharmbeck. Auch als Wirtschaftsfaktor sei die Logistikschule der Bundeswehr, seit 20 Jahren in der Garlstedter Lucius-D.-Clay-Kaserne zu Hause, mit 11.000 Lehrgangsteilnehmern und dem zusätzlichen militärischen und zivilen Personal in der Kaserne kein Kleingewicht. „Wir freuen uns über eine gute Zusammenarbeit und ein gutes Miteinander“, sagte Rohde, der sich auch über ein 60-Millionen-Euro-Investitionsprogramm der Bundeswehr freute. „Das trifft hiesige Handwerker.“ General Zorn spreche am liebsten vor Studierenden oder Wirtschaftstätigen, sagte er. „Bei ihnen spüre ich ein starkes Interesse an der Politik und an Cybersicherheit.“ Vor den so genannten „Lodenmänteln“, hiermit seien seine Vorgänger und Mitarbeiter aus der Sicherheitspolitik gemeint, spräche er nichts Neues an.
Der Festvortrag
So richtig was Neues sprach er vor seinen Zuhörern auch nicht an, als er die militärische Situation fünf Jahre nach dem Nato-Gipfel 2014 in Wales beleuchtete. Nach Ukraine- und Krimkrise war dort der Readiness-Action-Plan beschlossen worden, der die Nato-Präsenz an der Ostflanke des Bündnisses stärken sollte. „Als Konsequenz könnte man die 2016 erschienene Neuauflage des Weißbuches der Bundesregierung verstehen, die die Grundlage der deutschen Sicherheitspolitik liefert. Hier ist die Verteidigung gleichrangig und gleichzeitig auf nationaler und internationaler Ebene tituliert.“
Der im Januar dieses Jahres für zwei Jahre angenommene Sitz im UN-Sicherheitsrat enttäuschte General Zorn im Kernziel: „Es sollen mehr Frauen in der UN Dienst tun. Da kann ich mich als Deutscher nicht hinstellen vor Staaten wie Bangladesh, Indien oder Pakistan. Wir haben von 220 ausgebildeten Beobachtern neun Frauen. Da müssen wir selber erstmal dran arbeiten.“
Militärische Fähigkeiten stärken und bündeln
Derzeit sei die Bundeswehr an zwölf Einsätzen beteiligt. Gegen den internationalen Terror sei es das Ziel innerhalb der EU, die militärischen Fähigkeiten stärker zu bündeln. In sogenannten Battle groups wolle man die Rüstungszusammenarbeit wie im Beispiel Flugzeugbau zwischen Deutschland und Frankreich voranbringen. Für die Sicherheit in Afghanistan, erschüttert durch vermehrte Anschläge, sollten die USA sorgen. Ein Vakuum, das entstünde durch den wahrscheinlichen Teilabzug der Amerikaner, würden die Taliban zu nutzen wissen. „Afghanistan ist wie der Kosovo, wo die Bundeswehr seit 1999 mit arbeitet, ein Generationenthema.“ Auch General Zorns Blick nach einem Jahr Ausbildung in Bagdad sprach für weitere drei bis fünf Jahre „minimum“, denn der IS gelte zwar als geschlagen, aber er sei noch da. „Nicht mehr in Struktur, aber ausgebreitet bis Afrika“, wo der Einsatz durch die verschlechterte Sicherheitslage schwierig sei. Er erwarte das Mandat bis Ende Oktober.
Ein Dilemma
Auch das Rüstungsvolumen, das derzeit bei rund 1,3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt liege, sollte nach Wales auf bis zu zwei Prozent steigen. „Doch die Kurve fällt ab. Damit stehen wir bei großen Rüstungsprojekten vor einem Dilemma.“ Verträge über Ersatzteillieferungen gebe es, „aber wann was wohin kommt, ist offen. Da sind wir nicht gut aufgestellt.“
Als Generalinspekteur, der die Truppen besuche, zeigte sich General Zorn von den Mitarbeitern und der Arbeitsbereitschaft sehr überzeugt, „aber mit der Qualität des Großgeräts bin ich nicht zufrieden“. Die NH90-Hubschrauber oder der Eurocopter Tiger käme nicht „aus der Kurve“. Der Hightech-Panzer Puma sei grottenschlecht, noch schlimmer seien die Funkgeräte - „die Geräte von vor 30 Jahren haben wir immer noch“. Auch für die Digitalisierung in der Brigade, um auch multinational kompatibel arbeiten zu können, sei Geld da - „es muss mal was auf den Weg gebracht werden. Das macht mir echt Sorgen, gleichwohl die Bundeswehr ihre Aufträge erfüllt und die Truppe übt.“
Gutes Personal
Das Personal hingegen sei von Qualität, „man muss nur die Trendwende im Jahre 2010 bedenken“ - sprich das Aussetzen des Kriegsdienstes. Neu: Der BW-Nachwuchs werde sportlich trainiert, um die physischen Herausforderungen überhaupt erfüllen zu können. „Wir haben wohl mehr Fußball auf der Straße gespielt.“ Auch die jährlich 15.000 ausscheidenden Zeitsoldaten sollen nicht mehr aus Datenschutzgründen verloren gehen, wenn sie neuerdings grundbefördert würden „zum Kontakthalten“.
Als der am zweithäufigsten gehackte Bereich, begegne die Bundeswehr der latenten und tatsächlichen Drohkulisse im Cyberspace mit erhöhter Aktivität. „Erstmal eine Organisation gründen“, beschrieb General Zorn die Arbeitsweise der Kollegen. Das Cyberkommando habe die Offensive „selber hacken“ gestartet - „das können wir schon“. Natürlich drohe auch der Bundeswehr der Fachkräftemangel gerade in der IT-Branche, da „draußen“ gewiss mehr bezahlt würde und die Pespektiven vielfältiger seien. „Wir bilden selbst Offiziernachwuchs in der Cyber-IT-Branche aus mit entsprechender Perspektive bei uns. Wir müssen attraktiver werden als der öffentliche Dienst.“
Benefiz
Der Erlös des Benefiz-Abends gehe wie gewohnt in die Förderung des akademischen Nachwuchses, das Gastgeschenk wünschte sich der Festredner General Zorn als Spende an das Soldatenhilfswerk.