„Wie Blei in den Knochen“
Bis zu 15 Prozent der Menschen, die mit Corona infiziert waren, haben auch lange nach ihrer Genesung noch mit Symptomen wie Kurzatmigkeit, Gedächtnis- und Geschmacksstörungen, Schmerzen oder Husten zu kämpfen. In drei bis sechs Prozent der Fälle entwickeln Betroffene auch ein chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS).
Chronisch erschöpft nach leichtem Verlauf
So wie Iris*. Die 55-Jährige, die vor einem Jahr in Osterholz-Scharmbeck eine Selbsthilfegruppe für Long Covid-Betroffene gegründet hat, leidet auch mehr als zweieinhalb Jahre nach ihrer ersten Corona-Infektion an Kopf- und Muskelschmerzen, sobald sie sich zu sehr anstrengt, und fühlt sich schnell und anhaltend erschöpft. Ihr Verlauf, nachdem sie sich im März 2020 infiziert hatte, sei leicht gewesen, Vorerkrankungen hatte sie keine, sagt sie.
Während einer Reha, auf die sie lange habe warten müssen, weil die Rentenversicherung die Maßnahme zunächst nicht bewilligen wollte, sei ihr dann bestätigt worden, dass sie nur noch eingeschränkt leistungsfähig sei und dass ihr eine Teilerwerbsrente zustehe. Ihren 40-Stunden-Job inklusive vieler Überstunden hat sie auf 25 Stunden in der Woche reduziert.
Die Krankheit ernst nehmen
Sie müsse genau darauf achten, sich nicht zu überfordern, da sie sonst spätestens am Tag darauf die Quittung bekomme. „Es fühlt sich manchmal an, als hätte ich Blei in den Knochen“, sagt Iris, die in neurologischer Behandlung ist, regelmäßig Rehasport macht und schon an drei Long Covid-Studien teilgenommen hat.
Es gehe ihr vor allem auch darum, dass die Krankheit anerkannt und ernst genommen werde. Viele würden ihr unterstellen, sie habe eine Depression, sagt Iris. Insgesamt habe sie mit ihrem Umfeld und ihrem Arbeitgeber aber Glück. Und auch der Austausch mit anderen Betroffenen in der Selbsthilfegruppe helfe ihr dabei, ihre Selbstzweifel zu überwinden.
Berufsunfähig nach Corona
Ähnlich äußert sich auch Vera*. Die 57-Jährige, die an mehreren Autoimmunkrankheiten leidet, erkrankte im November 2020 so schwer an Corona, dass sie mit Sauerstoff versorgt - aber nicht beatmet - werden musste. Sie habe im darauffolgenden Januar dann versucht, wieder regelmäßig zu arbeiten, musste aber im März aufgrund von starker Erschöpfung, Luftnot sowie Muskel- und Gelenkschmerzen wieder aufhören.
Es sei festgestellt worden, dass zwei Herzklappen leicht angegriffen waren und dass die Lunge den Sauerstoff nicht mehr richtig transportieren könne, sagt Vera. Sie habe auch noch immer ihren Geruchssinn nicht vollständig zurück. Nach einer Reha im Mai 2021 sei sie mit der Diagnose Long Covid als berufsunfähig entlassen worden, obwohl sie sich sehnlichst wünsche, wieder arbeiten zu können.
Zu ihrem Alltag gehören inzwischen regelmäßiger Rehasport sowie Ergotherapie aufgrund von Konzentrationsstörungen. Vera ist zudem auch in psychologischer Behandlung. Eine zweite Reha in einer auf Long Covid spezialisierten Klinik sei beantragt, sie rechne aber mit einer langen Wartezeit. „Die Ärztin aus der Klinik sagte mir, sie habe gerade 10.000 neue Akten auf den Tisch bekommen“, so Vera.
Angst vor erneuter Ansteckung
Vor einer erneuten Ansteckung hat Vera große Angst, obwohl ihre zweite Corona-Infektion im Sommer 2022 nicht so schwer verlaufen sei wie die erste. Dennoch habe die Krankheit sie wieder ziemlich zurückgeworfen und die Luftnot sei wieder schlimmer geworden.
Trotz vieler Zukunftsängste und der Traurigkeit darüber, dass sie nicht mehr so am Leben teilnehmen könne wie vor Corona, will sie den Kopf aber nicht in den Sand stecken, sagt Vera, die von ihrer Familie unterstützt wird. Sie hoffe, dass sie durch die Teilnahme an mehreren Studien dazu beitragen könne, dass es bald neue Therapiemöglichkeiten und auch mehr Verständnis für die Krankheit gibt.
Kein Verständnis habe Vera dafür, dass viele Menschen ein Problem damit hätten, Masken in Innenräumen zu tragen, um sich und andere zu schützen.
* Name der Redaktion bekannt