Vom Licht der Erlösung
Zu Weihnachten die annehmbare Nachricht zuerst: Nachdem sich christdemokratische Innenminister ihrer Extremismusformel entsprechend der Peinlichkeit hingaben, Wohnungen von Klimaaktivisten zu stürmen, um dort Sekundenkleber, Kartoffelbrei, Bücher zum nachhaltigen Samenziehen und vielleicht sogar den einen oder anderen Hammer zu beschlagnahmen, haben die Ampelparteien klargemacht, dass sie sich nicht auf eine neue - links und rechts gleichsetzende - „Extremismusklausel“ einließen.
Statt wie Friedrich Merz, der erst lange braucht, um die Razzia gegen bewaffnete Reichsbürger zu würdigen und es dann nicht ohne einen relativierenden Whataboutism-Verweis auf die vermeintlichen „Linksextremisten“ der Letzten Generation hinbekommt, hat sich das Kabinett auf ein Demokratiefördergesetz geeinigt. Das Gesetz, das in der Großen Koalition von der CDU verhindert wurde, sieht vor dem Hintergrund der Razzia und einer zunehmenden Verbreitung von radikalisierenden Verschwörungstheorien in den letzten drei Jahren vor, Bundesförderungen von Initiativen, die sich dem Kampf gegen Demokratiefeindlichkeit, gegen Antisemitismus, Rassismus und Neofaschismus verschrieben haben, auszuweiten und auf Dauer zu stellen - also zivilgesellschaftliches Engagement zur Stärkung der Demokratie gegen ihre Feinde zu fördern.
Mit diesem Gesetz würde aber nicht bloß zivilgesellschaftliches Engagement besser finanziert. Mit ihm würde Olaf Scholz‘ zuletzt Anfang des Jahres in Davos betonte Positionierung der Bundesregierung auf Seiten der „Wissenschaft, Rationalität und Vernunft“ gegenüber den Schwurblerinnen, Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen institutionell gefestigt. Denn es sind nicht zuletzt meist von unterfinanzierten zivilgesellschaftlichen Initiativen bezahlte Geisteswissenschaftler:innen und Sozialpsychologinnen, die sich in den letzten zweieinhalb Jahren mit ihrer faktenbasierten, wissenschaftlichen Expertise gegen Fake News und Verschwörungsgläubige aller Art engagierten; die sich in den Dienst der faktenbasierten Verteidigung der Demokratie stellten.
So weit, so halb gut - wie es „kein richtiges Leben im falschen“ (T. W. Adorno), so gibt es auch keine wahrhaft gute Nachricht im Schlechten.
Mit Fakten ist kein Streit zu gewinnen
Denn die Ausweitung von bloß faktenbasierter Wissenschaft bringt im Kampf gegen Verschwörungstheoretiker:innen und Antisemiten keine Landgewinne. Sie sitzen ja keinem von falschen Informationen ausgehenden Irrglauben auf, sondern sie besitzen eine Weltanschauung, die sich auf einer absolut verkümmerten Erfahrungsfähigkeit aufbaut. Das beweist z. B. allein, dass der Fakt, dass es keine jüdische Weltverschwörung gibt, Antisemiten in ihrem Wahn von der Mächtigkeit der Juden bestätigt, die wie der Teufel alle über sich täuschen könnten. Ähnlich verhält es sich mit radikalen Coronaleugnerinnen. Deren Überzeugung, Pfizer würde uns mit seinem Impfstoff chippen, lässt sich nicht dadurch erschüttern, indem man faktisch zeigt - wie jeder Faktencheck es tut -, dass Pfizer und andere mit dem Staat kooperierenden Wissenschaftlerinnen erklären, das sei z. B. technisch gar nicht möglich. Das setzte doch voraus, dass der Staat und die Wissenschaft als Wahrheit garantierende Autoritäten von Verschwörungstheoretikerinnen anerkannt würden. Das ist aber mitnichten der Fall. Und es muss erklärt werden, warum das so ist. Bloße Fakten können das aber nicht.
Mit bloßen Fakten erreicht man im Streit überhaupt wenig bis gar nichts - jeder akzeptiert nur diejenigen, die zum eigenen Weltbild passen. So ist mit ihnen gegen Wahn und Weltanschauungen zu kämpfen erst recht ein Kampf gegen Windmühlen - eine „Tretmühle an sinnlosem Debunking und Faktenchecken“, wie der Chefredakteur des bekannten Faktencheckerblogs Volksverpetzer Thomas Laschyk am 9. Dezember enttäuscht bekannt gab. „Alles f***ing nutzlos“, schreibt er.
Reflexionsverweigerung
Laschyk kommt aber nicht auf die Idee, dass sein Mittel falsch sein könnte, weil er die „Wahnsinnigen“, also seinen Gegenstand, nicht erkennt, da er nur an eine Erkenntnis anhand von bloßen Fakten glaubt. Schuld hätten Welt, Bild, CDU und AfD, weil sie stets die Fakten verdrehten. So was nennt man auch: Reflexionsverweigerung - ein Symptom, das er mit seinen Feinden teilt. Dieses Symptom lässt sich auch bei Deutschlands beliebtester Expertin für Verschwörungstheorien, der Sozialpsychologin Pia Lamberty, erkennen. Weil auch sie nur an Erkenntnis durch statistisch erhobene Daten zu glauben scheint, schreibt sie in ihrem mit Katharina Nocun geschriebenen Buch „True Facts“, dass unter Menschen eine „generelle Veranlagung“ für Verschwörungstheorien bestehe, die von unterschiedlich starken Kontrollbedürfnissen oder Narzissmus unterschiedlich stark ausgeprägt würde. Weil also statistisch viele Menschen an Verschwörungstheorien glauben, gäbe es für sie eine Veranlagung, die man mit verschiedenen Techniken nur im Zaum halten könne. Mit Fakten und guten Argumenten beispielsweise. Nicht nur erweist die Realität letzteres leider allzu oft als Quatsch. Lambertys Schluss ist faktisch überhaupt nicht zwingend und ihn als Fakt darzustellen, ist wissenschaftlich absolut unredlich. Denn: Die Annahme einer Veranlagung ist eine Deutung, was Lamberty aber nicht reflektiert. Und warum sie nur auf diese biologistische Verklärung kommt, ist selber ein Fall für die auf gesellschaftliche Bedingungen unbewusster Bewusstseinsformen reflektierende Ideologiekritik.
Es bedarf der Deutung
Das zeigt zum einen: Wissenschaft, insbesondere soziale oder sozialpsychologische, kommt ohne Deutung nicht aus und wie gedeutet wird, hat unbewusste Anteile, auf die man zu reflektieren hat. Zum anderen: Wer jede Erkenntnis als faktenbasiert darstellen will, läuft Gefahr, selbst Ideologie zu produzieren.
Was hiergegen und seinen Gegenstand begreifen hilft, ist die bewusste Deutung: Betrachtet man egal welche Verschwörungstheorie, haben sie eins gemeinsam: Menschen bestimmen darin die Geschicke der Welt. Dieses Narrativ ließe sich als Ausdruck einer - durch ihre gesellschaftliche Verdrängung vergiftete - Sehnsucht deuten; als eine Sehnsucht nach einer anderen Welt, in der die Menschen ihr geschichtliches Schicksal selbst in die Hände nehmen, anstatt es sich von ausbeutenden ökonomischen Formen vorgeben zu lassen.
Dies erklärt auch die Faktenimmuninität der Verschwörungstheoretiker: Ihnen geht es primär aber unbewusst um eine andere Welt, nicht um die Aufdeckung geheimer Fakten. Das Mittel gegen Verschwörungstheorien ist daher eine vom allgemeinen Unrecht befreite Welt.
Das christliche Erbe
Diese meine Deutung hat selbst eine Grundlage. Eine - passend zu Weihnachten - materialistisch-theologische. Sie begreift das Phänomen der Verschwörungstheorie von der ungerechten Einrichtung der Gesellschaft und „vom Standpunkt der Erlösung“ her; von einer von Christus versprochenen, aber nur durch menschliche Praxis zu verwirklichenden und bis dahin bloß zu antizipierenden Welt ohne Unrecht. Denn „Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint“, wie es bei Theodor W. Adorno heißt. Gerade weil es von Hoffnung gesättigt ist, offenbart das Licht von der Erlösung her die Phänomene der ungerechten Welt schonungslos in ihrer Negativität und zeigt Wege auf, sie abzuschütteln.
Gesellschaftswissenschaften, die sich aber faktenklammernd dagegen sträuben, dieses subjektive, säkularisierte theologische Moment der Sehnsucht nach einer besseren Welt in sich erkenntnisleitend aufzunehmen, bleiben nicht nur blind für ihre Gegenstände. Sie haben auch teil daran, diese alle Menschen umtreibende Sehnsucht zu verdrängen und helfen somit, dass sie als vergiftete, als Verschwörungstheorie oder Antisemitismus, wiederkehrt - Aufklärung schlägt in gefährlichen Mythos um.
So geht von der staatlich orchestrieren Verbreitung von „Wissenschaft, Rationalität und Vernunft“ auch eine Gefahr für eine zivilisierte Gesellschaft aus. Und zwar dann, wenn sie sich nicht auf das christliche Erbe in der Aufklärung ausrichtet: auf die Versöhnung der Menschheit.