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Sarah Lenk

Sarahs Nachtgeschichten: Die Sorge um die deutsche Ehe

Nachtbeobachtungen durch die philosophische Brille, mit dunklem Witz und Kritik - unsere Kolumne von Sarah Lenk.

Eine Scheidung ist die Suche nach einem Ausweg, einem Neuanfang

Eine Scheidung ist die Suche nach einem Ausweg, einem Neuanfang

Bild: Wiki commons

22:57 in einem weiterem deutschen Wohnzimmer wird müde und leise (die Kinder schlafen!) das Ende einer Ehe beschlossen. Eine von etwa 150.000 Ehen, die jährlich in Deutschland geschieden werden. Im Jahr 2021 lag die Scheidungsrate bei etwas über 39%, eine von drei Ehen endet durch Scheidung. Die restlichen zwei durch den Tod.

Ich halte das für eine allgemein gute Entwicklung, die noch lange nicht weit genug geht. Ein Fortschritt im zivilisatorischen Bereich, den ich freudig begrüße. Die für immer co-abhängig aufeinander angewiesene Kernfamilie löst sich langsam aber sicher auf. Warum diese Entwicklung hierzulande so selten für etwas gutes gehalten wird, verstehe ich nicht.

Die Ehen, die unglücklich zusammenbleiben, gibt es trotz hoher Scheidungsrate noch zu Hauf. Wer war nicht schon mal bei einem Paar, einer Familie zu Gast, bei der einfach Unglück und Anspannung in der Luft lag, oder eine Art Depression und passive Aggressivität? Jetzt stelle man sich eine Kindheit in einem solchen Elternhaus vor. Und behaupte noch mal, dass es besser sei, für die Kinder zusammenzubleiben. Besser ist es für die Kinder, wenn die Eltern sich nicht im stillen hassen und an ihrem eigenen Unglück krank werden. Körperlich oder psychisch.

Selbstverständlich sind Scheidungen für niemanden schön. Trennungen und Abschied nehmen sind nie leicht. Für keinen der Beteiligten. Scheitern. Versagen. Zerbrochene Ehen. Zerrüttete Familien. Formulierungen in der Art finden sich in den meisten medialen Darstellungen. Vermutlich auch in den meisten Köpfen.

Gelobt wird dagegen die langjährige Ehe. Sie bietet unhinterfragten Anlass zur Gratulation. Hier war der Satz‚ in guten wie in schlechten Zeiten‘ nicht nur leere Phrase.

Dabei wird unterschlagen, dass bei so vielen die guten Zeiten schon lange her sind und man sich diesen Satz nur noch sagt, um sein eigenes Unglück zu rechtfertigen. Weil man aus Feigheit und Bequemlichkeit den Schritt nicht wagen mag. Weil man Angst hat, allein zu bleiben. Niemanden mehr zu finden. Aber ist allein sein nicht viel besser, als seine Zeit mit jemandem zu verbringen, den man beginnt zu hassen? Nicht hassen darf, nicht hassen will. Aber nicht anders kann. Was zu verdrängten Gefühlen führt, zu unterschwelliger Aggressivität. Oder nicht mehr unterschwelliger, sondern handgreiflicher Realität. Häusliche Gewalt ist keine Seltenheit.

Eine Scheidung ist die Suche nach einem Ausweg, einem Neuanfang. Ausdruck des Strebens nach einem besseren Leben. Für sich.- Aber gerade auch für die eigenen Kinder.

Statistiken sagen, dass Scheidungskinder eher dazu neigen, sich auch wieder scheiden zu lassen. Und ich sehe nicht, warum das etwas schlechtes ist. Dass sie sich eher trauen, eine kaputte Beziehung zu verlassen. Weil sie wissen, dass einem schlimmeres widerfahren kann, als das Ende der Ehe. Nämlich ihr fortbestehen. Sollte man es wirklich für erstrebenswert halten, an einer dysfunktionalen Beziehung festzuhalten? Nur weil man sich ein Versprechen gegeben hat? Weil man Versprechen ja zu halten hat, komme was wolle? Mir kommt die deutsche Durchhaltementalität in den Sinn. Aushalten. Stillhalten. Sich mit seinem Schicksal abfinden.

Aber das eigentliche Versprechen, nämlich Beistand, Zusammenhalt und ein wenig Glück zu bieten - das ist schon längst gebrochen worden, lange vor dem endgültigen Entschluss zur Scheidung.

 


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