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Rechtsextremismus im Wandel

Interview mit der Mobilen Beratung Niedersachsen

Chronisch erfolglos: Klassische rechtsextreme Parteien werden zunehmenden bedeutungsloser - das bestätigt der aktuelle Verfassungsschutzbericht. Rechtsextremismus schätzt die Behörde jedoch nach wie vor als größte Bedrohung für die Demokratie ein.

Chronisch erfolglos: Klassische rechtsextreme Parteien werden zunehmenden bedeutungsloser - das bestätigt der aktuelle Verfassungsschutzbericht. Rechtsextremismus schätzt die Behörde jedoch nach wie vor als größte Bedrohung für die Demokratie ein.

Niedersachsen. Vor wenigen Tagen wurde der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 in Niedersachsen vorgestellt. Wir haben aus diesem Anlass mit dem Team des Regionalbüros Nord/Ost der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus über die Lage im Bundesland gesprochen.

 

Anzeiger: Die Zahl der politisch motivierten Straftaten mit rechtem Hintergrund ist im letzten Jahr gesunken. Ist die rechte Szene in Niedersachsen ruhiger geworden oder täuschen die Zahlen?

 

Mobile Beratung: Jedes Jahr gibt es Schwankungen bei den Zahlen, sie verbleiben aber auch 2022 auf einem hohen Niveau. Die Statistik der politisch motivierten Straftaten kann dabei zwar ein Indiz für die Bedrohungslage von rechts sein, ist aber gleichzeitig kein ausreichender Gradmesser um die Entwicklungen und das Gefahrenpotenzial der Szene wiederzugeben. Viele Taten werden aus verschiedenen Gründen gar nicht polizeilich erfasst, da zum Beispiel viele Taten nicht zur Anzeige gebracht werden oder die Tat von der Polizei nicht als rechtsextreme Tat kategorisiert wird. Ein kurzer Blick auf die Statistik der Amadeu Antonio Stiftung zu rechten Morden in Deutschland macht dies deutlich. Viele Aktivitäten der Szene finden darüber hinaus nur bedingt im öffentlichen Raum statt und werden so gar nicht erfasst. Darüber hinaus verfolgt die Szene auch legalistische Wege um ihre Ideologie zu verbreiten, was sich besonders im ländlichen Raum zeigt, wo beispielsweise Völkische SiedlerInnen sich als „nette und hilfsbereite Nachbarn“ inszenieren und in die Gemeinden hineinwirken.

 

Der „klassische Neonazismus“ befindet sich laut Verfassungsschutz seit Jahren in einer Abwärtsspirale, so verlieren beispielsweise rechtsextreme Parteien wie die NPD an Mitgliedern. Das Personenpotenzial der Szene außerhalb dieser Parteien ist in Niedersachsen jedoch unverändert. Wie haben sich die Strukturen des Rechtsextremismus in den letzten Jahren – insbesondere seit der Pandemie – gewandelt?

 

Der Trend einer Abkehr von klassischen neonazistischen Positionen nach außen lässt sich in der Szene schon seit dem Aufkommen der so genannten „Neuen Rechten“ in den 60er-Jahren feststellen. Dabei wurde der so genannte „Kulturkampf“ in dem Fokus gerückt und es wurden neue Begriffe für alte Inhalte gesucht und gefunden. So konnte der Begriff „Rasse“ weitgehend durch „Kultur“ ersetzt werden. Dem Kulturbegriff wurde dabei weiterhin eine biologistische Definition zu Grunde gelegt. So wird hier eine Strategie deutlich, die darauf zielt eine extreme Rechte, der nicht der Makel des Nationalsozialismus und des Holocaust anhängt, zu ermöglichen und so leichter in die Gesellschaft intervenieren zu können. Hier drunter fallen z.B. Gruppierungen wie die sogenannte „Identitäre Bewegung“, die Junge Alternative Niedersachsen sowie das Institut für Staatspolitik, die weit in die Gesellschaft hineinwirken und zunehmend als „normaler“ Teil des Diskurses öffentliche Wahrnehmung erfahren.

Gleichzeitig ist die Attraktivität der klassischen neonazistischen Parteien auf Grund interner Streitigkeiten und chronischer Erfolglosigkeit auch in der Szene unterschiedlich. Versuche einer Neuausrichtung innerhalb bestehender Parteien, wie die Umbenennung der NPD in Die Heimat, aber auch die Gründung neuer extrem rechter Parteien wie bspw. der Neue Stärke Partei zeigen aber auch, dass es mehr als verfrüht wäre, diese abzuschreiben.

Eine enge Zusammenarbeit sowie personelle Schnittmengen dieser parteigebundenen Strukturen gibt es mit der klassischen neonazistischen Szene im subkulturellen Bereich, der sich weiterhin großer Beliebtheit erfreut. Bereiche wie Kampfsport werden seit Jahren als Tätigkeitsfelder genutzt. Diese schließen sowohl an das in der Szene propagierte Bild soldatischer Männlichkeit wie auch den aktiven Kampf gegen politisch als Gegner*innen markierte Personen an. Auch Musik ist in der extrem rechten Subkultur ein wichtiges verbindendes Mittel, das sowohl ideologieverstärkend wirkt und ein innerszenisches Gemeinschaftsgefühl transportiert, aber auch der Finanzierung von Szenemitgliedern dient.

Auch die fehlende Abgrenzung nach Rechts im Zuge der sogenannten Corona-Proteste hat hier der Szene geholfen, indem sich Teile der neonazistischen Szene ohne Widerspruch offen an den Protesten beteiligen konnten.

Insgesamt zeigt sich, dass sich die extreme Rechte durch eine gesellschaftliche Verschiebung des Sagbaren zunehmend am öffentlichen Diskurs beteiligen kann. So übernehmen zum Beispiel Völkische SiedlerInnen Aufgaben und Ämter in Schulen, trainieren Kinder im Sportverein, unterstützen Dorfgemeinschaften und können so den öffentlichen Raum mitgestalten, ohne dass es einen öffentlichen Aufschrei gäbe. Die Anastasia-Bewegung ist mit ihrem Konzept der „Familienlandsitze“ trotz des Antisemitismus und völkischen Ideen für Teile einer „Öko-Szene“ ansprechend. Es zeigt sich, dass die extreme Rechte sehr unterschiedlich aufgestellt ist, verschiedene ideologische und strategische Schwerpunkte setzt. Extreme rechte Akteur*innen und ihre Ideologien sind quer durch die Gesellschaft präsent und ihre Inhalte werden dabei mal offen, mal eher verdeckt in viele Lebensbereich hineingetragen.

 

Der Verfassungsschutz teilt rechtsextreme Personen mittlerweile in viele verschiedene Kategorien ein. Neben Neonazis nennt der Bericht neurechte Strömungen wie die Identitäre Bewegung oder Reichsbürger. Für Verschwörungsideologinnen und Corona-Leugner gibt es das neue Verdachtsobjekt „Demokratiefeindliche Delegitimierung des Staates“. Wie stehen diese Bewegungen ideologisch zueinander, gibt es große Schnittmengen oder kocht jeder seine eigene Suppe?

 

Es gibt es zwischen den Szenen gewisse Schnittmengen, es zeigt sich aber gleichzeitig auch ein starkes Abgrenzungsbedürfnis bei Teilen der Szenen. Auch innerhalb der Szenen sind sich die Protagonist*innen oft sehr uneins. So gibt es beispielsweise im Bereich der Reichsideologie Gruppen, die ein Fortbestehen des „Deutschen Reichs“ propagieren und andererseits Gruppierungen, die dem entgegen eigenen alternativstaatlichen Konzepten (z.B. die Germaniten oder Republik Freies Deutschland) anhängen und sich gegenseitig jegliche Legitimität absprechen. Gleichzeitig fand und findet, beispielsweise bei den sogenannten „Corona-Protesten“, aber auch darüber hinaus, eine positive Bezugnahme und Unterstützung statt, aus der durchaus neue Synergien hervorgehen können.

Die extreme Rechte als schon immer heterogenes Spektrum, einen Ideologien von völkischem Denken, Autoritarismus, Antisemitismus, Rassismus wie auch Antifeminismus und Queerfeindlichkeit. Aus unserer Perspektive führt die Einführung zusätzlicher Kategorien, zu einer künstlichen Reduktion des Personen- und Gefahrenpotentials der extremen Rechten.

Im Verfassungsschutzbericht steht: „Die Wirkmacht rassistischer, antisemitischer und fremdenfeindlicher Positionen bleibt vom Strukturwandel in der Szene unberührt.“ Radikalisierung finde vor allem im Internet statt. Gleichzeitig versuchten vor allem Neurechte auch, ihre Ideologie „unter Beibehaltung der institutionellen Formen des demokratischen Rechtsstaats“ zu verbreiten. Ist es durch diese unübersichtliche Lage schwieriger geworden, Rechtsextremistinnen als solche zu erkennen?

Das Bild vom Springerstiefel tragenden Nazi-Skinhead war schon immer eine verkürzte Darstellung. Sie suggerierte eine einfache Einordnung und ermöglichte es, Rechtsextremismus als ein gesellschaftliches Randphänomen zu betrachten und sich abseits davon mit der Thematik wenig bis gar nicht beschäftigen zu müssen, obwohl die Szene schon immer sehr viel breiter aufgestellt war. Auch wurde so unsichtbar gemacht, dass extrem rechte Einstellungen quer durch die Gesellschaft existieren und wirkmächtig sind. Seien es Burschenschaften oder Verbindungen im akademischen Bereich, völkische SiedlerInnen im ländlichen Raum oder der nette Nachbar von nebenan. Rassismus und Antisemitismus sind ein gesamtgesellschaftliches Problem, dass sich auch nur gesamtgesellschaftlich lösen lässt. Trotzdem ist es natürlich wichtig Symbole und Erkennungszeichen zu kennen und einordnen zu können. Davon gibt es auch heute mehr als genug und sie erfüllen auch einen nach innen verbindenden und nach außen bedrohlichen Zweck. In diesem Zusammenhang haben wir auch die Broschüre „Zur Schau getragen – Symbole, Codes und Marken der extremen Rechten“ veröffentlicht, die neben anderen Broschüren auf unserer Homepage zum Download bereit steht.

Es ist also weder einfacher, noch wirklich schwieriger geworden, extreme Rechte zu erkennen. Stattdessen wird die Bandbreite extrem rechter Einstellungen und Akteur*innen öffentlich wahrnehmbarer und damit thematisierbarer. Das ist zwar möglicherweise erstmal irritierend, aber auch eine Chance sich mit dem Thema kritischer auseinanderzusetzen.

 

Zu den aktuellen Geschehnissen außerhalb von Niedersachsen: Unterstützer:innen von Lina E. bringen oft das Argument: Die Lebensverhältnisse vor Ort im Osten erforderten eine Gegenwehr, weil der Staat gegen Rechtsextreme wenig tue. Können Sie einschätzen, wie bedrohlich die Naziszene im Osten für Linke ist?

 

In Bezug auf den Osten Deutschlands ist es am besten mit unseren Kolleg*innen vor Ort zu sprechen. Diese arbeiten dort seit Jahren zum Thema und können daher eine viel bessere Einschätzung geben. Insgesamt ist die Bedrohungslage für von der extremen Rechten als „Feinde“ markierte Gruppen (nicht-weiße Menschen, LGBTQI+, Wohnungslose, politische Gegner*innen etc.) in Deutschland weiter hoch. Dabei spielt es, wie sich rund um 2015 gezeigt hat, nur bedingt eine Rolle, ob die Orte im Osten oder Westen liegen. Gerade die Gründung von Bürgerwehren oder Brandanschläge fanden auch in Niedersachsen in nicht geringer Anzahl statt. Hier spielt aus unserer Perspektive die klare Positionierung von gesellschaftlichen Funktionsträger*innen eine Rolle. Die extreme Rechte als gesamtgesellschaftliches Problem zu markieren, Verantwortung zu Übernehmen und rechte Ideologie nicht zu verharmlosen oder kleinzureden hat gerade eine wichtige Signalwirkung und unterstützt Personen, die sich für demokratische Kultur einsetzen.

 

Wie schätzen Sie den Vorwurf ein, der Staat tue zu wenig im Kampf gegen Rechtsextremismus, sodass man auf „Selbstverteidigung“ zurückgeworfen sei?

 

Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass deutlich mehr gegen extrem Rechte Gruppen aber auch Einstellungen getan werden müsste. So können militante Neonazinetzwerke seit Jahren in Deutschland ungestört agieren (so wurde bspw. Combat 18 als militanter Arm des Blood & Honour Netzwerkes erst nach über zwanzig Jahren Aktivität in Deutschland verboten). Wichtig wäre es aber besonders zivilgesellschaftliche Akteur*innen wie Bündnisse und Initiativen gegen Rechts zu stärken und zu unterstützen. Gerade die Initiativen im ländlichen Raum haben es oft schwer und benötigen Rückhalt aus der lokalen Bevölkerung und auch aus den Orten und Städten drumherum. Es ist wichtig, dass der Kampf gegen Rechts nicht ausschließlich von staatlicher Seite geführt wird, sondern gesamtgesellschaftlich verankert wird. Nur so ist es möglich, extrem rechten Positionen nachhaltig etwas entgegenzusetzen. Der Staat und die Strafverfolgungsbehörden müssen rechte Gewalt und extrem rechte Bedrohung ernst nehmen, da sie von gesamtgesellschaftlicher Relevanz sind. Werden Verfahren wegen Geringfügigkeit oder mangelndem öffentlichen Interesse eingestellt, werden rechtsmotivierte Angriffe auf Engagierte aus der Zivilgesellschaft als „Auseinandersetzung unter politischen Gegner*innen“ entpolitisiert und verharmlost, ist dies ein fatales Signal für alle, die potentiell von rechter Gewalt Betroffen sind.

Das Regionalbüro Nord/Ost der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Verden ist unter nordost@mbt-niedersachsen.de oder telefonisch unter 015221359011 zu erreichen.


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