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Patrick Viol

Platz machen!: Wie die Enge im eigenen Selbst die Demokratie bedroht

An diesem Samstag, 18. Juni, findet überall in Deutschland der Tag der offenen Gesellschaft statt, an dem Menschen darüber ins Gespräch kommen, in welcher Welt sie leben wollen.

Die Menschen stellen Stühle und Tische raus und decken sie ein. Es gibt Musik, Tanz, kleine Aktionen. Nicht nur für Freunde und Bekannte, sondern für jede, die mitmachen oder sich bloß setzen, ein Stück Kuchen essen und dabei anderen Menschen begegnen und mit ihnen ins Gespräch kommen möchte. Dabei ist es egal, worüber gesprochen wird. Es geht laut der Initiative Offene Gesellschaft, die den Tag der offenen Gesellschaft ins Leben gerufen hat, an diesem Tag um die Art der Begegnung, die entscheidend sei: Es geht um Respekt und Toleranz im Umgang miteinander.
Nicht zuletzt geben die Vermehrung von Fake News und Verschwörungstheorien, der gegenseitige Umgang von Coronamaßnahmenkritiker:innen und -befürworter:innen und jetzt die von Emotionen und Ideologien geleiteten Debatten um den Ukrainekrieg den Initiatorinnen recht: Wenn die Menschen respektvoller mit einander umgingen, wäre schon viel gewonnen.
 
Gefährliche Enge
 
Denn ein Sprechen, das sich durch - nicht nur in Hatespeech, sondern ebenso in Urteilslosigkeit und permanentem Beleidigtsein zeigende - Intoleranz und Respektlosigkeit auszeichnet, ist Ausdruck von Enge. Von einer Enge zwischen dem eigenen Ich und seiner Meinung, sodass kein Blatt mit einem anderen Urteil mehr dazwischen passt; von einer Enge zwischen der eigenen Identität und dem allzu ähnlichen sozialen Umfeld, sodass man sich keinen Herausforderungen des eigenen Standpunkts durch kulturelle, politische oder philosophische Verschiedenheit stellen muss.
Solche Beschränktheit aufs eigene Ich ist kein bloßes Resultat von mangelnder Bildung. - So etwas zu behaupten ist selbst Ausdruck einer verengten Problemwahrnehmung von Akademikerinnen und zudem Menschen mit bildungsfernem Background gegenüber ziemlich respektlos. Sie ist das Resultat einer Flucht vor der immer unsicherer erscheinenden Außenwelt. So wie sich, wenn man Angst hat, alles zusammenzieht, so verengt sich angesichts der überwältigenden Krisenhaftigkeit der Welt das eigene Ich auf sich selbst - das des Schulabbrechers genauso wie das der Hedgefondsmanagerin oder Politikerin.
 
Respekt macht Platz
 
Das Problem einer respektlosen und intoleranten Sprache eines solcherart verengten Bewusstseins ist aber nicht nur, dass sie verletzend sein kann. Sie ist vor allem eine Gefahr für die Demokratie, weil sie sich gegen notwendige und komplexe Überlegungen sperrt und dadurch das Versprechen der Sprache: die gewaltlose und an der Sache ausgerichtete Konfliktlösung verrät. Auf beidem beruht aber die Demokratie.
Entsprechend begeht die Initiative Offene Gesellschaft den Tag der offenen Gesellschaft als eine Feier der Demokratie unter dem Motto „Platz machen“. Denn es sind nicht nur leere Stühle für unbekannte Gäste, die „Platz machen“ für ernsthaften, interessierten Austausch. Es sind ebenso Urteil, Respekt und Toleranz, die „Platz machen“, indem sie einen Reflexionsraum eröffnen, sowohl zwischen Menschen als auch im eigenen Bewusstsein als die Grundlage ernster Auseinadersetzungen und Debatten über gesellschaftliche und politische Themen wie radikaler Fragen. Und jene zu führen wie diese zu stellen, ist angesichts - um lediglich die präsentesten Beispiele zu nennen - eines brutalen Krieges, der Herausforderung unserer freiheitlichen Lebensweise durch Terror und autoritäre Staaten und einer drohenden Hungerkrise globalen Ausmaßes über alle Maßen dringlich.
Auch die Redaktion feiert den Tag der offenen Gesellschaft an diesem, aber auch an jedem weiteren Wochenende, indem wir „Platz machen“ für Inhalte, die hoffentlich im besten Sinne etwas Abstand schaffen zu dem, was man sowieso schon immer gedacht hat. Solche Inhalte erkennen Sie in dieser Ausgabe an diesem Button:


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