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Lena Stehr

Comeback Kernkraft!?

Viele Länder gehen mit neuen Reaktoren ans Netz, um „sauberen“ Strom zu produzieren. In Deutschland sollen neue Atomkraftwerke als „nachhaltige Investitionen“ eingestuft werden. Dabei sind erneuerbare Energien meist kostengünstiger  und sicherer.
Irgendwo muss die Energie, die wir alle benötigen, herkommen. Viele sehen eine klimafreundliche Lösung in der Atomenergie und meinen, sie könnte die Welt vor dem Kollaps bewahren.

Irgendwo muss die Energie, die wir alle benötigen, herkommen. Viele sehen eine klimafreundliche Lösung in der Atomenergie und meinen, sie könnte die Welt vor dem Kollaps bewahren.

Viele Länder gehen mit neuen Reaktoren ans Netz, um „sauberen“ Strom zu produzieren. In Deutschland sollen neue Atomkraftwerke als „nachhaltige Investitionen“ eingestuft werden. Dabei sind erneuerbare Energien meist kostengünstiger und deren Verbesserung sinnvoller als eine Rückkehr zur Atomenergie.
Seit Ende Januar ist der „Drache Nummer eins“ im Südosten Chinas in Betrieb. Hualong One ist das modernste Kernkraftwerk der Welt und soll Erdbeben, Flutwellen und Flugzeugabstürzen standhalten. 60 Jahre lang soll der Koloss jährlich 1.170 Megawatt produzieren und damit große Fabriken und Hunderttausende Menschen mit Strom versorgen. Laut der Wochenzeitung „Die Zeit“ befinden sich acht weitere solcher Kraftwerke im Bau oder in Planung. Pakistan hat zwei Reaktoren aus China importiert.
Auch die Türkei, Ägypten und Bangladesch errichten mit russischer Hilfe Kernreaktoren. Indien will bis 2031 mehr als zwölf neue Reaktoren bauen. Und auch die USA und Frankreich wollen mit Hilfe von Kernkraftwerken ihre Klimaziele erreichen.
 
Befürworter:innen der Atomkraft
 
Inzwischen gibt es auch in den Reihen von Klima- und Umweltaktivist:innen viele Befürworter:innen der Atomkraft. Sie laufen teilweise bei den Demos von Fridays for Future mit. Auch die Fridays for Future-Gründerin Greta Thunberg postete 2019 auf Facebook, dass „die Kernkraft einen kleinen Teil zu einer großen CO2-freien Lösung beitragen könne.“
Die „Ökomodernisten“ oder die amerikanische Gruppier https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/wenn-haie-leuchten/978-3-446-26947-7/ ung „Environmental Progress“ sehen in der Atomenergie und dem Teilen von Atomen eine Lösung von Umweltproblemen und fast so etwas wie ein „Wunder“, heißt es etwa auf der Homepage von „Environmental Progress“. Atomkraft sei nicht die gefährlichste Energiequelle, sondern die sicherste. Das größte Problem der Atomkraft sei deren öffentliche Wahrnehmung.
Tatsächlich könnte laut der WDR Wissensredaktion Quarks durch den Weiterbetrieb der verbleibenden sechs aktiven deutschen Atomkraftwerke - die bis 2022 abgeschaltet werden sollen - eine nennenswerte Menge Treibhausgas eingespart werden.
2019 speisten demnach die noch aktiven Kernkraftwerke insgesamt 60,95 Terawattstunden ins Stromnetz ein, die Braunkohlekraftwerke rund 100 Terawattstunden. Ließe man die Atommeiler länger am Netz, könnten fünf Braunkohlekraftwerke ersetzt und schätzungsweise 70 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden - das entspreche fast einem Drittel der energiebedingten Emissionen und rund zehn Prozent der gesamten Emissionen.
Zu bedenken sei aber, dass teure Nachrüstungen und Modernisierungen der in die Jahre gekommenen Atommeiler oft in keinem Verhältnis zum Nutzen stünden. Der Ausbau erneuerbarer Energie reduziere in gleichem Maße die CO2-Emissionen und wäre insgesamt günstiger.
 
Atomstrom ist nicht CO2-neutral
 
Zudem sei Strom aus Atomkraftwerken laut Umweltbundesamt gar nicht CO2-neutral. Besonders vor und nach der Stromproduktion, etwa beim Uranabbau, beim Kraftwerksbau oder -rückbau bis hin zur Endlagerung entstünden nämlich Treibhausgase.
Eine Petition gegen das Greenwashing von Atom und Gas hat jetzt Sven Giegold, Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, gestartet. Der beim letzten EU-Gipfel am 22. Oktober von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen angekündigte Vorschlag für das EU-Nachhaltigkeitslabel, das auch Atomkraft und Gas beinhalten soll, bedeute einen Super-GAU für die erneuerbaren Energien, so Giegold.
Geplant sei demnach, neue Atomkraft- und Gaskraftwerke als “nachhaltige Investitionen” einzustufen. Neue Kraftwerke, die nicht dem modernsten Entwicklungsstand entsprechen, könnten dann auf einen Geldsegen hoffen. Damit würden Gas und Atomenergie „grün angestrichen“ und die Weichen für einen klima- und energiepolitischen Irrweg gestellt. Schon heute sei zudem immer öfter der Strom aus erneuerbaren Energien günstiger als der aus Atom und Gas.
 
Risiken der Atomenergie
 
Und die Atomenergie birgt auch Risiken. Weil heute weltweit rund zwei Drittel der Kernreaktoren älter als 30 Jahre sind, sprechen Expert:innen von Greenpeace gar von einer „neuen Ära des Risikos“. Forschende des Max-Planck-Instituts für Chemie halten eine Katastrophe wie in Tschernobyl oder Fukushima etwa alle zehn bis 20 Jahre für wahrscheinlich. Das Risiko, wegen eines havarierten Kraftwerks verstrahlt zu werden, sei dabei in Deutschland am größten, weil in den Nachbarländern Frankreich und Belgien besonders viele störanfällige Kraftwerke betrieben werden.
Ganz zu schweigen von der Gefahr, dass Uran und Plutonium in die falschen Hände geraten könnten.
 
Problem Endlagerung von Atommüll
 
Hinzu kommt das Problem des anfallenden Atommülls, der irgendwo gelagert werden muss. In Deutschland fallen laut quarks derzeit schätzungsweise rund 150 Tonnen hoch radioaktive, abgebrannte Brennelemente an. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung geht bis 2080 von mehr als 10.500 Tonnen bzw. rund 27.000 Kubikmetern hoch radioaktivem Abfall aus (ein Teil wurde nach Großbritannien und Frankreich entsorgt). Hinzu kämen mehr als 300.000 Kubikmeter schwach und mittelradioaktive Abfälle. Dafür ist mit dem stillgelegten Eisenerz-Bergwerk in Salzgitter das erste Endlager in Deutschland gefunden, während die Suche für ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle noch läuft. Wie berichtet, kommen auch Gebiete im Landkreis Rotenburg dafür infrage.
Laut Berechnungen der Internationale Energieagentur (IEA) müssten die weltweiten Emissionen von heute 37 Milliarden Tonnen bis 2050 übrigens auf unter 5 Milliarden Tonnen sinken, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Fast 40 Prozent der Reduktion könne dabei ein effizienterer Umgang mit Energie leisten. Ein Drittel könnten die erneuerbaren Energien beisteuern. Die Kernkraft käme auf einen Anteil von fünf Prozent und dafür müssten etwa 1.000 neue Kernkraftwerke gebaut werden.
 
Technologien verbessern, die es schon gibt
 
Am sinnvollsten sei es, Technologien zu verbessern, die es heute schon gebe, zitiert „Die Zeit“ den Direktor des Berliner Thinktanks Agora Energiewende, Patrick Graichen. Dazu zählen Solar- und Windkraftwerke, Batterien und vor allem Elektrolyseanlagen, mit deren Hilfe sich Wind- und Solarstrom in Wasserstoff umwandeln und über lange Zeit speichern lasse.
 


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