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Lena Stehr

Im Fluss erstickt

Der Anglerverband Niedersachsen hat das massive Fischsterben im Sommer 2023 untersucht und stellt jetzt die Ergebnisse vor.

Überflutete Intensivgrünlandflächen sind laut einer aktuellen Studie des Anglerverbands der Hauptgrund für das massive Fischsterben im Sommer 2023. Viele Ehrenamtliche aus der Region waren damals im Einsatz und sind es immer noch. Die Landesbehörden stehen dagegen in der Kritik.

Aale, die im Todeskampf an Land flüchteten sowie Tausende Forellen, Barsche und Kleinfische die im Uferbereich des kleinen Flüsschens Bade bei Zeven nach Luft schnappten, dazu übler Geruch und große Schaumberge auf der Wasseroberfläche - dieses schreckliche Bild bot sich Angelnden des Angelvereins Badenstedt-Bademühlen am Abend des 13. August 2023, woraufhin der Vorsitzende sofort Alarm beim Anglerverband Niedersachsen (AVN) schlug.

Es folgten Meldungen von weiteren Fließgewässern: die Hamme, Aue-Mehde, Mehe, Aue, Medem, Bever, Otter, Wallbeck, mehrere Moorkanäle bei Bremervörde und viele weitere Gewässer im Landkreis Cuxhaven waren von ähnlichen Szenarien betroffen.

 

Bericht zum „historischen Fischsterben“

 

Dieses „historische Fischsterben in Niedersachsen“ mit tonnenweise erstickten Tieren hat der AVN mit Unterstützung der betroffenen Landkreise sowie vieler Ehrenamtlicher untersucht und dazu jetzt einen 150-seitigen Bericht veröffentlicht.

An mehr als 200 Messstellen zwischen Osterholz und Neuhaus (Oste) hatte ein Team um Ralf Gerken und Andreas Maday über zwei Wochen lang Wasserproben genommen und konnte so ein fast flächendeckendes Bild vom „erschreckenden“ Stand der Gewässerverunreinigungen zeichnen. An repräsentativen Messpunkten in 12 besonders betroffenen Gewässern gingen die Biologen mittels Elektrofischerei tagelang auf Fischfang, um das Ausmaß des Fischsterbens zu quantifizieren. Ausgebildete Gewässerwarte von Angelvereinen an der Oste unterstützten die Datenerhebung mit eigenen Probebefischungen - darunter auch Diplom-Biologe Rainer Küchel, Gewässerwart des Fischereisportvereins (FSV) Bremervörde.

 

An der Oste mit zwei blauen Augen davongekommen

 

„Wir sind an der Oste mit zwei dicken blauen Augen davon gekommen“, resümiert Küchel. Er sei damals als erstes von Anwohnenden des Oereler Kanals angesprochen worden, die sich über fauligen Gestank wunderten. Er habe dann zunächst befürchtet, dass versehentlich aus dem Klärwerk in Oerel verschmutztes Wasser in den Kanal gelangt sei. „Wir haben aber schnell festgestellt, dass dies nicht der Fall war, das aber die angrenzenden Wege und Wiesen überflutet waren“, so der Gewässerwart. Untersuchungen, die von der Stadt unterstützt und im Labor des Klärwerks durchgeführt werden konnten, hätten dann gezeigt, dass nicht etwa Nitrit oder Nitrat, sondern andere fäulnisbildende Stoffe zur Absenkung des Sauerstoffgehalts im Wasser geführt hätten.

 

Gründe für das Fischsterben

 

Nach den außergewöhnlich starken und lang anhaltenden Regenfällen im Juli und August 2023 waren vor allem Intensivgrünlandflächen längere Zeit großflächig überflutet. Die Gräser starben ab, verrotteten und bildeten – befeuert von sommerlichen Temperaturen – einen toxischen Fäulnis-Cocktail. Messungen des AVN ergaben, dass die organische Belastung dieses Wassers teilweise zwei- bis dreimal mal so hoch war wie in häuslichem Abwasser, was schließlich zur Aufzehrung des gesamten Sauerstoffs führte.

An der Hamme und der Wallbeck scheinen auch Schöpfwerke und Stauanlagen eine entscheidende Rolle gespielt zu haben, heißt es im Bericht des AVN. Um die Wiesen schnell von den Wassermassen zu befreien, öffnete man Schleusen und Schöpfwerke, ohne zu ahnen, welche Auswirkungen das für die angrenzenden Gewässer hat: Das organisch extrem belastete Stauwasser floss in kurzer Zeit und großer Menge in die Gewässer und brachte diese schlagartig zum „Umkippen“. In der Summe seien über 100 Kilometer Fließgewässer über mehrere Tage von tödlichen Sauerstoffdefiziten betroffen gewesen.

 

Katastrophale Auswirkungen

 

In allen Gewässern wurden teilweise katastrophale Rückgänge bei nahezu allen Arten dokumentiert. In den meisten Gewässern sei der Bestand an großen Laichfischen verendet, sodass nur eine langsame Erholung der Bestände zu erwarten sei. Besonders tragisch sei die Auslöschung gefährdeter Arten, wie z. B. der Mühlkoppe, deren Bestände in der Bade vollkommen vernichtet wurden. Aber auch die landesweit bedeutenden Kinderstuben von Lachs und Meerforelle in der oberen Oste seien massiv geschädigt worden. Stichprobenartige Untersuchungen in der Bade, Aue-Mehde und Wallbeck zeigen zudem, dass der komplette Bestand an Eintags-, Stein- und Köcherfliegenlarven sowie Libellenlarven vernichtet wurde und somit auch die Nahrungsgrundlage für unzählige Fischarten.

 

In der Hamme war alles tot

 

„In der Hamme war buchstäblich alles tot, das war eine ökologische Katastrophe“, sagt Genia Flock, stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde Ritterhude und 1. Vorsitzende der Fischereigenossenschaft Hamme. Man hoffe nun, dass Fische nachziehen und wolle mit gezielten Maßnahmen Anreize zum Laichen schaffen. Zudem sollen im Mai Millionen kleiner Aale in der Hamme ausgesetzt werden. Man könne aber nicht alle Fische einfach nachkaufen, betont Flock.

In der kommenden Woche sei ein Gespräch mit dem Landkreis geplant, bei dem anhand des nun vorliegenden Datenmaterials besprochen werden soll, wie ein erneutes Fischsterben künftig verhindert werden könne.

 

Symptom eines viel größeren Problems

 

Denn, da die Klimafolgenstudien des Landes vor allem für das nasse Dreieck zwischen Elbe und Weser von einer starken Zunahme von sommerlichen Starkregenereignissen ausgehen, sei nicht die Frage, ob sich solche Ereignisse wiederholen können, sondern wann, betont auch Rainer Küchel. Für ihn ist das Fischsterben des letzten Sommers allerdings lediglich das Symptom eines viel größeren, komplexeren Problems, das durch den Eingriff des Menschen in die Natur entstehe. Es werde zu viel Grundwasser entnommen, gleichzeitig könne zu wenig Wasser versickern. „Wir schaffen es leider nicht, alle an einem Strang zu ziehen, um unsere Ökosysteme zu schützen, stattdessen werden Projekte wie die A20 geplant. Anstatt zu bremsen, fahren wir einfach weiter und sind Gefangene unseres eigenen Systems“, sagt Küchel.

 

Kritik an Behörden

 

Und dieses System hat viele Schwachstellen. So kritisiert der AVN in seinem aktuellen Bericht auch, dass bis heute nicht geklärt sei, welche Behörde eigentlich dafür zuständig sei, die erforderlichen Untersuchungen zur Ermittlung der Schäden am Fischbestand zu veranlassen, zu bearbeiten und letztendlich auch zu finanzieren. Weder das NLWKN, noch das LAVES, Dezernat Binnenfischerei, noch die Landkreise hätten sich (bis auf wenige Ausnahmen) veranlasst gesehen, hier tätig zu werden und hätten zum Teil auf die jeweils andere Behörde verwiesen, heißt es im Bericht. Man habe sich daher auf eigene Kosten und mit erheblichem finanziellem Aufwand dieser hoheitlichen Aufgabe gestellt.

 

Forderungen

 

Um künftig besser reagieren zu können und vorbereitet zu sein, befürworte der AVN unter anderem die im Landkreis Osterholz von der Politik vorgeschlagene Schaffung eines Messnetzes aus fest installierten Messeinrichtungen, die im Falle einer sich ankündigenden Gewässerverunreinigung automatisch Alarm geben und somit helfen, Schadensereignisse frühzeitig zu erkennen und zu dokumentieren.

Da die Analyse zudem klar gezeigt habe, dass vor allem intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen mit nicht an Überschwemmungen angepasster Vegetation die treibenden Faktoren bei der Entstehung der massiven Sauerstoffdefizite in den Gewässern gewesen seien, müsste künftig auch hier mit entsprechenden wasserbaulichen und wasserwirtschaftlichen Maßnahmen angesetzt werden.

Grundsätzlich müssten aber die oft naturfern ausgebauten und zumeist hydromorphologisch degradierten Gewässer wieder naturnäher gestaltet, besser vernetzt und somit resilienter gegen Katastrophenereignisse gemacht werden.

Genia Flock hofft in diesem Zusammenhang, dass es für die Umsetzung von Maßnahmen Fördermittel gibt, denn „das alles kostet Geld und vor allem Manpower“, sagt sie. In diesem Zusammenhang bedankt sie sich bei allen Ehrenamtlichen, die im vergangenen Sommer die Tonnen an toten Fischen aus den Flüssen geholt haben und sich für den Erhalt des Ökosystems einsetzen.


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