Monika Hahn

Gegen Rassismus und Ausgrenzung

Rund 1.300 Menschen demonstrierten in Rotenburg

So viele Menschen wie noch nie zuvor kamen am Wochenende in Rotenburg zusammen, um für demokratische Werte und Menschenrechte zu demonstrieren.

So viele Menschen wie noch nie zuvor kamen am Wochenende in Rotenburg zusammen, um für demokratische Werte und Menschenrechte zu demonstrieren.

Landkreis Rotenburg (eb). Nach Bekanntwerden des Geheimtreffens rechter Ideologen und Funktionäre, bei dem mutmaßlich die Deportation von Millionen missliebiger Menschen aus Deutschland besprochen wurde, zeigt sich die Bevölkerung mehrheitlich geschockt. Bundesweit gehen seitdem die Menschen für demokratische Werte und Menschenrechte auf die Straße. Dem Aufruf des Grünen-Kreisverbands Rotenburg schlossen sich am vergangenen Wochenende zahlreiche Initiativen, Parteien und Gewerkschaften an und organisierten eine Kundgebung auf der Geranienbrücke. Zahlreich waren Bürger:innen aus dem gesamten Landkreis erschienen, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen.

 

Gelebte Demokratie

 

Bürgermeister Torsten Oestmann freute sich über die vielen Menschen und eröffnete die Kundgebung mit einer starken Rede. Der nahende Holocaust-Gedenktag erscheine vor den aktuellen Ereignissen wichtiger denn je. Rechtsextreme machten Versprechen „für die eigene Komfortzone“ und bespielten die Ängste vieler Menschen. „Die Politik muss ehrlich und transparent sein. Erst dann folgen ihr die Menschen“.

Kreissprecher der Grünen, Sven Kielau bedankte sich bei allen, die dem Aufruf zur Kundgebung gefolgt waren und freute sich über das breite Bündnis aus Parteien und Institutionen. „Dieses breite Bündnis heute ist gelebte Demokratie. Wir stehen hier zusammen und haben zum Teil sehr unterschiedliche politische Ansichten. Die Liebe zu unserem freien Land eint uns.“

Der Schulterschluss und ein respektvoller Ton aller vorgetragenen Reden zeichneten die Veranstaltung aus und setzten der aggressiven und menschenverachtenden Rhetorik diverser AfD-Politiker:innen Grenzen.

Sebastian Brandt von der SPD appellierte an die moralische Verpflichtung, Verunglimpfung von Mitbürger:innen zu bekämpfen. „Jeder verdient es, respektiert zu werden, in einer Gesellschaft, in der Vielfalt als Stärke wahrgenommen wird.“

 

Menschen in Angst

 

Selbstkritisch äußerte sich Eike Holsten von der CDU: „Was haben wir falsch gemacht? Woher kommt der Vertrauensverlust in die Politik? Es hilft uns nichts, wenn wir abweichende Meinungen diffamieren. Gehen wir anständig miteinander um und reden wir miteinander.“

Alexander Künzle, vom FDP-Kreisverband zeigte sich überwältigt von so vielen Menschen in Rotenburgs Innenstadt. Er berichtete von Gesprächen mit migrantischen Freunden und Kolleginnen, die mit Anfeindung, Beschimpfung und Ausgrenzung konfrontiert wären. „Mir hat es das Herz zerrissen, als ich gehört habe, dass diese Menschen wieder Angst haben müssen.“

Als letzter und prominentester Vertreter der Politik trat der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil vor die Menge. Der Sozialdemokrat aus dem Heidekreis berichtete ebenfalls betroffen von persönlichen Nachrichten von Menschen in Angst, die ihn erreichten. Der Bundestagsabgeordnete nehme auch durch die Bauernproteste eine breite Unzufriedenheit mit der Politik wahr. „Wir müssen Sachen besser machen, auch in Berlin.“ Er habe sich darüber gefreut, dass die Verantwortlichen der Bauernproteste am 8. Januar keine Unterwanderung durch Rechte zugelassen hätten. Er betonte die Bedeutung des Grundgesetzes, das in diesem Jahr seit 75 Jahren Grundlage unserer freiheitlichen Demokratie sei. „All denen die ein anderes Land wollen sagen wir: Wir brauchen keine Alternative zum Grundgesetz. Wir brauchen keine Alternative für Demokratie.“

Die Organisatoren der Veranstaltung verlasen anschließend besonders gewaltverherrlichende, menschenverachtende und kampflustige Zitate von vielen AfD-Politikern und wenigen AfD-Politikerinnen.

 

Im Gespräch bleiben

 

Anschließen ergriffen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen wie etwa die Omas Gegen Rechts, die Landfrauen, die GEW und das Aktionsbündnis Aufstehen gegen Rassismus das Wort.

Mehrere Rednerinnen und Redner betonten an diesem Tag, dass Demokratie auch bedeute, die eigene Komfortzone zu verlassen. In den Dialog zu gehen, „setzt euch zu Leuten, mit denen ihr sonst nicht redet, bleibt im Gespräch“, formulierte es Ilka Holsten-Poppe von den Landfrauen. Einigkeit herrschte darüber, dass es nicht ausreiche, eine Kundgebung zu besuchen, sondern die Werte der Demokratie auch im Alltag verteidigt werden müssten. Stefan Klingbeil von Aufstehen gegen Rassismus warb in diesem Zusammenhang für mehr Sensibilität: Die rechtsextremen Gruppierungen träfen sich regelmäßig, z. B. in Gaststätten. Das Bündnis spreche deshalb gezielt Gastwirte an, ob sie den Rechten wirklich ein Treffpunkt sein wollten. Wer sich nicht traue, in der eigenen Nachbarschaft z. B. auf Gastronomiebetreibende zuzugehen, könne dem Bündnis auch einen Hinweis geben.

 

Die Innenstadt war noch nie so voll

 

Weder die Veranstalter noch das Publikum konnte sich erinnern, wann es in der Innenstadt schon einmal so voll gewesen war. „Das hier und heute wird Einzug in die Stadtchronik halten. Zu dieser Bemerkung ließ sich etwa Sven Kielau sichtlich überwältigt hinreißen.

Die Demonstration lief friedlich und ohne spontane Störaktionen seitens der Demokratiefeinde ab. Gekommen waren Menschen jeden Alters, viele ältere und junge Erwachsene jedoch auffallend wenige Jugendliche. „Nie wieder ist jetzt. Meine Großeltern haben den Faschismus in Deutschland erlebt. Meine Mutter hat sehr darunter gelitten. Ich habe Sorge um meine vielen migrantischen Freunde“, beschrieb Caren aus Ramshausen ihre Motivation an der Demo teilzunehmen.

Durchaus unterschiedliche Meinungen herrschten im Gespräch mit Demonstrierenden darüber, wie mit im persönlichen Umfeld vermuteten AfD-Wähler:innen umzugehen sei und variierten von „klare Kante“ bis zu „im Gespräch bleiben“. Dahinter steckt oft die Frage, ob und wie diese Menschen zum Vertrauen in die Demokratie zurückzugewinnen seien, und ob dies als realistisch angesehen wird


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