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Ute Mahler-Leddin

Die Emotionen kochen hoch

Podiumsdiskussion zum Thema Wolf mit rund 2.000 Menschen mit Kommentar von Ute Mahler-Leddin

Wingst. Weidetierhalter:innen, Vertreter:innen aus Politik, Jägerschaft, Landwirtschaft und Naturschutz diskutierten über die steigende Zahl von Wölfen in Niedersachsen und die wachsende Angst in der Bevölkerung.

Zur Diskussion zum Thema „Die Zukunft der Weidetierhaltung“ waren kürzlich fast 2.000 Menschen in die Reithalle Wingst-Dobrock gekommen. Die von Stefan Aust moderierte Podiumsdiskussion wurde begleitet von Christian Meyer (Nds. Umweltminister), Dr. Hinni Lührs-Behnke vom Hannoveraner Verband, Oberdeichgraf Dr. Albert Böhlke, Wolfsberater Michael Ohloff, Wolfgang Müller vom Nabu, Helmut Dammann-Tamke von der Landesjägerschaft, Bundestagsabgeordneter Klaus Mack sowie Heino Klintworth als Vertreter des Landvolks. Der EU-Abgeordnete, David McAllister, konnte wegen Präsenzpflicht in Brüssel nicht live an der Diskussion teilnehmen und wurde online zugeschaltet.

 

Mehr als 10.000 gerissene Tiere

 

„Aktuell gibt es mindestens 55 Rudel (plus ein paar unentdeckte) in Niedersachsen – dass sind zwischen 400 und 600 Tiere“, bestätigte Umweltminister Meyer und ergänzte, dass es vor 10 Jahren nur ein bis zwei Rudel in Niedersachsen gegeben hätte. Insgesamt komme man inzwischen auf weit über 10.000 gerissene Tiere in den letzten 10 Jahren.

Margitta Bertram, Bürgermeisterin der Gemeinde Kranenburg, berichtete von der Angst der Bevölkerung vor den Wölfen. Nach der Wolfsattacke auf eine Schafherde mit 55 toten Tieren sei die Situation extrem angespannt, denn der Wolf habe seine Scheu verloren und laufe auch tagsüber mitten durch die Ortschaft.

 

Von anderen Ländern lernen

 

Der aus Brüssel zugeschaltete McAllister bestätigte, dass es für Niedersachsen ein besonders angepasstes Wolfsmanagement geben müsse und die EU zu lange brauchen würde, um auf die sich wandelnde Situation zu reagieren. Einige Länder hätten bereits ein anderes Wolfsmanagement und man sollte einen Blick Richtung Frankreich, Skandinavien oder dem Baltikum werfen, und von den Ländern lernen, meint der aus der Region stammende EU-Politiker.

Auch der Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Umweltausschusses, Klaus Mack, hat sich intensiv mit der Wolfs-Thematik beschäftigt. „Die Kosten die ein Wolf verursacht, belaufen sich auf etwa 160.000 Euro – insgesamt über 54 Millionen in den letzten 5 Jahren nur für das Wolfsmanagement und die Ausgleichszahlungen“. Hierbei seien nur die Risse aufgefangen worden, und nicht die durch Stress verursachten Fehlgeburten bei Schafen und Kühen.

 

NABU-Sprecher wurde ausgebuht

 

Für den NABU sprach Wolfgang Müller. Der Naturschutzbund sei für weiteren Herdenschutz und gegen die Abschussquoten, wobei vereinzelte Entnahmen von „Problemwölfen“ toleriert werden würden, so Müller, der für seine Aussagen viele Buhrufe und Pfiffe aus dem Publikum erhielt.

Wolfsberater Michael Ohloff versuchte die Situation etwas zu entschärfen, indem er lapidar mit „Siehst du einen Wolf – hast du kein Problem, siehst du zwei – hast du ein Problem“, in das Thema einstieg. Deutschland, besonders Niedersachsen, sei das größte Freilandexperiment im Bereich Wolf. In Deutschland hätte vor 10 Jahren keiner damit gerechnet, dass sich der Wolf so vermehrt, meint der Experte.

Aktuelle Zahlen gehen davon aus, dass wir mit 33 Prozent Zuwachs im Jahr rechnen müssen – das würde bedeuten, dass wir in 2 bis 3 Jahren nicht mehr von 400 – 600 Wölfen, sondern von 800-1.200 Wölfen in Niedersachsen reden und entsprechend die Kosten sich vervielfachen. Diese Zahlen wurden vor 10 Jahren bereits von der Jägerschaft prognostiziert und hochgerechnet – von den damaligen Fachleuten aber als unrealistisch abgestempelt, erinnern sich anwesende Jäger, die auch bei der ersten großen Versammlung im September 2014 in der Bördehalle Lamstedt anwesend waren.

 

„Platz für fünf Rudel in ganz Niedersachsen“

 

Auf die Frage, für wie viele Wölfe in Niedersachsen wirklich Platz wäre, nannte der Wolfsberater Ohloff „Fünf Rudel“ .

Der Präsident des Deutschen Jagdverbandes, Helmuth Dammann–Tamke, bemängelt die Herangehensweise an das Wolfsthema. „Wir Jäger sind noch nie zu dem Thema befragt worden oder haben unsere Erfahrungen auch zum Thema Bestandsmanagement einbringen können. Aber, wer soll dann die Entnahme der Wölfe vornehmen? Die Jäger oder die Polizei?“, fragte Dammann-Tamke provokativ. Die Politik sei weltfremd und kompliziert, zeigte sich der ehemalige Politiker frustriert.

 

Schäferin beklagt „politischen Irrsinn“

 

Aus der Lüneburger Heide war die Jung-Schäferin, Verena Jahnke, angereist, um aus ihrem inzwischen traurigen Alltag zu berichten. Ihre fünf Schafherden seien Tag und Nacht den Angriffen der Wölfe ausgesetzt und selbst in den Ställen nicht mehr sicher. Sie sei noch jung, habe aber inzwischen keine Kraft mehr – und kein Verständnis mehr für diesen politischen Irrsinn.

Oberdeichgraf Dr. Albert Böhlke bestätigte die Wichtigkeit von den Schafen für den Deichschutz - besonders in der aktuellen Situation. Die Deichlinie könne aber nicht wolfssicher eingezäunt werden, somit seien inzwischen viele Schäfer:innen am Limit und einige hätten ihren Beruf und ihre Berufung aufgegeben, da sie finanziell und emotional am Ende seien.

Viele Pferde mit ihren Fohlen und Rinder seien aktuell nicht mehr auf den Weiden, sondern würden nur noch in Ställen gehalten, sagte Dr. Hinni Lührs-Behnke traurig. „Dies ist eine Entwicklung, die wir mit sehr großer Sorge sehen – gerade in den letzten 2 Jahren sind die Risszahlen immens gestiegen“.

Was macht den Wolf besser als ein anderes Tier und wer geht das Problem endlich an?, fragten sich viele Zuhörende. Egal ob Nutztier oder Wild – der Wolf nimmt sich, was er braucht. Das zeigten auch die Videos, die auf der Großleinwand eingespielt wurden. Selbst vor Haus- und Hofhunden machen die Wölfe keinen Halt, wie Kameraaufnahmen deutlich zeigten. Das Gefühl bei vielen, von der Politik und Gesellschaft allein gelassen zu werden, lässt derweil die Emotionen immer höher kochen.

Die am 12. Oktober 2023 von Bundesumweltministerin Steffi Lemke angekündigte „schnelle unbürokratische Hilfe bei Problemwölfen bis zum Jahreswechsel“ sei leider nur eine Phrase – denn bis heute sei diesbezüglich nichts angestoßen worden. Erneut verstreiche eine Weidetier-Saison in der nichts passiere, bemängelten viele anwesende Landwirte, die zudem das Gefühl haben, dass „Stadtbevölkerung“ und „Landbevölkerung“ hier unterschiedliche Ansichten hätten, die aber nur durch live erleben verdeutlicht werden können.

 

Kinder in Angst

 

So spricht auch eine Pferdebesitzerin aus der Wingst von ihren Erlebnissen, bei denen zwei ihrer Pferde verletzt worden sind und der Wolf nun nachweislich „neben dem Waldkindergarten“ wohne. Kinder würden sich schon gar nicht mehr trauen, zu den Pferden zu gehen oder auszureiten. Dr. Dirk Timmermann aus Cuxhaven fragte die Politiker in der abschließenden Diskussionsrunde provokativ, ob die Sicherheit der Menschen und Werte durch fehlenden Deichschutz bewusst in Kauf genommen würde und somit das Wohl des Wolfes über das des Menschen gestellt werden würde.

Helmuth Dammann-Tamke machte deutlich, wie wichtig es sei, dass sich die Politik und die Jägerschaft an einen Tisch setzen.

Stades Landrat Kai Seefried berichtete von den aktuellen Sichtungen der Wölfe direkt in Hausnähe im Obstanbaugebiet Altes Land – die Bürger verlören inzwischen immer mehr das Vertrauen in die Politik und in die Behörden. „Die Politik sollte mehr Respekt vor der Landwirtschaft zeigen, die für unsere Versorgung da sind“, so Seefried.

 

Kommentar von Ute Mahler-Leddin

 

Als Tochter eines Jäger-Ehepaares bin ich mit der Liebe zur Natur aufgewachsen. Mein Vater ist oft „mit der Waffe losgezogen“ und mit „tollem Anblick“ - also ohne etwas erlegt zu haben - zurückgekommen. Für ihn war es wichtig, die Natur im Einklang und Gleichgewicht zu wissen und er erfreute sich immer an der wilden Vielfalt im Revier. Bereits vor 10 Jahren diskutierten wir die drohende Gefahr mit den Wölfen. Wie Hunde können Wölfe mindestens 1x im Jahr einen Wurf mit durchschnittlich 5 – 7 Welpen zur Welt bringen – die hier in Deutschland keine natürlichen Feinde haben. Damit ließ sich für uns – und andere Jäger – schnell hochrechnen, wie sich die Population in Niedersachsen entwickeln wird. Meinen ersten Pressetermin nach einem Wolfsriss in Stinstedt, Börde Lamstedt, vergesse ich bis heute nicht. Im März 2014 standen Richard und Kay Krogmann inmitten von verletzten, toten und verschreckten, wild durcheinanderlaufenden und blökenden Schafen. Einige der tragenden Schafe hatten später Fehlgeburten (diese werden nicht über Ausgleichszahlungen abgegolten). Diese Schreie der Schafe, den Geruch von Aas und Blut und diese wilde unsinnige Tötung von Schafen werde ich niemals vergessen. Ich bin ein Tierfreund – und gerade deswegen der Meinung, dass der Wolf dort leben sollte, wo er Platz und wo er sein ursprüngliches Revier hatte – in Russland, Kanada und Alaska, damit unser heimisches Wild und unsere Nutztiere eine Chance haben, in freier Wildbahn friedlich zu leben.

 

Hintergrund

 

Wölfe genießen den höchstmöglichen Schutzstatus. In Deutschland gelten sie aufgrund des Bundesnaturschutzgesetzes als streng geschützte Art. Innerhalb der Europäischen Union wird der Wolf durch die Anhänge II, IV und V der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geschützt. Möchte man dieses ändern, gilt es ein besonderes Prozedere einzuhalten. Der EU-Umweltministerrat tagt das nächste mal am 17. Juni, bis dahin müsste die Politik ihre Eingaben machen. Danach kommt die Berner Konvention, und dann die FFH-Richtlinie. Wenn die EU-Kommission möchte, dass der Schutz für Wölfe verringert wird, müsste sie vorschlagen, die FFH-Richtlinie zu ändern. Das geht erst, nachdem der Schutzstatus in der Berner Konvention gesenkt wurde. In der FFH-Richtlinie gibt es eine Liste namens Anhang IV, dort sind die Arten aufgeführt, die besonders geschützt sind. Wölfe stehen auch auf dieser Liste. Das bedeutet, dass es verboten ist, absichtlich Wölfe zu fangen oder zu töten, die aus der Natur stammen. Aber es gibt eine Ausnahme: Wenn eine Art im Anhang V der Richtlinie steht, gelten weniger strenge Regeln. Wenn die EU den Wolf also vom Anhang IV in den Anhang V verschieben würde, könnten flexiblere Regeln für die Entnahme gelten.

 


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