

Bremervörde. Bei der Diskussionsveranstaltung zum vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) geplanten Abriss des Ostewehrs Ende Oktober im Oste-Hotel stimmten nahezu alle Besucher für einen Erhalt. Dagegen timmte der Bremervörder Diplom-Biologe Rainer Küchel.
Zur Begründung verweist Küchel auf wissenschaftliche Erkenntnisse von Ralf Gerken, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Angelverbandes Niedersachsen.
„Die fehlende Durchgängigkeit am Oste-Wehr in Bremervörde trägt aktuell maßgeblich zur Verfehlung der verbindlichen Ziele der EG-WRRL und hier insbesondere für die Qualitätskomponenten Fischfauna und Hydromorphologie/Durchgängigkeit bei.“
Die EG-Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) bildet seit dem Jahr 2000 den zentralen Rechtsrahmen der EU für den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung aller Gewässer. Sie gilt für Flüsse, Seen, Küstengewässer und Grundwasser in allen Mitgliedstaaten und soll deren ökologische Qualität langfristig sichern.
Laut Küchel komme Gerken zu der Einschätzung, dass lediglich Lachs und Meerforelle das Wehr fast ungehindert passieren können. Die anderen 32 zur natürlichen Fischfauna zählenden Arten würden das Wehr dagegen nur mehr oder weniger stark eingeschränkt oder überhaupt nicht passieren können. Stattdessen brauche es eine Sohlgleite.
Nichtfunktionierende Fischpässe
Küchel stützt seine Haltung auch auf eine Mitteilung des Dezernats Binnenfischerei des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES), das sich konkret zum Oste-Wehr und den Planungen des NLWKN geäußert habe. Seitens LAVES heißt es, dass die Oste eine überregional hervorgehobene Bedeutung als Fischwanderroute habe. Aus diesem Grund, in Kombination mit den hydrologischen Rahmenbedingungen, sei nicht der Erhalt des Oste-Wehrs, sondern die fachplanerisch in einem langen Entwicklungs- und Dialogprozess erarbeitete Variante zur Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – die Sohlgleite – „aus fachlicher Sicht die einzig zielführende“.
Den Befürwortern des Erhalts des Wehrs schwebe zur Erfüllung der WRRL ein Umgehungsgerinne oder eine Fischtreppe vor. Doch das würde nach Sicht des NLWKN und des LAVES nicht das gewünschte Ziel erreichen, sondern die aktuelle Situation verschlechtern. Ein erheblicher und ungeregelter Wasserabfluss durch den Bremervörder Hafen führe gemeinsam mit einem zusätzlichen Abfluss durch ein kleines Umgehungsgerinne dazu, dass an keinem dieser Abflüsse ein ausreichend permanenter Wasserdruck für einen notwendigen Lockstrom erzeugt werde.
Generell müssten sehr viele Parameter optimal sein, damit Fische und andere aquatische Lebewesen Fischtreppen oder Umgehungsgerinne akzeptieren und nutzen. Beispiele für nichtfunktionierende Fischpässe gebe es einige, etwa am Weserwehr Bremen oder an den Fischtreppen in Geesthacht und Winsen.
„Als weiteres Problem sehe ich die weiter existierende Praxis mit den zwei unterschiedlichen Wasserstauzielen für Winter und Sommer, bei Erhaltung des Wehrs mit Umgehungsgerinne. Gerade die Umstellung von der Winterstau- zur Sommerstauhöhe, bei der der Wasserstand um 20 Zentimeter abgesenkt wird, fällt genau in die Fortpflanzungszeit vieler Lebewesen an Land und im Wasser, was sehr einschneidend ist“, so Küchel. Auch müsse ein Umgehungsgerinne diese beiden unterschiedlichen Stauhöhen beherrschen, was kaum erfolgreich umzusetzen sei.
Vorteile der Sohlgleite
Mit der Ersetzung des Wehrs durch eine Sohlgleite würden laut NLWKN die zwei Stauhöhen wegfallen, da sich die Stauhöhe auf einen Mittelwert zwischen Sommer- und Winterstauhöhe einstelle. Das sei für alle Pflanzen und Tiere im gesamten Ökosystem der oberen Oste optimal.
Zu den berechneten und im Modellversuch ermittelten Stauhöhen zu verschiedenen Hoch- und Niedrigwasser-Szenarien hat der NLWKN auf Anfrage mitgeteilt, dass Hochwasser, die statistisch alle fünf, zehn oder 100 Jahre auftreten, sich mit Sohlgleite geringfügig niedriger als bisher einstellen. Lediglich bei geringeren Hochwassern würden höhere Wasserstände erwartet. Befürchtungen, das Bachmann-Museum könne durch das Ersetzen des Wehrs Schaden nehmen, teile man beim NLWKN nicht. Das angestrebte Stauziel liege im Mittel höher als die bisherige Sommerstauhöhe. Vor rund 30 Jahren habe die Stauhöhe sogar unterhalb der jetzigen Sommerstauhöhe gelegen – Schäden hätte es also bereits früher geben müssen, wie Klaus Jänsch vom NLWKN (Geschäftsbereich Betrieb und Unterhaltung) mitteilt.
Konstruktive Ideen
Der ehemalige Revierförster Dirk Israel betont, dass die EU-Wasserrahmenrichtlinie vorgibt, sämtliche Gewässer in der EU in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen. Für Fließgewässer bedeute das unter anderem eine Durchgängigkeit von der Quelle bis zur Mündung. Querbauwerke wie das Oste-Wehr müssten beseitigt werden, um allen Arten natürliche Wanderungsbewegungen zu ermöglichen.
Auch Israel hält den Vorschlag, das Wehr zu erhalten und ein Umgehungsgerinne anzulegen, für nicht zielführend, da etwa ein Drittel der Arten ausschließlich im Hauptgerinne wanderten und eine „Umleitung“ nicht annehmen würden. Israel schlägt daher ebenso vor, das Wehr durch eine Sohlgleite zu ersetzen, damit alle Arten ungehindert in der Oste wandern können. Sein Vorschlag hält aber einen Kompromiss bereit: Das „Wehrhäuschen“ könne in unmittelbarer Nähe wieder aufgebaut werden, in dem eine touristische Dauerausstellung installiert wird, die Teiles des Wehr beherbergt, erläutert und die Tradition der Flusskontemplation fortführt.
Der Abbau des Oste-Wehrs sei aber alternativlos.


