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Nadine Schilling

Stumme Weihnachten

„Sag danke!“, schrie der Mann den Jungen am Straßenrand an, doch der Junge blieb stumm. Der Mann hatte dem kleinen Jungen etwas Geld in seinen Becher getan und starrte den Jungen erwartungsvoll an. Der Junge sah den Mann dankend an, doch der Mann bemerkte dies nicht. Er wandte sich zu seinen Freunden: „Lasst uns gehen! Es ist nur ein weiterer undankbarer Rotzlöffel!“ Er war gerade dabei, zu gehen, doch entschied sich in letzter Sekunde um und nahm das Geld wieder aus dem Becher. „Wer nicht, danke, sagen kann, bekommt auch nichts!“ Der Mann und seine Kumpels gingen.
Der Junge sah traurig in den Becher. Es waren nur wenige Münzen darin. Zu wenig Geld, um sich zu ernähren.
„Guck mal, Mama“, sagte der kleine Junge, der das Geschehen beobachtet hatte, „Darf ich etwas Geld haben, um es dem Jungen da drüben zu geben?“ Der fünfjährige Junge sah seine Mutter gespannt an, doch bekam keine Antwort. Die Mutter starrte auf ihr Handy, als wäre sie von ihrem Smartphone in den Bann gezogen worden. Der Junge schaute traurig auf den mit Schnee bedeckten Boden, auf dem viele Fußspuren zu sehen waren. Immer starrt sie auf den komischen Kasten, dachte der Junge enttäuscht. Seine Mutter und er waren auf dem Weihnachtsmarkt, wo sie auf den obdachlosen sechsjährigen Jungen trafen, der um Geld bettelte. Der kleine Junge starrte die Stände bewundert an und liebte die verschiedenen Gerüche, die von allen Richtungen kamen, doch er würde es schöner finden, wenn seine Mutter endlich einmal ihr Handy wegpacken würde und sich, wie er selbst über den riesigen Tannenbaum freuen würde. Er ließ die Hand seiner Mutter los und machte sich auf den Weg zu dem kleinen Jungen, der hoffnungsvoll zu jedem Menschen sah, der an ihm vorbeilief. Nun stand der kleine Junge vor dem obdachlosen Kind. „Hallöchen“, sagte der Junge freudig. „Mein Name ist Leonard. Du kannst mich aber auch Leo nennen. Wie ist denn dein Name?“ Leo sah den Jungen fragend an, doch der Junge blieb stumm. Wieso spricht er denn nicht?, fragte sich Leo und bohrte weiter nach: „Freust du dich auch schon auf Weihnachten?“ Der Junge sah ihn an, jedoch kam kein Wort aus ihm heraus. „Also ich freue mich darauf! Es ist zwar etwas doof, dass meine Familie nur auf ihr Handy starrt, aber wenigstens bekomme ich jedes Jahr ein Geschenk“, berichtete Leo stolz, „Allerdings ist mein Papa auf Geschäftsreise. Er ist sehr beschäftigt.“ Seine Freude wich aus seinem Gesicht. Der obdachlose Junge sah Leo bemitleidend an. „Weißt du, ich nenne dich einfach Karl!“, meinte Leo, „Wo sind eigentlich deine Eltern, Karl?“, fragte Leo und wartete auf eine Antwort, doch er bekam wieder keine. „Sie sind wahrscheinlich auch auf dem Weihnachtsmarkt“, meinte Leo und zeigte in Richtung Weihnachtsmarkt, wo die Weihnachtsmusik herkam. „Hier möchtest du auch etwas abhaben?“, fragte er und hielt dem anderen Jungen seinen Crêpe entgegen, doch der Junge starrte Leo nur weiter an. „Ich leg den hier mal hin“, sagte Leo und ging zu seiner Familie zurück.
Jeden weiteren Tag ging er zu dem Jungen und gab ihm etwas zu essen oder etwas von seinem Taschengeld, sodass Karl ihn immer dankend ansah, allerdings sagte er nie etwas, doch dies störte Leo nicht und so rückte Heiligabend immer näher.
Nun war der Tag gekommen, an dem die Familien zusammensaßen und sich gegenseitig beschenkten. Doch trotz des heiligen Tages saß der Junge, der den Namen Karl bekam, alleine am Straßenrand und sah den Schneeflocken beim Fallen zu. Viele anderen Kinder hätten sich über den Schnee gefreut, doch Karl nicht, denn er fror und war alleine, sodass er traurig auf den Schnee starrte und auf Menschen hoffte, die ihm Gesellschaft leisten würden, doch er blieb alleine. Doch auf einmal hörte er das Knirschen im Schnee, wie wenn jemand durch den Schnee schritt. Es war Leo, der Karl freudig ansah. „Dachtest wohl, ich lasse dich hier allein, was?“, fragte Leo glücklich, „Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen!“ Leo ging davon und Karl sah ihn fragend nach, doch zum ersten Mal stand Karl auf und verließ den Platz. Schweigend folgte Karl Leo, bis Leo stolz auf einen kleinen Busch zeigte, den er selbst geschmückt hatte. „Er ist zwar nicht so groß wie der Tannenbaum auf dem Weihnachtsmarkt, aber das ist doch nicht so wichtig, oder?“, fragte Leo. Er hatte sich schon daran gewöhnt, dass Karl nicht sprach. Karl sah den Busch an und Leo konnte zum ersten Mal Bewunderung in Karls Augen sehen. Er betrachtete ihn von allen Seiten und ihm fiel ein kleines Paket unter dem Busch auf, sodass er Leo fragend ansah. „Das ist mein Geschenk an dich“, sagte Leo und hoffte, Karl würde sich darüber freuen. Karl hockte sich hin und zog das Geschenk zu sich hin und sah Leo an, worauf Leo ihm zunickte. Karl öffnete das Geschenk. Erst langsam, doch er wurde immer schneller, als er sah, was darin war: Ein großer Teddybär, den er an sich drückte. Eilig stand Karl auf und rannte zu Leo, den er ebenfalls an sich drückte. Zum ersten Mal sah Leo, wie Karl lächelte. „Das machen wir jetzt jedes Jahr, oder?“, fragte Leo freudig und Karl nickte glücklich und umarmte ihn ein weiteres Mal. Ein Mann schritt auf die beiden Jungs zu und betrachtete freudig das Geschehen. Karl wollte fast gar nicht mehr seinen neuen Freund loslassen. Er wusste, Leo müsste bald wieder zu seiner Familie, doch dies wollte er nicht geschehen lassen. „Keine Sorge, Karl, du wirst nie wieder alleine sein“, versicherte Leo ihm und zeigte nun zu dem Mann: „Sieh mal, das ist mein Vater und weißt du, warum du nie mehr alleine sein wirst? Ich habe sie solange überredet, bis sie mir versprochen haben, dass du zu uns ziehen darfst und dass nicht nur über Weihnachten!“ Karl sah Leos Vater an und versuchte an ihm zu erkennen, ob dies stimmte. Er nickte. „Ich weiß zwar nicht, ob du wirklich Karl heißt, aber du darfst nun bei uns wohnen, Karl“ Er hockte sich hin und umarmte sein neues Familienmitglied. „Bei uns findet auch gleich die Bescherung statt“, erzählte Leos Vater und lief mit den beiden Jungs Hand in Hand nach Hause.
Luisa (15 Jahre) und Marlena (13 Jahre) Wiethölter.


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