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Nadine Schilling

Manchmal ist jemand da, der hilft

Es ist Sonntag der 1. Dezember 2013, der 1. Advent. Der Tag an dem der Weihnachtsmann aktiv wird. Ausgeschlafen, feierlich und würdevoll schreitet er zu seinem riesigen Briefkasten. Jetzt sollten die vielen Millionen Wunschzettel angekommen sein. Er hat große Körbe dabei sie zu sortieren. Diese leitet er dann weiter in seine Wichtelwerkstatt .
Die Wichtel arbeiten rund um die Uhr in Schichten. Er kontrolliert die Waren mit seiner Wunschliste und sortiert sie auf seinem Schlitten, um sie in der Heiligen Nacht schnell zu verteilen.
Die strahlenden Kinderaugen der letzten Jahre kommen ihm in den Sinn, die freudig und auch ein wenig ängstlich vorgetragenen Gedichte. Er schmunzelt über die Sorge der Kinder, wegen ihrer kleinen Vergehen des vergangenen Jahres, die doch eigentlich nur menschlich waren.
Er öffnet seinen Briefkasten.
Aber was ist das???? Er ist entsetzt, kann es nicht fassen!!!?!! Der extra große Kasten ist völlig leer. Was ist geschehen???
Er rennt zum Stall, schreit schon in der Tür: „Aufstehen! Wacht auf! Ihr habt lange genug geschnarcht! Für die Tiere war es vier Wochen zu früh. Sie erwachen zwar nach und nach, sind aber ziemlich verwirrt. Sie realisieren kaum, dass sie vor den Schlitten gespannt werden. Mehr in Trance reagieren sie auf die Befehle des ungewohnt aufgeregten Weihnachtsmanns. Der versteht die Welt nicht mehr. Alles scheint normal zu sein. In den Supermärkten liegen die weihnachtlichen Süßigkeiten aus. Es sind sogar noch einige Adventskalender übrig, obwohl heute schon das erste Türchen geöffnet wird?! Wo aber bleiben die Wunschzettel?? Auch die Straßen sind doch weihnachtlich geschmückt, was also ist geschehen?
Wohin soll er fliegen in der Weihnachtsnacht? Keine Wunschzettel, keine Adressen. Frustriert landet der Weihnachtsmann auf dem Parkplatz eines Supermarktes, der zu dieser späten Stunde lange geschlossen hat. Er geht spazieren. Da er noch seine Freizeit Kleidung trägt, wird er nicht erkannt.
Ein Jugendlicher auf dem Weg zur Disko kommt ihm entgegen. Der Weihnachtsmann sucht nach Kontakt, nach Antworten und fragt nach dem Weg zu einer Straße, die ihm noch in Erinnerung war. Der Knabe antwortet: „Haste kein Navi?“
Der Weihnachtsmann sucht sich einen Ort, an dem er und seine Tiere übernachten können. Er denkt an die Weihnachtsgeschichte und fürchtet, dass ihm niemand ein Lager bietet. Also schleicht er sich in eine Art Schuppen und nächtigt dort. Er schläft lange nicht ein, weil er sich immer fragt, was wohl in der Welt geschehen sei? Warum ist plötzlich alles so anders?
Irgendwann übermannt ihn doch der Schlaf und er erwacht erst spät am Morgen. Es ist Sonntag. Er fühlt sich wie gerädert und beschließt ein wenig an frischer Luft spazieren zu gehen. Hier belauscht er auf der Straße ein Gespräch. Eine ältere Dame fragt ein kleines Mädchen, ob sie denn schon ihren Wunschzettel geschrieben habe. Das Kind antwortete: „Jaha, aber ich musste ihn wegschmeißen.“
„Warum denn?“ „Mama sagte: Es sei noch zu früh.“ „Wann hast du ihn denn geschrieben?“ „Als die Schokoladen Weihnachtsmänner da waren natürlich!“ „Und was hast du dann gemacht?“ „Dann hatten wir ein tolles Gartenfest mit Grillen. Wir Kinder plantschten in meinem Schwimmbecken, weil das Wetter so schön war.“ „Und jetzt hast du keinen neuen Wunschzettel geschrieben?“ „Darf ich denn jetzt???“
Nun erkannte der Weihnachtsmann die Ursache seines leeren Briefkastens und war sehr traurig. Im Laufe seines Rundgangs bemerkte er, dass dies für die Kinder heutzutage normal geworden war. Glaubten sie noch an ihn? Hatten sie noch Wünsche? Sind sie noch zu bezaubern? Wird er je wieder in strahlende Kinderaugen sehen? Ist er einfach nicht mehr zeitgemäß? Sollte er den Jungen von neulich ernst nehmen und sich ein Navi besorgen?
Ja, das sollte er tun. Wie soll er auch den Weg finden, wenn niemand mehr ein Licht ins Fenster stellt.
Er geht in ein Kaufhaus, um sich ein Navi zu kaufen und stößt auf die Weihnachtsbotschaft: Überall Angebote, die versprechen, dass gerade dieses Produkt unbedingt auf den Gabentisch gehört.
Er kauft sein Navi und geht langsam zu seinem Schlitten zurück. Er hat in dieser Abteilung des Geschäftes vieles über Computer erfahren. Er weiß nun, dass man alles googeln kann, was man wissen möchte, und dass man online viel billiger Produkte erwerben kann, als im normalen Handel.
Er legt sich erschöpft neben seinen Rentieren zum Schlafen. Irgendwann erwacht er schweißgebadet. Er hatte einen Alptraum. Er sah keine Geschäfte mehr in all den Straßen, er sah keine Wünsche mehr in den Augen der Menschen. Er sah nur noch Computer, die alles möglich machten, über die man sich jeden Wunsch erfüllen konnte.
An diesem Morgen wollte er sein Navi ausprobieren. Vielleicht kommen ja doch noch Weihnachtswünsche bei ihm an und dann wird die Zeit knapp, so dass es gut ist den Weg schnell zu finden.
Er startet. Sein Navi reagiert nicht. Natürlich es ist ja auch auf den Straßenverkehr ausgelegt. Er muss tiefer fliegen. Jetzt empfängt er ein Signal. Aber: Huch, was ist denn das?? Windräder, Hochhäuser, Strommasten versperren seinen Weg. Auf diese weist sein Navi nicht hin. Erschrocken landet er.
Er findet einen Ort an dem er zwischen seinen Rentieren schlafen kann.
Heute hat er keinen Alptraum. Erschöpft und enttäuscht wie er war, schläft er tief und fest.
Er wacht erst auf, als er wahrnimmt, dass an ihm gerüttelt wird. „Hey du, bist du der Weihnachtsmann??“ „Wieso“, antwortet er noch benommen und schläfrig. „Na sind das nicht die Rentiere des Weihnachtsmanns, besonders der da, mit der roten Nase?“ „Ja, das ist Rudi“. Nun erkennt er den 14 jährigen Knaben von gestern wieder und fragt erstaunt: „Erinnerst DU dich denn noch an den Weihnachtsmann und glaubst gar noch an mich? Bist du nicht eines dieser neuen Computer Kinder?
Der Junge lacht. „Doch das bin ich schon. Aber meine Eltern haben mir noch eine Weihnachtsmannwelt geschaffen und es war eine sehr glückliche Zeit. Ich möchte, dass auch heute wieder Kinder so bezaubert werden und sich fragen, ob sie gut oder böse waren.“ „Ja“, freut sich der Weihnachtsmann: „Es ist wichtig, dass Menschen lernen sich immer in Frage zu stellen.“
Der Knabe sagt: „Dennoch kann man aber das Moderne nicht unter den Tisch kehren. Schön ist es, das alte nicht zu vergessen und trotzdem dem Neuen aufgeschlossen gegenüber zu stehen.
Der alte Mann fühlt sich überfordert, ist müde und gibt auf.
Der Junge gerät in Panik. Da muss er was tun. Der Weihnachtsmann darf doch nicht aussterben. Der Jugendliche hat seine Kindheit fast hinter sich und vermisst manchmal die unbeschwerte Zeit mit seinen Freunden, die harmonischen Festtagsabende mit Eltern und Großeltern. Es wurden Spiele am Tisch gespielt, nicht am Bildschirm. Geschichten wurden erzählt und Lieder gesungen, kein Fernseher lief. Manches wäre ihm jetzt peinlich, aber schön war es auch. Sollen die heutigen Kinder noch früher erwachsen werden als er?? Keine Gemeinschaft mehr? Vereinsamung?? Er klinkt sich ins Internet ein. In allen Foren verkündet er, dass JETZT die Weihnachtszeit beginnt, dass man sich JETZT an die Weihnachtsgeschichte erinnern sollte, dass es JETZT an der Zeit ist die Vorweihnachtszeit zu genießen. JETZT ist es soweit, nicht damals, gleich nach der Schokoladen Sommerpause, als der Konsum es uns vorgab. JETZT dürfen Wunschzettel geschrieben werden. Er schickt mehrere Weihnachtserlebnisse aus seiner Kindheit ins Netz.
Seine Freude kommt bei den Lesern an. Überall erwachen Erinnerungen. Früher lief im Fernsehen über die vier Adventstage immer eine Serie: Peterchens Mondfahrt, Huckleberry Finn, die Schatzinsel usw. die Familie schaute sie zusammen. Es gab Kuchen. An jedem Sonntag brannte eine Kerze zusätzlich auf dem Adventskranz. Ansonsten brannten sie nicht. Es entstand immer eine besondere Spannung bei diesem Kerzenschein unter den Kleinen, die es kaum erwarten konnten, endlich alle vier brennen zu sehen.
Selbst Kinder schreiben ihm, von Geschichten, die sie von ihren Eltern und Großeltern hörten. Er schickt seine Botschaft weit über das Netz und erhält von überall her E-Mails. Es kommen nun sogar Wunschzettel bei ihm an, die weniger fordernd sind als die Werbung es uns schmackhaft macht. Der Junge weiß, dass er dem Weihnachtmann diese Erkenntnis nicht einfach per Mail schicken kann, da dieser davon nichts versteht. Er selber aber versteht nicht viel von der Zeit vor den Computern. Er befragt seine Eltern und Großeltern.
Es fällt ihm schwer zu verstehen, wie Menschen ohne Handys, PCs usw. auskamen. Er fühlt aber den Zauber der Vergangenheit spürt eine Ruhe in sich. Er schickt dem Weihnachtsmann alle Mails per Post und der schaut der endlich wieder in einen vollen Briefkasten. Jetzt kann er sich wieder an Häusern und Schornsteinen orientieren, er kann wieder der Alte sein in einer neuen Welt. Er hat die Hilfe der Jugend.
Gabriele Stein, Schwanewede


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