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Nadine Schilling

Pfannkuchen am Heiligabend

Foto: AdobeStock

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Bild: Photographer: Ekaterina Kondratova

Sie saß, wie so oft, nachmittags am Stubenfenster. Die Gardine etwas bei Seite geschoben, beobachtete sie das bunte Treiben auf der Straße. „Buntes Treiben?“ Eigentlich schaute sie nur auf Autodächer. Früher, ja da tummelten sich die Kinder, spielten Kriegen und Verstecken. Und im Winter folgte eine Schneeballschlacht nach der Anderen.
Ihre, vom Toben und Spielen, geröteten Gesichter strahlten so viel Lebensfreude aus- Darunter war auch ihre Tochter gewesen. Ihr Mann und sie hatten sich sehnlichst ein Kind gewünscht. Als sie dann endlich, nach zwei Fehlgeburten, diese Tochter in ihren Armen hielten, waren sie überglücklich. Sie waren keine jungen Eltern mehr, aber vielleicht gerade deshalb so dankbar für dieses Geschenk.
Gesund und fröhlich wuchs sie auf. In dem kleinen Reihenhaus hatte sie ein eigenes Zimmer und eigentlich Alles, was ein Kind sich nur wünschen konnte. Sie war eine fleißige und wissbegierige Schülerin und hatte im Zeugnis in mehreren Fächern ein „Sehr gut“, so dass sie eine Empfehlung fürs Gymnasium bekam und ein gutes Abitur machte.
Als sie, gegen den Willen des Vaters, ein Jahr als „Au-Pair- Mädchen“ in Frankreich gewesen war, hatte sie sich verändert. Still und zurückhaltend war sie geworden und nur selten konnte man sie zum Lachen bringen.
Morgen war Heiligabend, und dann kam sie, endlich mal wieder, nach Hause. Es war still geworden in ihrem Haus, denn nach dem Tod ihres Mannes lebte sie allein; und ihr ganzer Lebensinhalt war seitdem ihre Tochter. Schade, dass sie so viel arbeiten musste… und wenn sie telefonierten, sagte sie immer: „Mutti, Du weißt ja, meine Zeit ist so ausgefüllt: Termine, Termine, Termine.“
Eigentlich wollte sie am Heiligabend etwas Besonderes kochen. Sie hatte an Gulasch mit Rotkohl gedacht, aber die Tochter war nicht so begeistert davon gewesen. „Mutti, Gulasch kann ich so oft essen, aber mein großer Wunsch ist, dass Du mir einen Pfannkuchen backst, so wie früher mit selbstgemachtem Apfelmus. Darauf freue ich mich so sehr!“ Naja, sie wollte ihr diesen Wunsch gern erfüllen, wenn es auch kein angemessenes Essen für einen Heiligabend war.
Am Tag von Heiligabend hatte sie morgens schon den Teig zubereitet. Der Tisch war festlich gedeckt. Ein kleiner Tannenbaum mit bunten Kugeln und Kerzen schmückte die Stube. Und dann war es endlich soweit. Weil die Tochter einen eigenen Schlüssel hatte, stürmte sie die Treppe herauf. „Mutti, ich bin’s!“ und schon umarmten sie einander herzlich. „Ach Mutti, ist es schön, wieder Zuhause zu sein, ich habe mich so nach Dir gesehnt!“
Die Kerzen am Baum waren angezündet und wie immer kündigte eine kleine Glocke die Bescherung an. Die Geschenke wurden ausgepackt. Sie hatte eine kuschelige Decke aus Alpaka-Wolle bekommen. Sie wünschte sie sich schon lange und war sprachlos vor Freude; aber auch die Tochter freute sich über eine goldene Kette mit ihrem Sternzeichen als Anhänger. Ein gutes Buch und der „Bunte Teller“ durften natürlich nicht fehlen.
Als die dann die Pfannkuchen servierte, strahlte ihre Tochter übers ganze Gesicht: „Mmh… dieser Duft und so knusprig sind sie, ich kann es kaum erwarten.“ Aber auch ihr schmeckte es so gut wie lange nicht mehr.
Nach dem Essen machten sie es sich gemütlich, sangen Weihnachtslieder und erzählten von früher. „Mutti, ich hätte Lust auf „Mensch, ärgere dich nicht“ oder „Mühle und Halma“...“ So wurde der Spielekasten hervorgekramt. Das war eine Unterhaltung, die sich lohnte, weil das Lachen so fröhlich durch das, sonst so stille, Haus schallte. „Weißt Du noch, Mutti, Vati hat mich immer gewinnen lassen.“ Ach ja, Vati - ich vermisse ihn sooo sehr!
Am 1. Weihnachtstag frühstückten sie morgens ausgiebig, und das Erzählen nahm kein Ende, bis die Tochter dann aufbrach. Jetzt hieß es wieder Abschied nehmen. „Mutti, sei doch nicht traurig, es muss sein. Vielen Dank für Alles, es war so schön bei Dir!“
Sie stand wieder am Stubenfenster, ein kurzes Winken und dann brauste sie in ihrem roten Mercedes- Cabriolet davon. Dass ihre Tochter im Rotlicht-Milieu lebte und dem ältesten Gewerbe seit Menschengedenken nachging, wusste sie nicht. Sie hat es nie erfahren.
Helga Murken, Lübberstedt


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