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Tina Garms

Freunde für immer ...

Altbauer Wilhelm aus dem kleinen Dorf an dem Fluss Lune hatte ein besonderes Hobby. Er pflanzte und vermehrte Bäume mit Leidenschaft, immer wieder, bei jeder Gelegenheit, die ihm sein anstrengender Tag mit Hof und Vieh und Familie bot.

Im Herbst sammelte er die Eicheln und Kastanien auf dem Hof, und steckte sie in die Hosentaschen, und wenn er mit seinem alten Fahrrad an den Feldern und Wallhecken vorbei kam und nach dem Vieh sah, steckte er sie in den Boden, stets mit seiner kleinen Schaufel aus der Fahrradtasche.

Schon sein Vater hatte ihm das beigebracht, denn aus kleinen Samen wird etwas Besonderes. Aus kleinen Bäumchen werden große und aus großen Bäumen werden mächtige, auch wenn es Generationen braucht. Sie sind die Quelle allen Lebens.

Eines Tages fand er am Wegrand ein kleines Nadelbäumchen, nur zehn Zentimeter groß.

Direkt am Fuße einer alten Eiche hatte es im losen Mulch unter der Spechtschmiede erste zarte Wurzeln geschlagen. Es war aus dem Tannenzapfen gefallen, den der Buntspecht in der Baumkrone bearbeitet hatte.

Er grub sie aus, denn dort war kein Platz für sie. An seinem ruhigen Lieblingsplatz an der einsamen Wallhecke pflanzte er sie hinter seiner Bank sorgfältig ein, mit dem Blick auf den mäandernden kleinen Fluss.

Links stand eine mächtige Eiche, rechts eine Esche und ein Stück weiter eine alte Buche mit einer gewaltigen Krone.

So wuchs die Tanne in wenigen Jahren zu einer wunderschönen Tanne heran, stets gepflegt und begossen vom Altbauern, der sie mit Wohlwollen betrachtete und mit Argusaugen bewachte. Sie war zu seinem Lieblingsbaum geworden unter Tausenden, die er in den Jahren in den Boden gebracht hatte.

Ihr stets grünes Kleid glänzte im Abendrot, wenn Wilhelm auf seiner Bank am Knick bei seiner „Tanne“ saß. Nach des Tages Mühe genoss er den Feierabend. Dabei glitt sein Auge voll Wohlgefallen über die Wiesen am Fluss mit ihren leuchtenden Farben von Löwenzahn und Wiesenschaumkraut. Eine innere Ruhe und Zufriedenheit machte sich stets in seinem Herzen breit.

Nur in der Adventszeit überkam ihn alljährlich zunehmend eine innere Unruhe. Seine Sorge galt seiner Freundin, der Tanne, die inzwischen zu einem wunderschönen Weihnachtsbaum herangewachsen war. Er befürchtete, dass sie gestohlen werden könnte. Wie könnte er sie schützen?

Lange grübelte er darüber nach. Dann hatte er einen Plan. Beim Dorfschmied bestellte er einen 1,5 Meter hohen geschmiedeten Gitterzaun, mit Spitzen, drei Meter im Quadrat, mit einer Pforte und einem Schloss daran.

Den baute er mit Fundamenten um seine Freundin „Tanne“, und auf dem von ihm von Hand geschnitzten Eichenkreuz stand „Hier lebe in Frieden meine Freundin Tanne, wir sind zusammen aufgewachsen.“

Kein Spitzbube traute sich seitdem an diesen besonderen Baum.

Mit seinen Söhnen, später auch mit seinen Enkeln besuchte er oft noch bis ins hohe Alter seine Freundin „Tanne“. Auf der Bank sitzend, lehrte er sie auch über den Sinn des Bäumevermehrens.

Die Jahre und auch Wilhelm gingen dahin. Den Schlüssel zu „Tanne“ haben jetzt seine Enkel.

Die jetzt mächtige Edeltanne steht inzwischen nur noch einsam und alleine am Knick.

Der Gitterzaun rostet vor sich hin.

Ihre Nachbarn aus Jugendtagen, Eiche, Buche und Esche sind schon lange dem Kaminholzwahn zum Opfer gefallen. Der Fluss ist begradigt. Die Blumen sind verschwunden. Nur die Tanne hat überlebt, weil Wilhelm ihr einen besonderen Platz geschaffen und ihr stets zur Weihnachtszeit Lichterglanz und bunte Glöckchen und Kugeln an ihre glänzenden Zweige gehängt hatte.

Eine kleine Hommage an Wilhelm Bock. Er hat viele Bäume in seiner Heimat auf diese Art gepflanzt. Darüber verlor er kein Wort, aber setzte Zeichen.

Hermann Kück

Lunestedt


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