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Nadine Schilling

Die wachsame Gans

Meine Eltern hatten einen kleinen Hof mit einer Gänsezucht. Immer zu Weihnachten verkaufte mein Vater die Gänse an Nachbarn und Bekannte. Eine der Gänse war mit der Zeit richtig zahm geworden. Ich nannte sie Lisa. Wenn ich aus der Schule kam, kam Lisa mir schon oft entgegen und ich gab ihr dann ein Stückchen Brot, das ich von meinem Pausenbrot übrig gelassen hatte.
Als mein Vater alle Gänse verkauft hatte, meinte er, dass wir Lisa dann ja zu Weihnachten schlachten können. Ich weinte, denn ich wollte Lisa nicht wieder hergeben. Aber mein Vater ließ sich nicht umstimmen. Wenn ich abends ins Bett ging und das Fenster noch mal öffnete, flog Lisa auf die Fensterbank und legte sich dort zum Schlafen hin. Meine Mutter fand das natürlich gar nicht gut, denn Lisa machte mit ihren Füßen die Fensterbank schmutzig. Und so schimpfte sie jedes Mal, wenn sie die Gans auf der Fensterbank sah und scheuchte sie runter.
Eines Abends - es war der erste Advent - bekamen meine Eltern Besuch von Freunden. Nachdem meine Mutter mir gute Nacht gesagt hatte, öffnete ich das Fenster, und sofort flog Lisa in mein Zimmer, setzte sich auf die Fensterbank und steckte ihren Kopf zum Schlafen in die Federn.
Mein Zimmer lag genau neben dem Wohnzimmer meiner Eltern und so konnte ich lange Zeit nicht einschlafen, weil sie laut gefeiert haben. Spätabends, nachdem die Gäste gegangen waren und ich auch endlich einschlief, wurde ich plötzlich von Lisas lautem Geschnatter wach. Ich sprang aus dem Bett und sah, dass im Wohnzimmer unser Adventskranz brannte. Meine Eltern hatten vergessen, die erste Kerze auf dem Kranz zu löschen. Ich rannte ins Schlafzimmer meiner Eltern und weckte sie auf. Zum Glück hatte meine Mutter den Kranz auf einen Metallteller gelegt, so dass nicht viel passiert war. Lisa hatte wohl das Knistern der Flammen gehört und mich dadurch geweckt. So hatte sie Schlimmeres verhütet und uns vielleicht sogar das Leben gerettet.
Ich durfte Lisa natürlich weiter behalten, und meine Mutter schimpfte auch nicht mehr, wenn Lisa abends auf der Fensterbank schlief.
Ilona Schwalbe, Lilienthal


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