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Nadine Schilling

Die Adventszeit, der Heilige Abend und Weihnachten!

Wir schreiben das Jahr 1952, und ich bin sieben Jahre alt. Der graue diesige November ist endlich zu Ende. Ich freue mich schon riesig auf den ersten Adventssonntag. Die Eltern haben einen Adventskranz gebunden, mit vier roten Kerzen und langen roten Bändern dekoriert, ihn an einem roten Ständer mit goldenem Stern oben der Mitte befestigt und ihn an einem ca. 1 Meter hohen Blumenständer in der Ecke unserer Wohnküche platziert.
Am 1. Advent, spät am Nachmittag in der Dämmerung wird die erste Kerze angezündet. Die Natur spielt mit, es hat gefroren und geschneit und wir - meine Eltern, mein Bruder, meine Oma und ich - singen: „Leise rieselt der Schnee“, und „Last uns froh und munter sein.“ Mit diesem Sonntag beginnt für mich eine aufregende und geheimnisvolle Zeit. Als Erstes spukt ja schon der Nikolaus in meinen Kopf herum. Die Spannung steigt mit jedem Tag. Am Abend des 5. Dezembers darf ich endlich einen Teller unters Bett stellen, auf dem der Nikolaus doch bitte Süßigkeiten legen möchte. Einen Stiefel kann ich nicht vor die Tür stellen, weil ich nur ein Paar Winterstiefel habe, und die muss ich jeden Tag auf dem Weg in die Schule anziehen.
Am Morgen des 6. Dezembers, die Augen sind noch gar nicht ganz auf, gucke ich als Erstes unter meinem Bett und siehe da, es hat geklappt! Der Nikolaus hat den Teller mit lauter Leckereien vollgepackt. Endlich darf ich so viele Süßes essen, wie ich möchte. Es dauert nur ein paar Tage und alles ist verputzt.
Die zweite Dezember Woche ist angebrochen. Mein Bruder und ich fuhren an einem Nachmittag mit Mama und Oma, mit dem Zug nach Bremerhaven um Weihnachtseinkaufe zu tätigen. Zugfahren ist schon ein Erlebnis und dann erst der große Bahnhof, sensationell! Die festlich beleuchteten Schaufenster und die Lichterketten an den Seiten und über den Straßen setzen dem ganzen die Krone auf. Ich bin voll all´ dem Glitzern so fasziniert, dass das Einkaufen völlig nebensächlich ist. Es geht zu „Merkur“, dem großen Kaufhaus in Geestmünde. Hier gibt es alles in Hülle und Fülle. Die vielen Spielsachen, lauter süße Sachen, Apfelsinen, Clementinen, Nüsse in allen Sorten und, und, und ... Alle Weihnachtseinkäufe sind erledigt und zum Abschluss geht´s ab in die obere Etage des Kaufhauses - mit dem Fahrstuhl natürlich. Hier befindet sich ein Restaurant. Für jeden von uns gibt es ein Würstchen und Kartoffelsalat. Dieses Würstchen - ich sage euch - ist mindestens eine haben Meter lang. Ich halte es fest in meiner kleinen Hand, wippel vor lauter Begeisterung hin und her und zack, bricht es ab. Meine Mama reagiert schnell und kann es vor dem Sturz auf dem Boden retten. Für Mama war es peinlich für mich recht lustig. Nach dieser Aktion fahren wir mit dem Zug wieder heim und ich falle früh am Abend todmüde ins Bett.
Nun sind es noch 14 Tage bis es zum Heilig Abend kommt. Ich habe das Gefühl, Weihnachten kommt nie mehr. Doch dann gibt es noch eine weitere Überraschung. Wieder geht´s mit dem Zug nach Bremerhaven und mit der Straßenbahn nach Bremerhaven-Lehe in die Uhlandstraße. Hier wohnt unsere Schneiderin - Frau Dreyer, die im Frühjahr und im Herbst zu uns nach Hause kommt und aus alten Sachen neue Kleidung näht. Nun erzählt meine Mutter mir, dass diese Schneiderin auch für´s Christkind und für den Weihnachtsmann näht und ich eigentlich nur ein Kleid anprobieren soll, das für ein kleines Mädchen bestimmt ist, was genau so groß sei wie ich. Ich finde das ganz toll. Endlich sind wir am Ziel. Die Schneiderin, eine liebe ältere Dame, empfängt uns ganz herzlich. Vor lauter Aufregung muss ich als erstes Mal auf die Toilette. Ich sage euch, das war ein Erlebnis. Zuhause haben wir ein Plumpsklosett und hier ist es eine Toilette mit Wasserspülung. Die Toilette befindet sich außerhalb der Wohnung, und zwar auf dem Balkon in einem kleinen abgeteilten Raum. Einfach toll! Heute nennt man so etwas Gästetoilette. Die Folge war, meine Begeisterung schlägt große Wellen und ich muss fast alle halbe Stunde Pipimachen - wegen der Wasserspülung natürlich. Zwischendurch ist Kleiderprobe angesagt. Das Kleid, ein Traum, rot-schwarz-kariert mit tiefen Kellerfalten, langem Blusenärmel und einen großen Kragen, von einer kleinen weißen Spitze umrandet und dazu gehört noch ein breiter Gürtel mit einer schicken Schnalle. Ich bin ein wenig traurig, weil das Kleid nicht für mich bestimmt ist, aber das wusste ich ja vorher.
Abends zu Hause angekommen musste ich alles haarklein erzählen. Auch dieser aufregende Tag geht nun zu Ende. Bis zum Heilig Abend ist es nicht mehr lange hin. Die Tage sind ausgefüllt mit Schule, Eislaufen, Schlittenfahren, im Schnee toben und der Vorfreude auf den Weihnachtsmann.
Endlich - wir schreiben heute den 24. Dezember 1952. Wir haben Ferien, warten, dass es endlich Abend wird und der Weihnachtsmann kommt. Es dämmert schon und wir - Mama, Oma, mein Bruder und ich - werden mit einem kleinen Bus abgeholt und fahren zum Gottesdienst in die Altluneberger Kirche, wie jedes Jahr. Der Gottesdienst bei mir auch heute noch zum Heilig Abend dazu. Mein Papa bleibt zu Hause um den Weihnachtsmann zu helfen, der den Tannenbaum aufstellt und schmückt und die Geschenke bringt.
Nach dem Gottesdienst wird erst Abendbrot gegessen, und zwar mit meiner Tante, meinem Onkel und meiner Cousine, die bei uns im Hause zwei Zimmer bewohnen. Vor Aufregung bin ich eigentlich satt, aber es gibt Würstchen, soviel man essen möchte und dazu Kartoffelsalat, und wer kann da schon Nein sagen?. Dann poltert es plötzlich draußen und es klopft jemand heftig ans Fenster. Jetzt wissen wir, der Weihnachtsmann hat unsere Wohnküche festlich hergerichtet und dürfen hinein. Der Weihnachtsmann strahlt im Kerzenschein, doch ich sehe nur eines - über die Rücklehne des Sofas auf meinen Platz liegt das traumhaft schöne Kleid, das ich damals bei der Schneiderin anprobiert habe. Ich bin überwältigt und sprachlos und habe vor Freude geweint. Der Weihnachtsmann hatte mir noch andere Geschenke gebracht, und zwar ein Spiel „Fang den Hut“, Puppenzeug, Hausschuhe und einen Weihnachtsteller voll mit Süßigkeiten, aber das Kleid hat alles in den Schatten gestellt.
Mein Bruder und ich haben für Onkel Johann und Tante Anna auch ein Geschenk, welches ich überreichen darf und auch tue mit dem coolen Satz: „Frohe Weihnachten, hier ist die Schürze und ein Paket klammern für 1 Mark.“ Alles lacht und ich weiß gar nicht warum. Plötzlich klopft es bei uns ans Wohnküchenfenster und das bedeutet, rüber zur Bescherung in die Wohnung meiner Cousine und Ihren Eltern. Auch hier hatte der Weihnachtsmann gewerkelt und alles weihnachtlich hergerichtet. Für mich ist diese Aktion heute Abend nebensächlich, obwohl es hier auch noch Geschenke gibt, aber in meinem kleinen Kopf schwirrt nur das Kleid herum. Der restliche Abend verläuft sehr schön. Wir spielen alle miteinander Karten und verschiedene Spiele, essen Apfelsinen, knacken Nüsse und wir Kinder dürfen heute Abend so lange aufbleiben wie wir möchten.
Am 1. Weihnachtstag wird mit all´ den neuen Sachen gespielt und das Wichtigste ist, ich darf mein tolles Kleid anziehen. Heute entdeckte ich so ganz neben bei die Schokokringel und Flimmersterne sowie Figuren aus Schokolade am Weihnachtsbaum, die ich am Heilig Abend überhaupt nicht gesehen habe und warum wohl? Für mich zählte nur ein Geschenk - das Kleid. Ich freue mich jetzt schon auf den Tag, wo der Tannenbaum abgeplündert wird, denn dann darf noch einmal tüchtig genascht werden und danach ist die aufregendste und geheimnisvollste Zeit des Jahres zu Ende. Ich erinnere mich noch an so viele Weihnachten, aber das Weihnachtsfest im Jahre 1952 ist bis heute in mir fest verankert.
Ich wünsche allen eine schöne Weihnachtszeit und besonders den Kindern ganz viele schöne und aufregende Weihnachtsfeste, wie ich sie erlebt habe.
Weihnachtsgeschichte aus meiner Kindheit - geschrieben von Annemarie Holscher im Mai 2012


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