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Mareike Kerouche

Der Weihnachtshase

Bild: Adobe Stock

Und wieder stand Weihnachten vor der Tür, das Fest der Liebe und der Nächstenliebe. Schon lange vorher grübelte der alte Jäger, der am Ortsrande des kleinen Dorfes am Walde wohnte, wem er in diesem Jahr mit dem traditionellen Weihnachtshasen eine Freude machen könnte.
Seit seine Kinder groß und längst ausgezogen waren und weit weg wohnten, war dieser Braten für seine alte Frau und ihn zu groß zum Weihnachtsfeste, und seit Jahren nörgelte seine Frau: „Komm bloß nicht wieder mit dem Hasen zu Weihnachten an, wir essen lieber Würstchen und Kartoffelsalat!“
Das stimmte den alten Waidmann stets traurig, denn Weih-nachten bei Schnee den Hasen zur Strecke zu bringen, gehörte zu seinen schönsten Jagderlebnissen im Jahreslauf.
So grübelte er schon ab Mitte Dezember, wem er denn mit dem Hasen dieses Jahr eine Freude machen könnte.
Im letzten Jahr hatte er ihn dem Ortsvorsteher, der ihm mit seinem alten Jeep des Öfteren beim Reviergang begegnet war, gegeben. Der war mal selber Jäger, konnte aber nicht mehr gut laufen und Treffen war auch stets sein Problem. So nahm dieser den Braten gerne und dankbar an.
Ein Jahr davor hatte er den Hasen seinem etwas kauzigen Nachbarn, der alleine am Ortsrand wohnte, angeboten, aber der hatte dankend abgelehnt, da seine 24 Katzen, mit denen er in enger Hausgemeinschaft wohnte, ihm den Braten vom Tisch gezogen hätten.
So hängte er ihn kurzerhand am Heiligen Abend der kinderreichen Familie in der Dorfstraße an die Türklinke, wohl wis-send, dass diese sich darüber freuen würden.
Aber wem könnte er denn in diesem Jahr damit eine Freude machen?
Da kam dem alten Waidmann der Bericht über die Flüchtlinge, die aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten nach Deutschland geflohen waren, in den Sinn. Im Nachbarort lebten sie noch in Notunterkünften und die würden sich doch sicher über den geschenkten Weihnachtshasen freuen. Ja, der Gedanke ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, und voller Passion saß er zwei Tage vor Weihnachten bei Vollmond auf seinem Hochsitz am Bardel, auf den Hasen wartend, an.
„Ob die Muslime den Festtagshasen auch mit Speck und vie-len Gewürzen zubereiten?“, ging ihm in der Stille des Abends, während der Waldkauz rief, durch den Kopf und schon lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Und der wärmende Kräuterschnaps, den er heimlich an seiner Frau vorbei geschmuggelt hatte, stimmte ihn auf die zu erwartende Beute ein.
„Oder essen die gar keinen Hasen, weil die es mit dem Schweinefleisch ja auch nicht so haben?“
Jetzt wurde er unsicher, grübelte vor sich hin und verpasste dabei den ersten Hasen, der unter dem Hochsitz vorbei hoppelte. Die Zweifel gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf, und einen Hasen zu erlegen, ohne zu wissen, ob er damit jemandem eine Freude macht, nein das wollte er auch nicht! Und so stapfte er voller Gedanken nach Hause.
Am nächsten Morgen war er schon früh mit dem Fahrrad un-terwegs zur Notunterkunft im Nachbarort, um zu fragen, ob die Flüchtlinge Hasenbraten mögen. Ein dunkelhaariger Herr schaute ängstlich auf sein Klopfen durch den nur knapp geöffneten Türspalt, während vier Kinderaugen neugierig durch seine Beine schauten.
„Du, Hasenbraten?“ Dabei machte der alte Jäger Handbewegungen um seinen feisten Bauch, um den Genuss zu erläutern, denn die Bewohner waren der neuen Fremdsprache ja noch nicht mächtig.
Schon flog die Tür zu und der Riegel fiel hörbar ins Schloss.
Irritiert stand der Jäger davor, aber trotz mehrmaligem Klop-fen blieb die Tür verschlossen.
So hatte er sich das mit dem Weihnachtshasen nicht vorge-stellt. Traurig fuhr er nach Hause und schloss sich schweigend länger in seinem Jagdzimmer ein, sodass seine besorgte Frau nach dem Hausarzt rief, der in der Nähe wohnte.
Der konnte jedoch keine Krankheit bei seinem alten Freund feststellen. Erst als dieser ihm nach mehrmaligem Rückfragen und dem Hinweis auf seine Schweigepflicht aber die Sorge um den Weihnachtshasen erzählte, war ihm klar, wie die Hilfe aussehen könnte.
„Ich nehme den Hasen“, sagte der Doktor, „hab schon immer mal darauf Appetit gehabt, kannst mir jedes Jahr einen brin-gen!“
So wurde es doch noch ein schönes Weihnachtsfest für den al-ten Nimrod, als er vorm Heiligen Abend den frisch erlegten Hasen beim Doktor vorbei brachte, und dieser ihm dafür einen guten Medizinisch hochwertigen Tropfen einschenkte.
Hermann Kück
Beverstedt
Foto: Adobe Stock/ Pixel Shot


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