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Patrick Viol

Was ist das Kapital? - Eine kritische Betrachtung des Stücks „Kommune Barkenhoff“

Worpswede. Vom 31. Juli bis zum 11. August inszenierte die Cosmos Factory Worpswede das Stück Kommune Barkenhoff, deren Gründung nun bereits 100 Jahre zurückliegt. Doch auch wenn die Zeit der Kommune eine andere war, so sollen die Ideen und Fragestellungen der Kommunarden um den Künstler Heinrich Vogeler „nichts an Aktualität verloren haben“, so der Regie führende künstlerische Leiter Oliver Peuker. - Eine kritische Endbetrachtung des erfolgreich aufgeführten Stücks.
Der Staat fordert sein Opfer - Aufgrund des Erfolges wird das Stück im nächsten Jahr vom 28.7. bis zum 9.8.2020 nochmal aufgeführt.

Der Staat fordert sein Opfer - Aufgrund des Erfolges wird das Stück im nächsten Jahr vom 28.7. bis zum 9.8.2020 nochmal aufgeführt.

Worpswede. Vom 31. Juli bis zum 11. August inszenierte die Cosmos Factory Worpswede das Stück Kommune Barkenhoff, deren Gründung nun bereits 100 Jahre zurückliegt. Doch auch wenn die Zeit der Kommune eine andere war, so sollen die Ideen und Fragestellungen der Kommunarden um den Künstler Heinrich Vogeler „nichts an Aktualität verloren haben“, so der Regie führende künstlerische Leiter Oliver Peuker. - Eine kritische Endbetrachtung des erfolgreich aufgeführten Stücks. Die Geschichte Nach dem Ersten Weltkrieg wird Vogeler angesichts der Gräuel zum Pazifisten mit urchristlichen Idealen, die er in eine kommunistisch-anarchistische Sprache übersetzt. 1919 gründet Vogeler den Barkenhoff, auf dem die Kommunarden u.a. eine Arbeitsschule aufbauen, in der Kinder zu Menschen erzogen werden sollen, die „die Bedürfnisse der Gemeinschaft erkennen können, um so ein Teil von ihr werden zu können“. Zu Menschen, die „Verantwortung für das Zukünftige“ übernehmen. Eine „Revolutionierung des Geistes“, wie es immer wieder gesagt wird, soll so in der Kommune Barkenhoff vollzogen werden. Der Versuch einer sozialistischen Lebensweise im Kleinen lässt die Kommune in anhaltende Konflikte mit den Obrigkeiten geraten. Fehlende Kenntnisse in landwirtschaftlicher Selbstversorgung und die Schikanen der Staatsmacht lassen die Kommune als politisches Projekt am Ende schließlich scheitern. Die Inszenierung Die Inszenierung verdeutlicht die Intention, aktuelle Fragen zu verhandeln. Keine Bühne, nur eine schwarze Bahn in der Mitte der Scheune. Zu beiden Seiten der Bahn sitzt das Publikum. Es sitzt nur im Halbdunkel. Auf Kostüme und Maske wurde verzichtet, die Schauspieler/innen tragen gegenwärtige Alltagskleidung, vielleicht sogar ihre eigene. Beides - Sitzreihung und der Verzicht auf Kostüme -zeitigt einen entscheidenden Effekt. Das Publikum wird nicht - wie sonst durch seinen Einschluss im Dunkel - in eine andere Welt entführt. Die Evasion ist brüchig, der historische Stoff eine Folie, vor der das Publikum mit den Konflikten in seiner Welt konfrontiert werden soll: Die damalige autoritäre Staatsführung, der Nationalismus, die Propaganda und die Lügen in den Medien, gesellschaftliche Ungerechtigkeit und die Unterdrückung der arbeitenden Bevölkerung werden immer auch als heutige Probleme verhandelt. Die karge Bühnengestaltung soll Raum bieten für die Verhandlung eines komplexen Themas: So eröffnet das Stück schließlich mit der Frage: Was ist das Kapital? Collagierte Zitate von Heinrich Vogeler versuchen Antworten zu geben: Alles sei das Kapital, die Menschen und ihre Fähigkeiten, Liebe und Nächstenliebe. Die schöpferische Tat sei das Kapital. Doch interessanter als die Antworten ist die weiterführende Frage: „Wenn aber gesellschaftlich nur Geld und Besitz als Kapital gelten, sind wir dann wertlos?“ Die Probleme Fraglos ist diese Frage zu stellen, eine ernst zu nehmend kritische und mutige Geste. In Zeiten allumfassenden Empowerments noch der eigenen Schlüpferwahl und vor sich hergetragener „Be Yourself“-Stärke von moralisch optimierten Menschen drückt die in der Frage ausgedrückte Erfahrung von Ohnmacht und Wertlosigkeit in dem Sinne, dass man in diesen ökonomischen Verhältnissen als individueller Einzelmensch nichts zählt, geschweige gesellschaftlich etwas ausrichten könnte, den Finger in die ideologisch verkrustete Wunde. Ebenso ist der wiederkehrende Auftritt der Staatsmacht als opferfordernder Gewaltapparat eine richtige Erinnerung daran, dass es sich bei dem Staat mitnichten um eine an sich vernünftige, sondern um eine Herrschaftsinstitution handelt, die konstitutiv das Recht zu töten besitzt. Über den kritischen Gehalt des Stücks hinaus ist die Darstellung der Schauspieler/innen äußerst unterhaltsam. Vor allem Anouk Falkensteins Inszenierung eines Schupos und Citlali Huezo Sanchez Revolutionsrede in einer neuen Sprache bleiben in Erinnerung. Doch die Form der Parallelisierung damaliger Konflikte mit heutigen hintertreibt die an der anfänglich gestellten Frage hängenden Intention, an die gesellschaftlichen Verhältnisse als Ursache für die grassierenden Konflikte zu erinnern. Ergibt die personalisierte Darstellung der Konflikte der Kommune in der Form Staatsmacht gegen Kommunarden Sinn für eine Krisenzeit, in der der staatliche Souverän in der Tat auftrat und einsperren als auch töten ließ, so ist diese Form für die Darstellung heutiger Konflikte ideologisch. Sie behauptet, heutige Konflikte gingen auf Entscheidungen und Handlungen von Menschen zurück. Heutige Konflikte aber sind Resultate abstrakter gegen die Menschen verselbstständigter Verhältnisse. Menschen sind nur ihre Funktionsträger. Somit fällt die Verhandlung der Konflikte hinter die anfängliche radikale Frage zurück, so als ob man ihre Negativität durchzuhalten scheute. Mit der Personalisierung spricht sich nicht zuletzt das ideologische Bedürfnis aus, Menschen in die Verantwortung zu ziehen, sich zu ändern, damit sich die Gesellschaft endlich ändere. Hat man aber nicht die Macht, andere in die Verantwortung zu ziehen, dann zumindest sich selbst und den Nachwuchs. Dementsprechend endet das Stück mit so süßlich-tröstlichen wie moralisch-naiven Imperativen: Sei ein besserer Mensch! Umarme Bäume! Sei Künstler! Schreib Briefe! Lebe! - So sei eine andere Zukunft möglich. Was bei den Kommunarden bereits als politische Resignation begriffen werden müsste, wird im Stück als ein Ausweg aus der scheinbar auswegslosen Situation aufgewärmt: Eine Fürsorgegemeinschaft gründen und ein besserer Mensch sein. Eine so privatistisch-individualistische wie scheinhafte Lösung gesellschaftlicher Konflikte, die die Möglichkeit einer anderen Zukunft verrät. Mit ihr reitet man am Ende des Stücks lediglich den ideologischen Nerv heutiger Zeit, der am Anfang noch Kritik erfuhr. Anstatt dass man versucht hätte, im Stück die Negativität der Gesellschaft zu entfalten, um die versteinerten Verhältnisse virtuell zum Tanzen zu bringen, tanzen am Ende lediglich die Schauspieler. Was ist das Kapital? Es ist das, wonach zu fragen, das Stück von Peuker einerseits mutig macht. Leider aber ist es auch das, dessen Ideologie sich am Ende im Stück durchsetzt. Aber die richtigen Fragen zu stellen, ist bekanntlich wichtiger, als Antworten zu geben.


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