Seitenlogo
Patrick Viol & Luisa Mersmann

„Keine Waffen bedeuten keinen Frieden“

Zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine sprechen zwei Ukrainerinnen über den Krieg gegen ihr Land.

Anastasiia Burianyk (24) aus Ivano-Frankivsk und Iryna Trotsenko (43) aus Kiew leben seit fast einem Jahr in Osterholz-Scharmbeck.

Anastasiia Burianyk (24) aus Ivano-Frankivsk und Iryna Trotsenko (43) aus Kiew leben seit fast einem Jahr in Osterholz-Scharmbeck.

Anastasiia Burianjk und Iryna Trotsenko veranstalten heute am 24. Februar auf dem Marktplatz in Osterholz-Scharmbeck eine Mahnwache zum Gedenken an die Getöteten in der Ukraine. Wir haben mit ihnen über ihre persönlichen Erfahrungen, Waffenlieferungen und die Unberechenbarkeit Russlands gesprochen.

 

Wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

 

A: Ich bin am 4. März hierher gekommen. Wir waren eine der ersten Familien hier.

I: Ich am 6. März.

 

Warum kamen Sie nach Osterholz-Scharmbeck?

 

A: Also ich war schon mal in Deutschland und da habe ich ein paar Leute kennengelernt. Eine Freundin hat mich dann beim Kriegsausbruch angeschrieben und gesagt „Du kannst deine Familie mitnehmen und zu mir kommen.“ Und sie wohnt hier in Osterholz-Scharmbeck.

 

Und bei der Freundin wohnen Sie immer noch?

 

A: Nein, wir haben jetzt eine eigene Wohnung.

 

Und Sie Iryna?

 

I: Mich hat auch eine bekannte Familie eingeladen, bei ihnen zu wohen. Zwei Monate habe ich mit meinen Söhnen bei der Familie gewohnt und dann haben wir auch eine eigene Wohnung bekommen.

 

Sind noch Familienmitglieder oder Freunde in der Ukraine?

 

A: Wir haben eigentlich alle jemanden, der in der Ukraine geblieben ist.

 

Auch Menschen, die im Krieg kämpfen?

 

A: Bei mir schon. Es gibt Bekannte von mir, die auf die eine oder andere Art am Krieg teilnehmen. Als medizinische Hilfe oder als Soldaten.

I: Ich habe einen Freund, der in der Ukraine an der Front kämpft. Wir unterhalten uns ständig und ich versuche ihn zu unterstützen, aber es ist schwer.

 

Wie kommunizieren Sie und wie oft hören Sie von ihm?

 

I: Per Handy. Ich frage jeden Tag nach, ob er noch am Leben ist und wenn ich zwei Tage lang keine Antwort bekomme, habe ich immer Angst, dass etwas passiert sein könnte. Er wurde auch schon nach Bachmut geschickt. Das wusste seine Frau nicht, aber ich. Es ist wichtig, dass mindestens eine Person weiß, wo er sich befindet, wenn etwas passieren sollte.

 

Was empfinden Sie, wenn Sie an die Menschen denken, die noch in der Ukraine sind?

 

I: Wir sind sehr stolz auf all die Menschen, die in der Ukraine geblieben sind. Das Leben dort ist sehr schwer, besonders für die, die dort kämpfen. Die brauchen viel Mut. Eigentlich sind sie mit nackten Händen in den Kampf gezogen. Die Waffen kamen ja erst später. Und da muss man wirklich ganz viel Mut haben. Und so sterben an der Front die besten Männer der Ukraine.

 

Hätten Sie damit gerechnet, dass die Ukraine so lange Widerstand leisten kann?

 

A: Ja. Wir haben auch um unsere Unabhängigkeit viele Jahre gekämpft. Und wir haben länger gekämpft als diese 30 Jahre, die wir jetzt unabhängig sind. Also ist das kein Wunder.

 

Haben Sie vor einem Jahr mit dem Krieg gerechnet oder hat Sie das überrascht?

 

A: Nein, das war eine totale Überraschung, obwohl alle von uns irgendwie das Gefühl hatten, dass das eigentlich passieren könnte. Wir wollten daran nicht glauben. Aber ein Gefühl hatten wir: Wir hatten alle Angst. Natürlich, weil das nicht zum ersten Mal passiert. Die Geschichte wiederholt sich. Und Putin hat auf die Generation gewartet, die vermeintlich vergessen hat, was Russland, also die Sowjetunion der Ukraine angetan hat.

I: Unsere Regierung wusste das wahrscheinlich, weil die vorbereitet waren. Auch dass wir diesen Widerstand so lange halten können, spricht dafür. Aber eigentlich war es für die Leute eine Überraschung. Auch als wir den Lärm gehört haben, da haben wir nicht daran geglaubt, dass wirklich der Krieg angefangen hat. Erst als wir gesehen haben, was alles brennt, konnten wir das verstehen. Da wo ich gewohnt habe, ist ein Flughafen, an dem sich das größte Flugzeug der Welt befand. Und zwei Stunden bevor dieser Flughafen angegriffen wurde, bin ich mit dem Auto weggefahren. Hätte ich im Stau gestanden, wäre ich bei dem Angriff dabei gewesen.

 

In Deutschland wurde aufgrund der russlandfreundlichen Politik auf politischer Ebene bis zuletzt davon gesprochen, dass Putin nicht angreifen wird. Würden Sie sagen, dass die deutsche Politik mitverantwortlich für den Krieg ist?

 

A: Nein, keiner ist dafür mitverantwortlich. Aber gleichzeitig hat ganz Europa einen Fehler gemacht, dass es an Putin geglaubt hat, dass er ein Partner wäre. Also der Fehler war, dass die Politiker von ganz Europa einfach daran geglaubt haben, dass es nie passieren könnte. Wie gesagt, wir haben das auch nicht geglaubt, aber wir hatten Angst. Wir haben ein Gefühl gehabt.

 

Wie bewerten Sie die deutsche Politik nach dem Angriff?

 

I: Wir sind erst mal sehr dankbar, dass Deutschland der Ukraine hilft. Das Einzige, was wir dazu sagen können ist, dass die Entwicklung am Anfang leider sehr langsam war. Wenn ganz Europa und Amerika schneller was getan hätte, wäre die Ukraine wahrscheinlich nicht so zerstört worden. Und wahrscheinlich wären dann nicht so viele Leute gestorben. Aber wir können das nachvollziehen. Wahrscheinlich hat Europa einfach gedacht, dass wir keinen Widerstand leisten. Aber es ist nicht so einfach.

 

Sie haben gerade gesagt, dass, wenn eher Waffen geliefert worden wären, dann wären nicht so viele Leute gestorben. Jetzt ist es so, dass gerade in Deutschland politisch Linke und Friedensbewegte fordern, dass keine Waffen mehr geliefert werden sollen. Was halten Sie davon?

 

A: Ich habe dazu ein gutes Zitat gefunden „Frieden kommt nicht einfach, wenn ein angegriffenes Land nicht mehr kämpft. Das ist kein Frieden, sondern Besatzung.“ Das ist von der Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk. Und ich stimme dem zu. Waffen bedeuten immer einen Krieg, aber keine Waffen bedeuten keinen Frieden. Also hätten wir keine Waffen bekommen, dann wäre unser Land sehr schnell erobert worden und wir hätten unsere Unabhängigkeit verloren. Aber das bedeutete die schlimmste Entwicklung nicht nur für die Ukraine, sondern für die ganze Welt. Dann steht Russland direkt an der Grenze zur EU. Und was wird dann? Noch in seiner letzten Rede hat Putin gesagt, dass er seine alten Grenzen wiederbekommen will. Und wo waren seine Grenzen? Eigentlich auch in Berlin. Und was bedeutet das dann für die ganze Welt? Der Dritte Weltkrieg. Die Ukraine steht jetzt zwischen Russland und der Welt.

I: Wahrscheinlich verstehen uns die Polen am besten, weil eigentlich waren die auch ein teil der Sowjetunion. Und da wurde auch die russische Propaganda verteilt. Die durften keine eigene Sprache sprechen, sondern nur russisch. Und die haben Mitgefühl mit uns. Und das was Russland jetzt macht ist ein Genozid. Und wir haben auch öffentliche Daten in der Ukraine, dass zum Beispiel in Isjum von den Zivilisten mehr Frauen als Männer getötet wurden. Es gibt aber auch nicht-öffentliche Informationen, beispielsweise dass entführte ukrainische junge Männer kastriert werden, damit sie keine Ukrainer mehr zeugen können. Das ist halt nicht öffentlich, aber solche Informationen gibt es auch.

 

Das sind ja auch ganz klassische Kriegsverbrechen, die da begangen werden. Würden Sie sagen, dass Putin ein Kriegsverbrecher ist, der vor ein internationales Strafgericht gestellt werden sollte?

 

A: Also diese Entscheidung sollten nicht wir, sondern ein internationales Gericht treffen. Wenn Sie aber meine eigene Meinung wissen möchten, dann finde ich, dass Putin diese Verbrechen nicht als Einzelner begeht. Das ist die ganze Regierung und die Soldaten, die Oligarchen. Die sollten dann alle vor dem internationalen Gericht stehen. Was die Soldaten mit unseren Frauen und Kindern machen, das ist kein Befehl. Das entscheiden die selbst.

I: Ich erinnere mich noch an den Terrorakt in Amerika, wo Bin Laden sofort als Terrorist bezeichnet wurde, aber aus irgendeinem Grund möchte Europa mit Putin reden und sieht ihn nicht als Terroristen.

 

Die Forderungen, mit Putin zu verhandeln werden immer lauter. Worüber könnte man überhaupt aus ukrainischer Sicht mit ihm verhandeln?

 

I: Also Verhandeln hat mit Russland gar nichts zu tun. Das ist kein Land mit dem man verhandeln kann. Ein Beispiel: Als wir unsere Atombomben an Russland gegeben haben, hat Russland vertraglich unterschrieben, dass es unsere Grenzen nicht überqueren wird und das die Russen sich um unseren Schutz kümmern werden. Und was machen die jetzt? Die greifen uns kriegerisch an.

 

Also kann man Putins Worten nicht trauen?

 

A: Ja. Man darf mit Russland einfach nicht verhandeln. Man darf russischen Worten nicht trauen.

I: Mit Terroristen darf man nicht verhandeln. Es gibt auch beim Krieg Regeln und als die unsere Männer in Olenivka einfach verbrannt haben, dass war terroristisch. Russland versteht nur Kraft und keine Wörter. Die halten sich an keine Regeln, die machen was die wollen.

A: Verhandlungen bedeuten, wenn zwei Teile sich zuhören und sich Zugeständnisse machen. Frieden in der Ukraine erfolgt aber nicht durch Zugeständnisse an Russland. Zudem braucht für Frieden eine friedfertige Haltung. Die seh ich bei Putin nicht.

I: Als die Ukraine zu einem demokratischen Land geworden ist, hat das Russland nicht gefallen und sich dazu entschieden, die Demokratie zu zerstören wieder eine eigene Regierung zu errichten.

 

Nichtsdestotrotz haben Sie doch bestimmt Forderungen, wie der Krieg beendet werden soll oder?

 

A: Nein, eigentlich nicht. Also wir können einfach nichts fordern. Wir können nur um Verständnis und Unterstützung auf allen Ebenen bitten und das war es. Das Einzige was wir wollen ist, dass wir unabhängig und friedlich leben können.

 

Wollen Sie auch wieder nach Hause, wenn der Krieg irgendwann vorbei ist?

 

A: Ja natürlich. Wir wollen das alle, aber wer weiß, ob der Krieg nicht noch 15 Jahre andauert. Russland zeigt sich als ein kriegerisches und unberechenbares Land. Das was die beispielsweise mit Syrien gemacht haben, das spricht dafür, dass wir leider noch länger hierbleiben müssen. Das ist sehr schade, aber die Wirklichkeit. Die Ukraine ist ein schönes Land. Aber jetzt ist es zerstört. Wir wissen nicht, wie lange wir hier bleiben müssen. Ich habe einen Sohn, um den ich mich kümmere. Ich muss gucken, was das Beste für ihn ist, nicht was ich möchte. Und wenn das bedeutet, hier zu bleiben, dann mache ich das. Wenn ich sehe, dass in der Ukraine alles in Ordnung ist und ich ihm eine gute Zukunft bieten kann, dann fahren wir natürlich nach Hause.

I: Wir verstehen auch, dass Deutschland und ganz Europa an den wirtschaftlichen Auswirkungen leiden, aber die Ukraine verliert viel mehr als Geld.

 

Wir danken Ihnen für Ihre Offenheit und für das Gespräch.

 

Das Interview führten Patrick Viol und Luisa Mersmann.

 

 


UNTERNEHMEN DER REGION