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Lion Immoor

Schnee von gestern oder eine Chance für die Zukunft?

Die Leistungen des Lokaljournalismus in digitalen Zeiten.

Lion Immoor

Lion Immoor

Ein einziger Klick genügt und wir wissen Bescheid, was gerade in der Welt los ist. Egal, ob Politik, Wirtschaft oder Unterhaltung – ein Blick aufs Smartphone und wir können unserem Gegenüber sagen, wie momentan die Lage in der Ukraine ist, was irgendein drittklassiger Hollywoodschauspieler davon hält und welchem Trend wir gerade auf jeden Fall folgen sollten. Es fühlt sich fast so an, als würden wir das gesamte Weltwissen in unserer Hosentasche tragen. Doch interessieren wir uns wirklich für das, was wir da lesen? Wollen wir uns tatsächlich intensiv damit beschäftigen? Oder geht es vielmehr um Unterhaltung, Ablenkung, mitreden können? Genau diese Fragen haben mich vor einiger Zeit dazu angetrieben, mich näher mit regionalen Themen zu beschäftigen - danach zu fragen, was Menschen aus unserer Umgebung wirklich bewegt. So habe ich den Weg zum Lokaljournalismus gefunden.

Blicke ich dabei auf die vergangenen drei Jahre zurück, denke ich zunächst an die vielen Menschen, die ich auf dieser bisherigen Reise kennenlernen durfte – Begegnungen, die mich mal mehr und mal weniger nachhaltig beeinflusst haben, aber denen ich trotzdem immer wieder einen neuen Blick auf die Welt verdanke. Situationen auch mal von der anderen Seite betrachten und offen sein, für neue Ideen, Konzepte und Visionen, die zunächst vielleicht absurd klingen. Aber auch die Frage, nach welchen Vorstellungen wir heutzutage leben wollen. Respekt und Toleranz kommen immer mehr zu kurz – und ist es nicht genau das, was uns als Gesellschaft voranbringen kann? Offen sein für die kleinen Stimmen, die sonst nicht gehört werden, aber dabei doch eigentlich so viel Wichtiges und Interessantes zu sagen haben. Genau deshalb sehe ich es als Privileg, gerade diesen Menschen eine Plattform bieten zu können, um sich mitzuteilen – und das kann und sollte der Lokaljournalismus sein.

Auf diesem Weg stößt man auch auf einige Hürden. Sei es das Vorurteil – überwiegend jüngerer Generationen – lokaler Journalismus würde sich nur mit langweiligen oder gar irrelevanten Themen beschäftigen. Aber auch die Meinung, man könne mit einem Artikel in einer scheinbar unscheinbaren, kleinen Zeitung nicht nachhaltig etwas bewirken. Viele Menschen stellen die Sinnhaftigkeit solcher Berichterstattung immer wieder infrage – gerade in einer schnelllebigen Welt, die von einem unendlichen Strom an Informationen bestimmt wird.

Doch trotz aller Widrigkeiten und Veränderungen der heutigen Welt, bietet der Lokaljournalismus großartige Chancen und Möglichkeiten – Probleme an der Wurzel packen, sich und andere informieren, Denkanstöße geben und dort Perspektiven schaffen, wo andere vielleicht schon fast die Hoffnung aufgegeben haben. Nachhaltige Projekte aus der Umgebung zeigen uns hierbei immer wieder aufs Neue, dass wir noch etwas bewegen können, wenn wir nur wollen. Gerne denke ich dabei an eine Osterholzerin zurück, über die ich vor einem Jahr berichten durfte. Frau Camin hat es sich zur Aufgabe gemacht, hier vor Ort Schulranzen mit allerlei Unterrichtsmaterial zu packen und nach Rumänien zu bringen, um dort Kindern die Chance auf ein besseres Leben zu bieten.

Und wie war die Arbeit bei einer Lokalzeitung vor 30 bis 40 Jahren? Genau dazu habe ich mich einmal mit meiner Tante unterhalten, die in jungen Jahren selbst als freie Teenager-Mitarbeiterin bei der Nordsee-Zeitung angefangen hat und mittlerweile als Chefredakteurin bei einer Zeitung in Hamburg arbeitet.

„Eingesetzt wurde ich als Freie so dreimal wöchentlich – am Wochenende auch mal nonstop“, schwelgt sie in Erinnerungen. Mit dem Ford meines Opas habe sie sich dann stets auf den Weg gemacht, um, ausgestattet mit einer Nikon-Kamera, Berichte und Fotos vom aktuellen Lokalgeschehen zu liefern. Bekommen habe man damals 30 Pfennig pro verfasste Zeile und 15 Mark für ein Foto – Geld, von dem meine Tante sich die Mallorca-Ferien selbst finanzieren konnte. Berichtet wurde auch schon damals von Schützenfesten und Mittelalterfesten, aber auch Prozessen am Amtsgericht in Zeven. Fluch und Segen zugleich sei es hierbei gewesen, dass immer gleich das ganze Dorf ihre Artikel gelesen habe – und die Leute mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg halten.

Noch heute empfindet sie es als eines der größten Privilegien ihrer damaligen Arbeit als Lokaljournalistin, dass sie so den Beruf von der Pike aus lernen durfte. „Ich habe gemerkt, dass das der tollste Beruf der Welt ist, weil du als guter Journalist – völlig egal, wo du arbeitest – wirklich etwas bewegen kannst.“ Man könne die Menschen zum Lachen, Weinen, Staunen, Helfen, Denken, Hinterfragen und ein manches Mal sogar zum Handeln bringen, findet sie weiter. „Nebenbei erweiterst du auch noch ständig deinen eigenen Horizont und beschäftigst dich mit Themen, um die du sonst einen Riesenbogen machen würdest.“

Auf meine Frage danach, welche Eigenschaften ein guter Journalist mitbringen muss, findet sie ebenfalls schnell eine Antwort. „Persönliche Integrität sollte jeder Journalist haben.“ Meine Tante beschreibt es als das Gefühl dafür, wo man hart sein muss und wo man es nicht sein darf. Weiter sagt sie, dass das echte Interesse am Menschen wichtig sei – Empathie. „Du brauchst eine Haltung – alle müssen wissen, wofür du stehst und sich darauf dann auch verlassen können.“

Trotz des rasanten Tempos, mit der digitale Medien auch größere Zeitungen zu verdrängen scheinen, ist sie weiter überzeugt, dass Lokaljournalismus der beste Einstieg in den Beruf des Reporters ist. „Man kommt mit allem in Kontakt, was den Beruf ausmacht, weil alles vor der eigenen Haustür stattfindet und du mit den Konsequenzen dessen, was du schreibst, leben musst.“, berichtet sie mir. Man schreibe über die Themen, die für die Menschen im Alltag wirklich wichtig sind. Zudem biete der Beruf großartige Chancen später auch in anderen Bereichen zu arbeiten – Mitvolontäre von ihr hätten es dabei bis zur erfolgreichen Buch-Autorin oder zum Redaktionsleiter der größten deutschen TV-Sportsendung geschafft.

Man stellt also fest, dass sich nicht wirklich viel an den Ideen und Zielen des Lokaljournalismus verändert hat – damals wie heute geht es darum Menschen zu informieren und Menschen zu bewegen. Geschrieben wird dabei immer unter den wachsamen Augen der Leser, die hinterfragen, kritisieren, beurteilen. Und genau deshalb sehe ich den Lokaljournalismus als eine Chance für die Zukunft. Denn auch wenn die sozialen Medien, durch die zunehmende Digitalisierung der Welt, immer mehr an Macht gewinnen, können wir mit dem regionalen Journalismus Menschen erreichen. Wir können aufmerksam machen und wachrütteln – und wenn man das mit einem Artikel auch nur bei einer einzigen Person schafft, ist mehr erreicht, als wäre man still geblieben.


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