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Eva Kairies

Es könnte alles so einfach sein - Prof. Zemlin sprach über Mobilität der Zukunft vor Loccumer Kreis

Osterholz-Scharmbeck (ek). Was dieser Mann vor dem Loccumer Kreis über Möglichkeiten im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gesagt hatte, das ließ so manchen Zuhörer ins Träumen geraten. Prof. Dr.-Ing. Hermann Zemlin hielt zum Thema „Mobilität der Zukunft“ Vortrag, das er anhand seines jetzigen Wirkungsfeldes in Wiesbaden (ESWE Verkehrsgesellschaft Wiesbaden) verdeutlichte. Wiesbadens ÖPNV erschien während des Vortrags immer attraktiver.
Zwischen Nachhaltigkeit, Beförderungsqualität, Sozialstandards und Bezahlbarkeit macht Prof. Dr-Ing. Hermann Zemlin den Wiesbadener öffentlichen Nahverkehr zur attraktiven Mobilität der Zukunft.  Foto: ek

Zwischen Nachhaltigkeit, Beförderungsqualität, Sozialstandards und Bezahlbarkeit macht Prof. Dr-Ing. Hermann Zemlin den Wiesbadener öffentlichen Nahverkehr zur attraktiven Mobilität der Zukunft. Foto: ek

Ein geteiltes Deutschland hätte zwei Entwicklungen des öffentlichen Nahverkehrs hervorgebracht: Eins, das Geld dafür eingespart und so mehr Autos in Kauf genommen hatte und eins, das kein Geld für den öffentlichen Verkehr gespart, aber weniger Autos zur Verfügung hatte. „Wir erleben hier gerade einen Paradigmenwechsel vom Verkehr zur Mobilität“, sagte Prof. Zemlin, der im kommenden März seinen 79. Geburtstag feiern wird. Drei Punkte seien bei dieser Betrachtung ganz besonders wichtig: „Ökologie, die Beschäftigten und die Kunden.“ Sei der ÖPNV in der damaligen BRD nur mit den „vier As - also Alte, Arme, Ausländer, Auszubildende“ in Verbindung gebracht worden, „soll er jetzt für alle attraktiv sein“, hatte sich Prof. Zemlin das Ziel gesetzt, das er nicht mit Vehemenz, sondern mit Pfiffigkeit, Fingerspitzengefühl und viel Respekt verfolgt. Es werde digitalisiert und automatisiert, „da, wo es hilft“. Der Mann, der einige Unternehmen zurück in die schwarzen Zahlen geführt hatte, holte neue Aufgaben in den Betrieb herein, „mit denen man Geld verdienen kann“ - so einfach ist das - na gut: in einer Stadt, die nicht gerade arm ist.
Massenverkehr und Individualverkehr werde es immer geben - „der Massenverkehr gehört auf die Schiene, der Individualverkehr reduziert darauf, wo er wirklich gebraucht wird“. Der Güterlastverkehr bringe Ladungen nur bis vor die Stadt, „dann verteilt ein Kleintransporter weiter innerhalb. Eine Güterzentrale setzen nur wenige um“, mokierte sich der Redner. Der Flugverkehr, die schlimmste Lärm- und Schmutzquelle, gehöre ebenfalls durch drastische Verteuerung drastisch reduziert. „Da muss man überlegen, ob man auf Bananen verzichtet oder auf den Bali-Urlaub. Verbote wirken da nicht.“ Ein emissionsfreier Verkehr sei das Ziel, das am ehesten durch Elektromobilität erreicht werde. „Sinnvoll nur bei Naturstrom - sonst ist die Energiebilanz tödlich.“ Windenergie offshore mit Stromleitungen unter der Erde bis nach Süddeutschland sei für ihn einzig sinnvoll, weil unsichtbar.
Wiesbaden sei bei emissionsfreiem ÖPNV auf einem sehr guten Weg. „Wir haben das Fahrradvermietsystem eingeführt, um die Personen an die Schiene zu bringen. Unsere Elektrobusse sind kaum in der Werkstatt. Die Leute aus den Werkstätten reparieren jetzt die Vermietfahrräder und kümmern sich um den Rücktransport.“ Mit CarSharing sei man nicht so weit gekommen, „denn das Platzproblem und der Kampf um die Abstellplätze waren damit nicht vorbei.“ Viel attraktiver machte man den ÖPNV durch eine viel höhere Taktung. „Länger als fünf Minuten will niemand auf die Öffentlichen warten.“ Außerdem habe man einen sehr kundenzugewandten Service entwickelt. „Alles, was die Kunden suchen, kriegen sie bei uns.“ Dieser immer emissionsfreiere ÖPNV in Wiesbaden sei damit ein innovativer moderner Dienstleister mit neuen Ideen für soziale Aufgaben wie eine App für Sehgeschädigte oder Rollstuhlfahrer. Da wundert es nicht, dass Wiesbadens ESWE durch übertarifliche Bezahlung und vielen Features für die Arbeitnehmer in Sachen Gesundheit, Freizeit oder Belohnungen auch ein attraktiver Arbeitgeber ist. „Busfahrer tragen eine große Verantwortung und werden in der Regel zu schlecht dafür bezahlt. Bei uns nicht.“ Durch Belohnungen gegen Blaumachen sei der Krankenstand auf sehr geringe 13 Prozent gefallen: „So haben wir weniger Ausfälle und brauchen weniger Fahrer.“ Bis in die Kantine wirke das Prinzip: „Veganes oder vegetarisches Essen kostet zwei Euro, Pommes Bratwurst kostet vier. Das wirkt.“ Und man unterstütze alles an Bewegung der Mitarbeiter. Ehemalige Fahrer würden gern als Pförtner mit Fundbürofunktion eingesetzt oder als Ansprechpartner in Parkhäusern - „die wir übernommen haben.“ Insourcing von Aufgaben, schlaues Nutzen von Förderungen aus der öffentlichen Hand, ein weiser Multieinsatz von motivierten Mitarbeitern und gute Ideen mit Mut zur Weiterentwicklung mache die ESWE zu einem vorzeigbaren Unternehmen, das als sozialvorbildlich ausgezeichnet worden sei. Die nahe Zukunft sei ein autonomes (aber von einem Mitarbeiter begleitetes) Shuttle on demand, „damals als Sammeltaxi bekannt“, das die Außenbezirke mit guter Taktung versorgen soll. „Ohne feste Zeiten und ohne feste Haltestellen. Die günstigste Fahrstrecke mit möglichst vielen Fahrgästen muss dann ständig ermittelt werden - mit einer guten IT-Lösung ist das hinzukriegen. Wir probieren das aus.“


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