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Patrick Viol

Den Menschen zuhören

Osterholz-Scharmbeck. Interview mit Kristin Lindemann, der neuen Vorsitzenden der Osterholzer SPD.

Liebe Frau Lindemann, wie wird man mit 23 Jahren Vorsitzende der SPD in Osterholz-Scharmbeck?
 
(lacht) Ich bin da am Anfang etwas reingerutscht. Erst war ich bei den Jusos, wo ich vier Jahre Vorsitzende war. Die Jusos habe ich als super Plattform erfahren, um mich für die Wünsche der Menschen einzusetzen und für die Dinge, die mir wichtig sind. Über die Jusos habe ich dann den Kontakt zur SPD aufbauen können. Als junge Frau hieß man mich dort sehr willkommen. Mir hat es Spaß gemacht, meine Ansichten einzubringen und es war schön zu sehen, dass sie von erfahrenen Leuten aufgegriffen wurden. Und so bin ich geblieben. Meine Genossinnen und Genossen haben meine Freude und meine Leidenschaft für die Politik gesehen. Und nun bin ich Vorsitzende.
 
Was hat die Jusos - inhaltlich - für sie attraktiv erscheinen lassen?
 
Politisch stehen die Jusos ja etwas weiter links als die SPD und sprechen Themen an, die ganz klar auf Gerechtigkeit abzielen. Das macht die SPD zwar auch, aber die Jusos fahren etwas mehr auf der linken Schiene, wenn es beispielsweise um Gleichberechtigung von Männern und Frauen oder die Umwelt geht. Grundsätzlich hat es mir aber einfach Spaß gemacht, unter jungen Leuten zu sein und zu sehen: Da sind ja noch mehr, die sich für Themen starkmachen, die mir wichtig sind. Das hat mich ungemein motiviert.
 
Apropos linke Schiene: Der ehemalige Juso- und mittlerweile stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Kevin Kühnert, brachte im letzten Jahr in den politischen Diskurs die Forderung ein, mehr Sozialismus zu wagen. Was halten Sie davon?
 
Ich finde, das ist immer etwas Interpretationssache. Wenn man bei den Jusos ist, muss man nicht alle Positionen vertreten, die da vertreten sind. Wichtig ist für mich, dass die Menschen im Vordergrund stehen. Das heißt: Was haben wir für einen Blick auf den Menschen? Ganz klar: Der Mensch ist gleich, egal ob arm oder reich, männlich oder weiblich, egal welche Religion oder welche Herkunft. Und wir wollen uns dafür einsetzen, dass der Mensch gleich behandelt wird. Das heißt, wir bekämpfen z. B. den Gender-Pay-Gap oder setzen uns für Mietendeckel ein, sodass auch junge Menschen in Städten die Möglichkeit haben, in eine bezahlbare Wohnung zu ziehen.
 
Beim Thema Gleichbehandlung fällt mir das Thema - Stichwort Tönnies - ungleiche Arbeitsbedingungen ein. Welche Rolle spielt für sie die Bekämpfung von Ausbeutung von Arbeitskräften?
 
Eine große Rolle. Gerade Leute, die weniger verdienen, haben das Recht darauf, gleich behandelt und vernünftig bezahlt zu werden sowie vernünftige Arbeitsbedingungen zu haben. Und dafür brauchen Menschen eine Stimme, die sie unterstützt, und Menschen, die auf höheren Ebenen Anträge stellen, die sich dann hoffentlich auch umsetzen lassen.
 
Vor welchen lokalen Problemen stehen Sie als SPD-Vorsitzende in Osterholz-Scharmbeck?
 
Wir stehen natürlich alle vor derselben Herausforderung und das ist die Corona-Situation und die vermischt sich auch mit der im nächsten Jahr anstehenden Herausforderung: die Kommunalwahlen. Das heißt, wie können wir einen Wahlkampf gestalten, der sowohl coronakonform ist als auch den Kontakt mit den Menschen ermöglicht, um deren Wünsche aufgreifen zu können. Eine erste konkrete Idee ist das Projekt „Zugehört“, in dem wir als SPD und Jusos Wohnorte in ganz Osterholz-Scharmbeck besuchen, vor Ort klingeln und mit den Menschen darüber sprechen, was sie vor Ort ärgert und was sie sich wünschen würden. Daraus entstehen ein Brief an den Bürgermeister und Anträge, die die SPD im Stadtrat stellt, die dann umgesetzt werden sollen.
 
Welche Themen sind das konkret?
 
Zum Beispiel die Innenstadtsanierung und die Frage, wie wir die Innenstadt für jedes Alter begehbar und ansprechend machen. Es geht um den Verkehr und den Ausbau der Fahrradwege als eine Konsequenz der Aktion Stadtradeln, in der auffiel, wie marode viele Fahrradwege sind. Generell muss es um eine Verbesserung des ÖPNV-Verbindungen der Ortschaften mit der Innenstadt gehen und darum, wie wir diese Verbindungen umweltfreundlicher gestalten können. Stichwort Wasserstoff. Ein weiteres Thema ist natürlich Bildung. Wir sind ja schon bei der Sanierung der IGS, aber auch andere Schulen dürfen nicht vergessen werden. Damit wir eine vernünftige Infrastruktur haben, die das Lernen ermöglicht. Und auch die Ausweitung der Hortbetreuung ist wichtig. Und nicht zuletzt muss das Wohnen bezahlbar und in verschiedenen Formen möglich sein, die ein langes selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Wie z. B. Wohngemeinschaften mit verschiedenen Generationen oder von Menschen mit und ohne Behinderungen.
 
Was ist Ihr Herzensthema?
 
Mir sind besonders die Ergebnisse aus dem Projekt „Zugehört“ wichtig. Das sind die Forderungen, die von den Bürgerinnen und Bürgern kommen; die Probleme, bei denen sie sich von uns Hilfe wünschen. Da fühle ich mich verantwortlich, mich dafür zu engagieren. Ein Beispiel: Im Rahmen des Projekts kam eine alte Nachbarin auf mich zu, die mir erzählte, dass sie um das Mahnmal herum stets Angst habe, mit ihrem Rollator zu fallen, weil das Kopfsteinpflaster dort sehr uneben gestaltet und der Fußweg nicht durchgängig ist. Solche Dinge würden mir als junger Mensch gar nicht auffallen. Umso mehr liegen sie mir persönlich am Herzen.
 
Mit dem „Zugehört“-Projekt versuchen Sie, mehr Kontakt mit den Menschen vor Ort zu knüpfen. Und die letzten Wahlergebnisse zeigen: In Osterholz-Scharmbeck hat der Kontakt zur Basis nie wirklich gelitten. Anders sieht es auf Bundesebene aus. Gerade mal 17 Prozent würde die SPD wählen, wenn diesen Sonntag Bundestagswahl wäre. Was läuft da Ihres Erachtens falsch?
 
Lassen Sie mich zur Beantwortung zunächst zur Basis vor Ort zurückkommen. Bei der letzten Kommunalwahl, gerade bei der Wahl des Kreistags - so ist das „Zugehört“-Projekt entstanden -, haben sehr viele Leite AfD gewählt. Da waren einige ehemalige SPD-Wählerinnen und -Wähler dabei und wir haben gesagt: Komm, wir gehen da mal hin und fragen die Leute, wo drückt der Schuh und was fehlt, sodass sie rechte Parteien unterstützten. Und das wird auch auf Bundesebene wichtig sein. An den Trends sollten wir nicht verzweifeln. Wir sollten stattdessen weiter aktiv den Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern suchen.
 
Also hat die Bundes-SPD den Kontakt zu den einfachen Leuten und Arbeiter*innen verloren?
 
Viele haben zumindest das Gefühl, eventuell nicht gehört zu werden; dass sich die großen Parteien sich für sie nicht mehr einsetzen, und sind deshalb eventuell unzufrieden. Dem kann man nur entgegenwirken, indem man mit den Leuten ins Gespräch kommt. Das funktioniert nicht immer. Aber ist eine Pflicht der örtlichen Parteien, das immer zu versuchen und zu sagen: „Wir hören dich. Wir können nicht alles tun, was Du Dir wünscht, aber wir können Dir zeigen, dass Du wichtig bist. Sag‘ uns, was Dir fehlt und wir versuchen, Dir zu helfen.“. Rechtsradikale mit einem verqueren Weltbild zu wählen, kann nicht die Lösung sein.
 Vielen Dank für das Gespräch. Gewählt wurde Lindemann auf der Jahreshauptversammlung der SPD. Sie ist 23 Jahre alt absolviert ihren Bachelor in Global Management.


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