

Während Kriege toben, das Klima kippt und viele Menschen nicht wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen, diskutieren EU-Politiker:innen darüber, ob ein Soja-Schnitzel „Schnitzel“ heißen darf. Die Debatte um Namen von veganen und vegetarischen Produkten wirkt wie ein Spiegelbild politischer Prioritäten: laut, emotional - und doch erstaunlich weit weg von den eigentlichen Problemen. Dabei geht es längst nicht nur um Etiketten auf Verpackungen, sondern um die Frage, welche Themen wir als Gesellschaft wirklich wichtig finden.
Abstimmung im EU-Parlament
Das EU-Parlament hat kürzlich darüber abgestimmt, Begriffe wie Wurst oder Schnitzel für Fleischersatzprodukte zu verbieten - die Mehrheit der Abgeordneten hat dafür gestimmt. Insgesamt haben sich 355 EU-Abgeordnete für eine entsprechende Gesetzesänderung ausgesprochen, während 247 dagegen stimmten, 30 enthielten sich.
Angestoßen wurde die Debatte von der französischen Konservativen Céline Imart, die, wie auch CDU und CSU, der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. Laut der EVP dürfen Produkte nur Wurst, Schnitzel oder Steak heißen, wenn diese auch aus Fleisch bestehen. Laut Imart gebe es ein „echtes Verwechslungsrisiko“. Zudem sollen die Landwirte besser geschützt werden.
Wer jetzt aber denkt, dass nur EVP-Mitglieder mit Verbindungen zur Agrar-und Fleischlobby für das Verbot gestimmt haben, der irrt - auch Mitglieder der sozialdemokratischen S&D-Fraktion stimmten dafür. Zudem gab es auch Gegenstimmen aus der EVP-Fraktion, die sich gegen ein Verbot aussprachen. Der Europaabgeordnete David McAllister, der auch CDU-Politiker ist und damit der EVP angehört, teilte mit, dass er, wie die Mehrheit der CDU und CSU im Europäischen Parlament, „gegen das Verbot der Verwendung etablierter Bezeichnungen für pflanzliche Fleischalternativen gestimmt“ hat. Auch wenn Fleischalternativen derzeit nur einen kleinen Teil des Marktes ausmachen würden, so tragen sie zu einer nachhaltigeren und gesünderen Ernährung bei, ohne dabei die Wahlmöglichkeiten für Verbraucher einzuschränken, erklärt McAllister.
Täuschung am Kunden
Die Begründung der EVP, dass Veggie-Wurst und Co tatsächlich mit Fleischprodukten verwechselt werden, klingt eher wie ein verzweifelter Versuch, diesen Antrag durchzubringen. Tatsächlich werden die Bürger:innen damit eher bevormundet, da ihnen anscheinend nicht zugetraut wird, Aufdrücke auf Verpackungen richtig zu lesen - von jenen, die sonst Grünen Verbotskultur vorwerfen. „Schon das Verpackungsdesign der Ersatzprodukte schreit einem entgegen, dass es um Würste, Schnitzel und Burger aus Pflanzen geht“ schreibt der Ökonom und Journalist Maurice Höfgen. Oft mit grünen Verpackungen, eindeutigen Logos, klaren Zutatenlisten und meist in separaten Regalen sortiert tun die Hersteller und Verkäufer:innen der Produkte alles dafür, dass es zu keiner Verwechslung kommen kann. „Offensichtlich hält die Mehrheit im EU-Parlament die Verbraucherinnen und Verbraucher für dumm. Wohl kaum jemand, der eine Veggie-Wurst oder ein Soja-Schnitzel kauft, geht davon aus, dass diese aus Schweine- oder Rindfleisch besteht“, ist sich Brigitte Neuner-Krämer, Grüne Osterholz, sicher.
Die Verbraucherschutzzentrale Niedersachsen geht eher davon aus, dass Irritationen dann auftreten, wenn Ersatzprodukte tierische Pendants darstellen, aber nicht so genannt werden dürfen. „Gerade, wenn es um die Verwendung der pflanzlichen Ersatzprodukte in der Küche geht, würde ein Verbot für mehr Verwirrung als für Klarheit sorgen. Können die pflanzlichen Alternativen zu diesen Gerichten nicht vergleichbar beschrieben werden, kann dies ggf. auch den Einsatz solcher Produkte und eine etwaige Ernährungsumstellung auf vermehrt pflanzlicher Basis erschweren“, so Constanze Rubach von der Verbraucherschutzzentrale Niedersachsen.
Weitreichende Probleme
Vor dem Hintergrund der Klimaziele der EU spricht ein Begriffsverbot eher gegen diese Ziele. „Der Beschluss widerspricht diametral dem EU Beschluss mit dem Green Deal und den Klimazielen. Darin soll die Förderung nachhaltiger Ernährungsweisen ausdrücklich unterstützt werden mit dem Ziel, den CO2-Ausstoß der Landwirtschaft zu senken und den Konsum ressourcenschonender Lebensmittel zu fördern. Pflanzliche Alternativen leisten dazu einen wichtigen Beitrag“, erklärt Neuner-Krämer.
Auch McAllister sieht das Problem des Verbots weitreichender: „Angesichts globaler Herausforderungen wie Ernährungssicherheit und geopolitischer Abhängigkeiten sollte die Europäische Union Innovation fördern, anstatt sie zu behindern.“
Gleichzeitig würden Supermärkte mit Fleisch zu „Dumpingpreisen“ locken. So werden laut Neuner-Krämer die Schäden der Intensivtierhaltung für Umwelt und Klima auf die Gesellschaft abgewälzt. „Während konservative Kräfte über Produktnamen reden, werden im Hintergrund die europäischen Klimaziele abgeschafft. Das ist die eigentliche Täuschung - und sie trifft uns alle“, sagt Neuner-Krämer.
Ein Widerspruch
Solange fleischlose Alternativen eindeutig als diese gekennzeichnet sind, „trägt eine Deklaration mit diesen Begrifflichkeiten eben gerade dazu bei, pflanzliche Ersatzprodukte transparenter zu beschreiben“, erklärt Rubach. Wenn man die Begründung der Verwirrung und Täuschung weiterdenkt, würden auch tierische Produkte bei den Konsumenten genau dazu führen. In Leberkäse sei beispielsweise gar kein Käse enthalten.
Die Debatte um das Begriffsverbot hat online für Furore gesorgt. In den sozialen Netzwerken häufen sich Beiträge, in denen sich über das Verbot lustig gemacht wird, indem Produkte, die „tierische“ Namen haben, genannt werden. So enthält eine Fleischtomate kein Fleisch, Scheuermilch ist nicht aus Milch und in einem Hot Dog steckt natürlich kein Hund.
„Begriffe wie Wurst oder Schnitzel sind dabei weniger Täuschung als vielmehr Orientierung. Sie beschreiben Zubereitungsart, Form und Verwendungszweck“, so Neuner-Krämer. Ein Verbot dieser Begriffe sei kein Verbraucherschutz, „das ist Lobbyismus im Dienste der Fleischindustrie.“
Die Entscheidung im EU-Parlament werde laut McAllister nun an den Rat der Europäischen Union übermittelt. Dieser müsse dann entscheiden, ob die Parlamentsfassung übernommen, geändert oder abgelehnt werde. „Damit ist das Verbot noch nicht endgültig beschlossen und kann im weiteren Verfahren noch abgewendet werden.“ - Etwas Hoffnung, dass Vernunft auf EU-Ebene nicht völlig wurst ist, bleibt also noch.