

Ole Nymoen ist Podcaster, Kolumnist und Polit-Influencer – und wird derzeit durch allerhand Feuilletons und Talkshows gereicht. Aufmerksamkeit bekommt er, weil er in die Debatte um die bessere Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft und die Wiedereinführung der Wehrpflicht eine Haltung einwarf, die provoziert: Er wolle lieber in Unfreiheit leben, als für die Freiheit sterben.
Diese Verweigerungshaltung hat er im Gegensatz zu vielen anderen Vertreter:innen seiner Generation nicht einfach nur über X in den Äther geblasen. Sie bildet den Kern seines Buches „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“, in dem er seine Position theoretisch zu begründen versucht.
Sein Buch, das mittlerweile ein Spiegel-Bestseller ist, hat er vor dem Hintergrund der russischen Aggression gegen die Ukraine geschrieben. Nymoen argumentiert unter anderem dafür, die militärische Verteidigung der Ukraine zu unterlassen. Dabei reproduziert er jedoch weder russische Propaganda über die eigene Friedfertigkeit noch argumentiert er auf dem realitätsunterschreitenden Niveau sozialdemokratischer Friedensfreunde à la Ralf Stegner. Seine Kritik ist grundsätzlicher: Im Krieg verwende staatliche Herrschaft ihre Bürger als Menschenmaterial, um eigene Zwecke zu verfolgen. Soldaten würden gezwungen, für eine Sache zu kämpfen, die nicht die ihre sei – auch wenn nationale Propaganda das vergessen machen wolle. Es gebe nichts zu erwarten außer Tod und Leid.
Nymoen differenziert hierbei nicht zwischen demokratischen, sich verteidigenden Staaten und autoritären Angreifern. Ob Verteidiger oder Aggressor – beide zwängen Bürger dazu, „zu sterben für Zwecke, die nicht die ihren sind“, und machten damit „letztlich dasselbe, nur spiegelverkehrt“. Wer hier unterscheide, falle auf die „Propaganda der Herrschenden“ herein.
Tag der Bundeswehr: Kritik aus Osterholz-Scharmbeck
Propaganda für das Sterben – so lautet auch der Vorwurf des Osterholzer Aktionsbündnisses gegen den am 28. Juni bundesweit stattfindenden Tag der Bundeswehr. Das Bündnis hat Ole Nymoen für einen Vortrag am 25. Juni ins KuZ nach Osterholz-Scharmbeck eingeladen. Die Veranstaltung ist Teil einer Demomobilisierung gegen das Streitkräfteevent, zu dem in der Region die Lucius-D.-Clay-Kaserne in Garlstedt einlädt.
Der Tag der Bundeswehr will die sogenannte Truppe als familienfreundlichen Arbeitgeber präsentieren – gerade in einer Zeit, in der vermehrt Kriege geführt werden und demokratische Staaten ihre Verteidigungsfähigkeit betonen. Die Eigenwerbung lassen sich die zehn beteiligten Standorte einiges kosten: In Garlstedt soll das Programm laut der Osterholzer Linken mehrere Hunderttausend Euro verschlingen, um den erwarteten 25.000 Besuchern ein möglichst imposantes Bild militärischer Leistungsfähigkeit zu bieten.
Dynamische Fahrzeugvorführungen, Überflüge von Eurofighter und Transportmaschinen, interaktive Stationen, Bühnenprogramm und Bundeswehr-Erbsensuppe sollen Einblicke geben – in Waffen, Ausrüstung, Auftrag und Alltag der Streitkräfte. Im Fokus: neue Fahrzeuge und moderne persönliche Ausstattung der Soldat:innen. Neben Heer, Marine und Luftwaffe präsentieren sich auch Feuerwehr, Polizei, THW und DRK auf dem Kasernengelände.
Der Tag der offenen Kasernentore soll aber nicht nur als Recruiting-Instrument funktionieren, sondern auch als Beitrag zur besseren gesellschaftlichen Verankerung des Militärs. Das Event, das es seit 2015 gibt, inszeniert Nähe zwischen Bürgern und Bundeswehr – und versucht das Verständnis für die Notwendigkeit militärischer Präsenz zu stärken.
„Wir sollen den Kopf hinhalten“
Das Aktionsbündnis, dem auch die Osterholzer Linken angehören, verweigert das Verständnis. Es beklagt stattdessen eine „Militarisierung der Gesellschaft und die Schaffung von Kriegstüchtigkeit“. Wie Nymoen wenden sich die Aktivisten gegen die Normalisierung von Gewalt im Namen demokratischer Werte, gegen die Logik nationaler Verteidigung und gegen die Illusion, das staatliche Gewaltmonopol sei Garant für Freiheit und Menschenrechte.
Ihnen geht es dabei um strukturelle Kritik: „Als Menschen, die auf allen Seiten das Mittel in diesen Konflikten sind, sollten wir uns doch vielmehr genauer ansehen, woher diese gewaltsamen Ansprüche kommen und wie diese überwunden werden können.“ Es geht aber auch um Selbstschutz. Letztlich seien sie es, also junge Menschen, „die den Kopf notfalls hinhalten müssen“. Krieg sei nie Sache der Menschen, sondern immer Sache der Staaten, die diese als Mittel zum Zweck benutzten. Die von Staaten garantierten Rechte – Freiheit und körperliche Unversehrtheit – seien keine humanen Werte, sondern Instrumente zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Konkurrenzordnung, die auf Eigentum, Marktzwang und Unterordnung basiere. Dass in Friedenszeiten weniger geschossen werde, bedeute nicht, dass weniger Gewalt herrsche – nur, dass sie subtiler organisiert sei.
Wie Nymoen unterscheiden die Osterholzer Bundeswehrgegner in ihrer Kritik der Gewalt nicht danach, wie sie sich konkret organisiert. Zum einen verschwämmen im Krieg die Unterschiede zwischen demokratischer und autoritärer Staatsform. Zum anderen behaupteten alle Staaten, sich zu verteidigen.
Kein Staat ohne Gewalt – aber nicht jeder gleich
Die Kritik trifft Wesentliches, das oft verdrängt wird: Der Staat ist keine vernünftig begründete Institution, sondern Ausdruck eines ökonomisch vermittelten Gewaltverhältnisses. Er schützt – einst durch Gewalt geschaffene – Eigentumsrechte, erzwingt Lohnarbeit, organisiert Herrschaft im Interesse der marktwirtschaftlichen Gesamtbewegung – und verteidigt sich, wenn nötig, mit Waffen. Es gibt keinen Staat ohne Gewaltmonopol. Er kann nur deshalb Rechte garantieren, aber auch entziehen, weil hinter seiner Erscheinung als Organisationsform des allgemeinen Willens stets die Gewalt droht. Zudem setzt jede Staatlichkeit potenzielle Feindstaaten zur ihrer Legitimation voraus. Daher garantiert sie auch da, wo sie demokratisch verfasst ist, nicht nur Frieden, sondern stets den Krieg als Möglichkeit mit.
Die Aktivisten sagen es richtig: „Frieden ist alles andere als ein harmonischer Zustand zwischen den Staaten.“
Das ist im Übrigen keine spinnerte linke Staatstheorie. Diese Gedanken finden sich bereits bei fast allen bürgerlichen Staatsphilosophen – von Hobbes bis Hegel.
Nicht gleichmachen, sondern unterscheiden
Und dennoch: Die richtige Einsicht in die Gewaltförmigkeit aller Staatlichkeit darf sich der Differenzierung konkreter Erscheinungsformen nicht entziehen. Sie muss historisch informiert sein, an konkreten Widersprüchen ansetzen, statt abstrakt zu bleiben.
Die theoretische Einsicht der Aktivisten gegen den Tag der Bundeswehr speist sich aus einem Interesse an einer Welt, in der die Menschen „im Prinzip nichts mehr voneinander trennt“, wie sie schreiben. Soll diese Welt aber Realität werden braucht es Öffentlichkeit, Widerstandsmöglichkeiten und Engagement. Und diese Möglichkeiten gibt es eher in einer bürgerlich-liberalen als in einer autoritären Gesellschaft. Ein Ukrainer beispielsweise hat zwar nicht unmittelbar etwas von der Rückeroberung der Krim, aber sehr wohl etwas davon, wenn diese Rückeroberung es verhindert, unter russischer Herrschaft zu leben.
Also: Es ist richtig, sich von Menschenrechten nicht den Blick auf die Gewaltförmigkeit des Staates verstellen zu lassen. Aber es ist falsch, sich von dieser Einsicht blenden zu lassen. Denn die widersprüchliche Garantie jener Rechte qua dem Gewaltmonopol eines demokratischen Souveräns hält die Möglichkeit einer Welt aufrecht, die sich von gewaltförmigen Widerspruchslösungen emanzipiert hat.
Der Staat ist gewaltförmig – ja. Aber er ist es auf historisch unterschiedliche Weise. Das darf Kritik nicht ausblenden, will sie ihre eigenen Bedingungen nicht unterlaufen. Und sie sollte - die eigene Position weißer Wohlstandsverwöhnten reflektierend - verstehen, dass es etwas Schlimmeres gibt als den stummen Zwang der Verhältnisse und den Tod. Die Literatur von Imre Kertész, Elie Wiesel und Primo Levi hilft dabei.
Die Bundeswehr als Verteidigerin der Freiheit feien oder eine Wehrpflicht fordern, muss man deswegen aber nicht. Kritik muss radikal sein, sonst ist sie keine. Im Handgemenge aber muss sie es aushalten können, dass emanzipatorische Praxis und kritische Theorie nicht identisch sind. Eine bloße Totalverweigerung – so sympathisch sie in ihrer Verzweiflung auch wirkt – bleibt im Reich des Abstrakten. Im besten Fall führt sie nur zu theoretischer Äquidistanz, im schlimmsten zu Appeasementpolitik gegenüber Tyrannen.
Ole Nymoen kommt am 25. Juni ins Kulturzentrum Kleinbahnhof. Einlass: 18.30 Uhr.
Die Demonstration gegen den Tag der Bundeswehr findet am 27. Juni statt. Treffpunkt ist der Osterholzer Bahnhof, 17 Uhr.