Benjamin Moldenhauer

Oszillierende Verbundenheiten

Besprechung des Films „Past Lives“, der am Dienstag und Mittwoch, 12. und 13. Dezember, um 20.15 Uhr in den Ritterhuder Lichtspielen läuft.

Regisseurin und Drehbuchautorin Celine Song (2. v. li.) mit dem Cast ihres Films „Past Lives“.

Regisseurin und Drehbuchautorin Celine Song (2. v. li.) mit dem Cast ihres Films „Past Lives“.

Dem Film „Past Lives“ gelingt eine glaubhafte Verbindung zwischen Leben, Welterfahrung und Filmbildern, sodass das Private im Film etwas Allgemeines im Publikum berührt.

 

Das Kino und das Leben, sie stehen im Verhältnis zueinander, aber es lässt sich schwer beschreiben, in welchem genau. Aber dass man sich in den dunklen Saal setzt, um etwas über sich und der Welt zu erfahren, gilt auch, wenn man sich mit einem Blockbuster zuballert. Der zeigt einem dann zumindest, wie aktuelle Vorstellungen von Größe und Heldentum aussehen. Da lernt man dann eben gängige Phantasmen von der Welt kennen.

Im Kino bekommt man die Welt vorgeführt, ohne in sie involviert zu sein, man schaut, ohne dass einer zurückblicken und etwas von einem verlangen würde. Wir können imaginäre und empathische Verbindungen mit Menschen genießen, ohne dass sie von uns wissen.

Was für Kino-Zuschauer:innen gilt, gilt für viele Kino-Autor:innen auch. Man versteht im Kino nicht unmittelbar die Welt, man versteht das Geschehen einer künstlich erschaffenen Welt und kann mithilfe des Mediums erfahren, was man in unmittelbarer Interaktion mit der Welt außerhalb des Kinos nicht in dieser Form vermag: ihr Konsistenz oder zumindest eine selbsterschaffene Form verleihen. Also das eigene Leben nicht nur zu erzählen, sondern es vor allem erzählbar werden zu lassen.

 

Alltäglich und existenziell

 

Die Autorin und Regisseurin Celine Song ist mit ihren Eltern im Alter von zwölf Jahren von Südkorea nach Kanada ausgewandert. Mitte der Zehnerjahre begann sie ein Studium an der New Yorker Columbia University. Heute ist sie eine erfolgreiche Broadway-Autorin.

Die biografischen Eckdaten hat sie mit der Protagonistin ihres ersten Langfilms gemeinsam. „Past Lives“ erzählt von einem Mädchen, das mit ihren Eltern aus Südkorea auswandert. Der Film beginnt mit einer Rückblende: Nora (Greta Lee) lässt ihren Kinderfreund Hae Sung (Teo Yoo) zurück. Jahre später finden die beiden sich über Facebook wieder und nehmen ihre Freundschaft wieder auf, jetzt immer an der Grenze zu der Frage, ob aus ihr eine Liebesbeziehung werden kann und wird.

Man neigt als Zuschauer:in dazu, diese Geschichte einer Fernbeziehung, die ihre Kraft aus der Erinnerung an die Verbundenheit in der Kindheit bezieht, autobiografisch zu lesen. Dann wäre „Past Lives“ ein Fall, in dem das Leben der Autorin (Celine Song hat nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch geschrieben) beziehungsweise die Erzählung dieses Lebens etwas Allgemeines berühren. Der Film findet in einfachen, klaren Konstellationen Bilder und eine Sprache für Zustände und Verhältnisse, die einerseits alltäglich sind, andererseits eben existenziell. Der Verlust einer Liebe, die Unklarheit über die jeweilige Beziehung, der Wunsch nach etwas anderem, obwohl man mit dem, was man hat, nicht zwangsläufig unglücklich sein muss.

Nora hat in New York den jungen Autoren Arthur (John Magaro) geheiratet. Dann kommt Hae Sun sie besuchen. Die Szenen, in denen die beiden sichtbar sehr glücklich durch New York streifen, ohne jede Anstrengung, haben in ihrer Leichtigkeit etwas von Richard Linklaters „Before Sunrise“. Celine Song lässt alles einfach werden, ohne Drama, und trotzdem sind alle Gefühle da. Die berechtigte Eifersucht von Noras Ehemann, der er aber erstaunlich gut austariert bekommt. Die Trauer, um die verpassten Möglichkeiten, die man gehabt hätte, wäre das Leben anders gelaufen.

 

Traurig und leicht euphorisch

 

Nebenbei läuft in „Past Lives“ noch eine Geschichte über Migration und Identitäten mit. Irgendwann beginnen Nora und Hae Sun vor Arthur Koreanisch zu sprechen. Das klarste Zeichen dafür, dass Nora nicht nur zwischen zwei Männern steht, sondern zwischen ihrem vergangenen Ich und dem Ich, das eine amerikanische Autorin und Ehefrau repräsentieren muss, hin und her wechselt.

Das Ich, das gebunden ist an das Herkunftsland ist verbunden mit dem Freund der Kindheit. Eine Verbundenheit, die sich nicht klar definieren lässt, auch weil sich in ihr verschiedene Zeit-und Lebensphasen mischen und die zwischen Kinderfreundschaft, Erwachsenenfreundschaft Romantik, Verliebtsein und damit auch der Möglichkeit einer Affäre oszilliert.

Am Ende steht ein Abschied, und „Past Lives“ hat seine Tonalitäten so fein kalibriert, dass das Ende zugleich traurig ist und leicht euphorisch stimmt. Ein Gefühl, das die Filme manchmal auslösen, denen die oben skizzierte Verbindung zwischen Leben, Welterfahrung und Filmbildern gelingt, in dem Sinne, dass sie das Private so präzise und glaubhaft erzählen, dass die Erfahrungen der Filmfiguren sich nicht nur mit den Erfahrungen der Autor:innen verbinden, sondern auch mit denen des Publikums.

 

Der Film läuft am Dienstag und Mittwoch, 12. und 13. Dezember, um 20.15 Uhr in den Ritterhuder Lichtspielen.


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