Benjamin Moldenhauer

Der Film des Jahres

Ari Aster verdichtet Pandemie, Kulturkampf und moralische Selbstüberhebung zu einer bitteren Satire: „Eddington“ ist für Benjamin Moldenhauer der Film des Jahres.

Joaquin Phoenix und Pedro Pascal geraten in der Kleinstadt Eddington aneinander.

Joaquin Phoenix und Pedro Pascal geraten in der Kleinstadt Eddington aneinander.

Bild: A24

Es gab so einige Filme in diesem Jahr, die einen wieder an den Glanz des amerikanischen Autorenkinos erinnert haben. Während das Land rapide im Irrsinn Richtung Faschismus strauchelt, hat die amerikanische Filmindustrie, neben megalomanem, philosophisch aufgebrezeltem, lustigem Quatsch wie dem neuen „Tron“-Film, an ihren Rändern einige Kunstwerke hervorgebracht. Einige kleinere Produktionen sind darunter, die in ihrer Stille und in ihrem Fokus aufs Private geradezu anachronistisch wirken: Noah Baumbachs „Jay Kelly“ zum Beispiel oder „Blue Moon“, der neue Film von Richard Linklater.

Drei Anwärterinnen auf den Film des Jahres ließen sich aber, mehr oder weniger direkt, auf die politische Realität eines Landes im Niedergang beziehen: Kelly Reichhardts „The Mastermind“, der in aller Stille und eher in der Entfaltung einer ungreifbar-leisen Entropie wirkt. Paul Thomas Andersons „One Battle After Another“ als eine der seltenen US-Produktionen, die ein entspanntes bis positives Verhältnis zum bewaffneten politischen Kampf an den Tag legen.

 

Die USA sind am Arsch

Die direkteste politische Satire und zugleich Charakterstudie und damit dann auch der komischste und beste Film 2025 war „Eddington“ von Ari Aster. Die Prämisse ist einfach: Die USA sind, die Bilder zeigen es klar, am Arsch. Und Ari Asters Kunst ist, anders als die vieler anderer Autorenfilmer, die das Publikum zu einem möglichst grimmigen Blick auf die Welt zwingen wollen, nicht nur von einer energetisierenden destruktiven Energie befeuert, sondern auch von einer ausgeprägten analytischen Intelligenz. Deswegen kann er den Zustand des Am-Arsch-seins einer ganzen Gesellschaft in seinem neuen, besten Film „Eddington“ nicht einfach nur zeigen, sondern auch in seinen Dynamiken und seiner Genese beschreiben.

Einfach, indem er in den zweieinhalb Stunden, die dieses sehr kurzweilige Überlängenmeisterwerk dauert, einen Mikrokosmos konstruiert, innerhalb dessen die Menschen, im Glauben, dass sie der Welt ihren Stempel aufdrücken, genau auf den Bahnen entlanglaufen, die für sie vorgesehen sind. Men on a mission, sozusagen, davon ausgehend, dass sie als Träger eines freien Willens Entscheidungen treffen, tatsächlich aber nur als Ausformungen und Träger gesellschaftlicher Tendenzen fungieren. Vor allem der Tendenz Richtung Abgrund nämlich.

Das sind zum Beispiel: ein Sheriff, der sich im Lockdown weigert, eine Maske zu tragen (es ist das Jahr 2020), weil er als Asthmatiker unter der Maske nicht gut atmen kann. Seine psychisch belastete Frau, die von ihrer Mutter zur Eigenrecherche im Internet gedrängt wird und sich bald erlöst in den Krallen eines religiös erweckten Verschwörungsideologen wiederfindet. Die Frau des Sheriffs war außerdem vor Jahren kurz mit seinem Kontrahenten und Erzfeind zusammen, dem liberalen Bürgermeister, der sehr um Einhaltung der Lockdown-Regeln bemüht ist und irgendein eventuell sehr korruptes Zeug mit einem halbseidenen KI-Unternehmen eindealt.

 

Western mit großer Wucht

Der Sheriff will Bürgermeister werden, das bedeutet dann Krieg. Nach der Ermordung George Floyds kommt noch eine in ihrer hypermoralistischen Aufgepeitschtheit sehr übergriffige Gruppe weißer Black-Lives-Matter-Aktivist*innen dazu, die den schwarzen Polizisten (der in Bitcoins investiert) am Rande der Demo anbrüllt, er möge erst einmal niederknien, um seinen ermordeten Bruder zu ehren. Und am Ende, einem Blutbad, dann noch eine Terrorgruppe. Der Showdown von Ari Asters erstem Western ist, wie nebenbei, eine der filmisch eigenwilligsten Actionsequenzen der letzten Jahre.

In den sorgfältig, aber mit größter Wucht konstruierten Zusammenstößen der Figuren in verschiedenen Konstellationen entsteht ein Bild der Welt, also der USA in Zeiten des allseitig grassierenden, gesellschaftlich befeuerten Wahns.

„Eddington“ ist Ari Asters komischster Film. Es gibt ein paar unheimlich gut getimte Oneliner, vor allem aber stürzt das Geschehen zuerst mit gleichbleibender Geschwindigkeit und, nach etwa zwei Dritteln Laufzeit, mit erhöhtem Tempo ins Eskalierende. Die Komik kommt aus dem Wiedererkennen, man kennt alle diese Typen, die hier manchmal in Rein-, meist aber in Mischformen auftauchen: der sich radikalisierende Corona-Leugner, die verwirrte Verschwörungstheoretikerin, der Lockdown-Apologet, der alles richtig machen will und will, dass alle alles richtig machen, der*die wohlstandsverwahrloste Polit-Aktivist*in, die die Zelebrierung der eigenen Schuld und das eifrige Niederkreischen der Noch-nicht-Erweckten für politische Praxis hält.

Die Kamera macht hier, anders als in Asters bisherigen Filmen, wenig Spektakuläres, sondern bewegt sich nach den Maßgaben einer allerdings gleichfalls gnadenlosen Konsequenz. Die filmästhetische Entsprechung zur Zwangsläufigkeit, mit der Figuren den jeweiligen ideologischen Wirrwarr in ihren Köpfen an ihren Mitmenschen ausagieren. In dieser beharrlichen Konsequenz kommt man als Zuschauerin und Zuschauer irgendwann nicht umhin, sich selbst in Teilaspekten dieser Schreckensfiguren wiederzuerkennen.

Auch das ist dann sehr komisch. Und hat eine Humanität, die in dem umfassenden geistigen und menschlichen Elend, das „Eddington“ in sehr präziser, subtiler Überhöhung zeigt und seziert, unverhofft immer wieder aufscheint: Ari Aster ist, bei aller Destruktivität und bei allem wirklich finsteren Witz, nichts Menschliches fremd und er nimmt niemanden aus seinem umfassenden Mikrokosmos-Panorama aus. Seine Figuren sind, wie immer in seinen Filmen, zugleich wandelnde Zeichen, Träger von Bedeutung, und Charaktere gleichermaßen. Die meisten Filmemacher*innen wollen oder können nur eins von beidem.

 

Alle sind schrecklich

Mit all dem läuft „Eddington“ auf eine wirklich tiefgreifende, die Wahrnehmung sanft zurechtruckelnde Radikalambivalenz hinaus. Es sind alle auf ihre je eigene Weise schrecklich, aber es hat auch jede dieser verlorenen Figuren irgendwo einen Punkt. Sie können mit ihm halt nur nichts anfangen, außer ihn an ihren Mitmenschen auszuagieren. „Eddington“ erzählt nicht zuletzt von Menschen, die ihre eigenen idiotischen Ziele immer wieder mit dem verwechseln, was sie für das Interesse der Allgemeinheit halten.

Am Ende versinkt der dem Film seinen Titel gebende Ort im erwähnten Blutbad. Und das ist dann die einzige Hinsicht, in der „Eddington“ sich vom beschreibend-analytischen ins Prophetische verabschiedet. Was in Zeiten, in denen man gelernt hat, einen Film wie Alex Garlands „Civil War“ nicht als Dystopie, sondern als Inszenierung der nächsten (oder übernächsten) Stufe wahrzunehmen, so abwegig auch nicht mehr wirkt. Toll jedenfalls, dass der Kapitalismus beim Einbiegen in das, was möglicherweise seine Endphase sein wird, noch die Voraussetzungen zur Erstellung solcher Meisterwerke erlaubt.


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