Seitenlogo
Lynn Grawitter

Die Gewalt im Leben von Frauen

Jede:r für Gleichheit, so das Motto des Frauentags. Entgegen steht der Forderung Alltagssexismus, über den Lynn Grawitter in ihrem persönlichen Essay berichtet.

Am 8. März ist wieder Frauenkampftag und deswegen möchte ich mit diesem Essay Frauen einen Platz geben, um über ihre Erfahrungen mit Sexismus im Alltag zu berichten.

Am besten fange ich als Einstieg mit meiner eigenen Geschichte an. Das Erste Mal als mir bewusst geworden ist, dass ich eine Frau bin, war als ich 12 Jahre alt war und ich mit dem Fahrrad auf dem Weg vom Stedener See nach Hause sechs Mal von vorbeifahrenden Autos angehupt worden bin. Am Anfang habe ich mich natürlich gefragt, ob ich irgendeine Verkehrsregel gebrochen habe, aber schnell fiel mir auf, dass es immer Autos mit Männergruppen waren, die mich anhupten. Anschließend, als ich zu Hause angekommen bin, erzählte ich meiner Mutter davon und sie war entsetzt, aber nicht überrascht. Sie versuchte mir dann zu erklären, dass es nicht meine Schuld sei, aber dass dieses Verhalten von Männern im Laufe meines Lebens öfter begegnen wird und man als Frau einen Weg finden muss, damit umzugehen. Mit vielem umgehen müssen auch Frauen aus meinem direkten sozialen Umfeld. Egal, wen ich frage, sie alle können eine Geschichte erzählen. Also:

 

Ein Beispiel von meiner Freundin Saskia*

 

„Ich glaube mir fallen eh viele Sachen ein, aber wenn es eins gibt, was es in allen möglichen Situationen und Härtegraden gibt, dann ist es, nicht ernstgenommen zu werden. Das passiert bei egal was: In meiner Analyse von Ereignissen, in meiner Wut in Konflikten oder in ätzenden Situationen, wenn es um meine körperlichen oder psychischen Fähigkeiten geht, sei es bei einem Umzug oder einer stressigen Arbeitssituation. Das Wie ist sehr unterschiedlich. Mal durch die Blume und mal ganz direkt geäußert, und es sind Männer und Frauen. Das bringt mich in der Regel zum Platzen!“

 

Ein Erlebnis von einer Bekannten

 

„Ich weiß noch als ich 14 Jahre und am späten Abend am Bahnhof war, weil mein Ex an Übelkeit litt und ich ihn nicht alleine nach Hause schicken wollte. Auf meinem Rückweg war es schon 22 Uhr und da hat mich ein ca. 30-jähriger Typ angesprochen und wollte ein „Gespräch“ mit mir führen. Mir war das mega unangenehm und ich musste noch ungefähr 20 Minuten auf den Bus warten. Der Typ hat irgendwann seinen Arm um meine Schulter gelegt und ich, als damals undiagnostizierte Autistin, wusste nicht, was seine Intention war. Ich habe das nicht unterbunden, aber ich hatte mega Panik und wollte weg. Der Typ wollte auch, dass ich ihn irgendwohin begleite. Durch meine Angst habe ich das aber nicht gemacht. Als der Bus kam und ich eingestiegen bin, hat der Typ mich richtig angepisst angeschaut. Das war das Gruseligste, was ich erlebt habe.“

 

Was meiner Oma passiert ist, als sie gerade 20 war

 

„Ich stand in den 1970ern an einem späten Abend an einer roten Ampel in Bremen als ich bemerkte, dass ein Mann im Auto neben mir mich beobachtete und komisch guckte. Als die Ampel grün wurde, fiel mir auf, dass dieser besagte Mann mich verfolgt. Auf einer Kopfsteinpflaster-Straße zwischen Lilienthal und Trupermoor überholte er mich plötzlich und stellte sich quer vor mein Auto. Ich drückte geistesgegenwärtig alle Türschlösser runter und habe den Rückwärtsgang eingelegt und bin mit Vollgas weggefahren. Er ist mir aber dennoch weiter gefolgt. Als ich zu Hause angekommen bin, rannte ich in mein Haus und schloss alle Türen ab.“

 

Frauen sind schlecht geschützt

 

Wir sehen an den Erfahrungsberichten, dass es egal ist, wie alt eine Frau ist, was sie macht oder was sie anhat. Frauen sind in keiner Lebenssituation vor Vorfällen wie diesen geschützt und wir als Gesellschaft müssen anfangen, die Erfahrungen von Frauen ernstzunehmen, die Rolle der Frau zu hinterfragen und Männer für ihr Verhalten verantwortlich zu machen. Wir müssen aufhören, so etwas zu sagen wie: „Was sich liebt das neckt sich“, weil es einfach nicht stimmt. Denn man drückt Liebe nicht mit Gewalt und Kontrolle aus. Es ist wichtig, schon im jungen Alter über Grenzen aufzuklären und dass nur ein „Ja“ auch die Bedeutung von einem „Ja“ hat und ein „Nein“ nicht bedeutet „Überrede mich!“.

 

Gewalt im Leben von Frauen

 

Ich muss zugeben, dass dieses Thema sehr emotional für mich ist, weil ich im Jahr 2021 erfahren musste, wie es sich anfühlt, durch das gesellschaftliche Raster zu fallen - nach einem sexuellen Übergriff. Ich habe viele Freunde verloren, weil der Umgang mit dem Thema in der Gesellschaft so unklar ist. Es ist leider ein Tabuthema und man weiß nie, in welchem Rahmen man über das Thema sprechen kann. Aber klar ist, dass man darüber sprechen sollte, denn es ist ein strukturelles Problem und niemals die Schuld des Opfers. Die Angst, dass die Situation entwertet wird und der ganze Schmerz in Frage gestellt wird mit Fragen wie „Was hattest du denn an?“, „Hast du dich nicht gewehrt?“ und „Vielleicht hast du ihm Signale gegeben?“ ist immer da.

Ich denke fast jede Frau, die das liest, wird sich in einem der Berichte wiedergefunden haben und ich denke, ich hätte noch unendlich mehr Erfahrungen in diesem Artikel veröffentlichen können. Das sind alles Erfahrungen aus dem Alltag. Von Frauen aus dem Landkreis Osterholz und Umzu.

Was leider zu dem Leben einer Frau gehört, ist körperliche und psychische Gewalt. Fast jede siebte Frau in Deutschland ist von sexualisierter Gewalt betroffen. 13 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen haben seit dem 16. Lebensjahr strafrechtlich relevante Formen sexualisierter Gewalt erlebt. Das heißt Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung oder unterschiedliche Formen von sexueller Nötigung. Rund 25 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen ist körperliche oder sexualisierte Gewalt (oder beides) durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner:innen widerfahren. Nur 5 Prozent der Sexualstraftaten werden angezeigt. Aber wie sieht es eigentlich im Landkreis Osterholz aus? In der polizeilichen Kriminalstatistik Landkreis Osterholz 2021 gab es 541 angezeigte Fälle häuslicher Gewalt. Davon waren 399 Opfer weiblich, 13 Anzeigen wegen Vergewaltigung und Sexueller Übergriffe/Nötigung und vier Anzeigen wegen sexueller Belästigung.

Es ist schwer, den Schritt zu gehen, aber es wichtig, sich Hilfe zu suchen, wenn man als Frau Gewalt erfährt.

 

Hilfsangebote im Raum Landkreis Osterholz sind beispielsweise: In akuten Notsituationen die 110, bei dringendem Beratungsbedarf die Notrufnummer 01525 7973290. Der Frauen gegen Gewalt e.V: Telefon: 04791 9302685, Fax: 04791 930112685, E-Mail: gewaltschutzberatung@landkreis-osterholz.de, Website. Der Weisser Ring e.V. (Hilfsorganisation, die hilft, wenn man Opfer von Kriminalität und Gewalt geworden ist): Telefon: 0421/323211, Website , E-Mail: Bremen@weisser-ring.de.


UNTERNEHMEN DER REGION