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Wer sorgt sich um Sorgearbeit? Equal Care Day rückt Thema in den Fokus

Niedersachsen (jm). Ernüchterndes Fazit: Die Initiative Equal Care Day sieht sieben Jahre nach ihrer Gründung keine nachhaltigen Fortschritte bei der gerechten Verteilung von Fürsorgearbeit. Das Thema betrifft auch die aktuellen Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst.
Kinderbetreuung gehört zur sogenannten Carearbeit - und wird beruflich wie privat größtenteils von Frauen geleistet. Foto: unsplash/Marisa Howenstine

Kinderbetreuung gehört zur sogenannten Carearbeit - und wird beruflich wie privat größtenteils von Frauen geleistet. Foto: unsplash/Marisa Howenstine

Dem Internationalen Frauentag, der mittlerweile auf eine 111 Jahre lange Geschichte zurückblicken kann, geht jedes Jahr ein deutlich jüngerer, aber inhaltlich verwandter Aktionstag voraus: Im Jahr 2016 wurde der Equal Care Day von der gleichnamigen Initiative erstmals ausgerufen. Der Termin fällt auf den 29. Februar und somit außerhalb von Schaltjahren auf den 1. März. Dieses Datum ist nicht zufällig gewählt: Der 29. Februar existiert in den Köpfen nicht, er wird nicht gesehen - wie die Fürsorgearbeit, die sowohl beruflich als auch privat zum größten Teil von Frauen geleistet wird.
 
Care-Arbeit in Zahlen
 
Care-Arbeit beschreibt die unbezahlten und bezahlten (re-)produktiven Tätigkeiten des Sorgens und Sich-Kümmerns, ist Fürsorge und Selbstsorge. Am Anfang und am Ende des Lebens sind wir darauf angewiesen, dass andere Menschen sich um uns kümmern, bedingungslos fürsorglich sind. Aber auch in den Jahren dazwischen stellt sich die Frage: Wer kocht, räumt auf und putzt? Wer erzieht, betreut und pflegt? Wer hört zu und gibt Rückhalt? Wer ist bereit, die eigenen Wünsche zurückzustellen und sich hier und jetzt um andere zu kümmern? Die Antwort: mehrheitlich Frauen, im Privaten unbezahlt, im Beruf unter hoher Belastung, in beiden Bereichen mit wenig Anerkennung.
Ein Blick in die offiziellen Zahlen der Agentur für Arbeit oder des Statistischen Bundesamtes zeigt: Weit über 80 Prozent der beruflichen Care-Arbeit in Deutschland wird von Frauen geleistet. Ihr Anteil liegt in Kindertagesstätten bei 96 Prozent und in Grundschulen bei 90 Prozent, private Pflegedienste 87 Prozent, Krankenhäuser und Pflegeheime 85 Prozent, Reinigungswesen 75 Prozent – im Gesamtdurchschnitt sind es 84 Prozent, und in diesen Zahlen sind auch die oft männlich besetzten Führungspositionen eingerechnet - also Männer, die mit der eigentlichen Sorgearbeit kaum mehr betraut sind. 34 Prozent aller berufstätigen Frauen sind im Fürsorgebereich tätig, aber nur 8 Prozent der Männer, selbst hier gibt es also ein Verhältnis von gut vier zu eins. Im privaten Bereich zeigt sich ein ähnliches Bild: Im Gesamtdurchschnitt leisten Frauen 52,4 Prozent mehr Familien- und Sorgearbeit als Männer. Gesamtdurchschnitt heißt, dass hier Singlehaushalte und kinderlose Paare mit einberechnet sind. Je mehr Fürsorgearbeit zu leisten ist, je körpernäher diese Aufgaben sind, desto gravierender das Missverhältnis. Ein weiterer Hinweis auf die ungleiche Verteilung der Fürsorgearbeit: Über 50 Prozent der Frauen im Alter zwischen 30 und 65 Jahren arbeiten in Teilzeit, doch nur gut 7 Prozent der berufstätigen Männer.
 
Bislang kaum Fortschritte
 
“Die faire Verteilung der Sorge- und Versorgungsarbeit ist die Grundvoraussetzung für eine gleichberechtigte Gesellschaft. Und die vergangenen zwei Pandemiejahre haben gezeigt, dass wir auf diesem Weg bislang keine nachhaltigen Fortschritte erzielt haben“, sagt Almut Schnerring, Initiatorin des Equal Care Day. Das liege nach wie vor an Geschlechterrollen, die von klein an verinnerlicht würden: „Die Kommunikation und Auseinandersetzung über Care-Arbeit scheitert oft schon daran, dass zu vielen, vor allem Männern, nicht bewusst ist, was Sorgearbeit bedeutet und im Detail umfasst, weil sie diese als Kind nicht gelernt haben und im Gegensatz zu ihren weiblich gelesenen Geschwistern auch nicht lernen mussten. Für die einen ist Care-Arbeit so selbstverständlich, für die anderen so fern, dass sich beide Seiten der Trageweite und Dimensionen von Sorgearbeit kaum bewusst werden und vieles unausgesprochen bleibt.“
Kaum gesprochen werde beispielsweise über die Last der Verantwortung („Mental Load“). Die sei mitunter schwerwiegender als der Zeitaufwand für Sorgearbeit. „Mehr noch als die messbare zeitliche Einschränkung ist es diese unausgesprochene Mental Load, die es sorgenden Menschen so schwer bis unmöglich macht, sich in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu engagieren, mitzuwirken und teilzuhaben, sei es in Politik, Kultur, Wissenschaft oder im Beruf“, so Almut Schnerring.
 
ver.di verhandelt für bessere Arbeitsbedingungen
 
Dass sie im Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes hauptsächlich im Namen von Frauen verhandelt, ist auch der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bewusst. In der aktuellen Tarifrunde, die ursprünglich 2020 stattfinden sollte und wegen der Pandemie verschoben wurde, hat die Gewerkschaft deshalb auch zu Warnstreiks am 8. März, dem Internationalen Frauentag, aufgerufen.
Der erste von drei angesetzten Verhandlungsterminen verlief nicht zur Zufriedenheit der Gewerkschafter:innen. „Die Arbeitgeber sehen überhaupt keinen Handlungsspielraum beim Thema Entlastung. Dabei sind die Beschäftigten hart getroffen. Überstunden, Mehrarbeit und zu große Gruppen sind für viele Kolleg:innen Alltag – nicht erst seit Corona“, sagt Martin Peter vom ver.di Landesbezirk Niedersachsen - Bremen. In der aktuellen Tarifrunde geht es nicht um Gehaltsverhandlungen, sondern um die Arbeitsbedingungen von Kita-Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen.
Die Forderungen der Gewerkschaft zielen einerseits auf die Eingruppierung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, das heißt die Zuordnung von Arbeitnehmerinnen zu einer Vergütungsgruppe. Sollten diese umgesetzt werden, hätte das durchaus Auswirkungen auf das Gehalt einzelner Beschäftigter - auch wenn kein neuer Tarif ausgehandelt wird. Andererseits sollen die belastenden Arbeitsbedingungen verbessert werden. Für Vorbereitung und Aufgaben, die nicht unmittelbar die Betreuung der Kinder betreffen (z.B. Elterngespräche), sei zu wenig Zeit eingeplant, dies müsse sich ändern. Außerdem will ver.di Entlastungstage für die Beschäftigten durchsetzen.
Diese Verbesserungen seien nicht zuletzt notwendig, um neue Fachkräfte für den Bereich zu gewinnen, sagt Martin Peter: „Ein hoher Anteil verlässt den Beruf nach drei bis fünf Jahren wieder. So viel Nachwuchs kann man gar nicht ausbilden.“ Die Ausgangsbedingungen für Berufseinsteriger:innen müssten attraktiver gestaltet werden und der Aufstieg in höhere Entgeltstufen solle schneller gehen, fordert Peter. Dass es große Problem gebe, hätten auch die Arbeitgeber:innen erkannt. Sie zögen nur noch nicht die richtigen Schlüsse. Die weiteren Verhandlungsrunden sind für den 21./22. März und für den 16./17. Mai 2022 geplant.


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