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Sarah Lenk

Vom Fehlen der alleintrinkenden Frau

Das erste Stück unser neuen Kolumnisten Sarah Lenk.

23:45h an einem beliebigen Abend am Wochenende. Irgendeine Bar in Deutschland. Immer bietet sich ein ähnliches Bild: laute Musik, die Anwesenden sind mehr oder weniger angetrunken, unterhalten sich angeregt oder sitzen allein am Tresen, jedermann ist willkommen, solange er zahlen kann und sein Verhalten nicht aus dem sozialen Rahmen fällt. Demokratische Trinkkultur.
Eine Bar ist ein Ort, an den man nicht nur mit Freunden geht, sondern auch für sich sitzen kann. Anonym sein Bier trinkt, seinen eigenen Gedanken nachhängen kann. Ein Ort, an dem man geht, wenn man unter Menschen allein sein möchte. Oder um neue Freundschaften zu schließen. Egal, ob traurig, was zu Feiern oder einfach nur Langeweile - Bar geht immer. Für alle.
Jedenfalls für fast alle. Was fehlt sind die alleintrinkenden Frauen. Liegt es daran, dass Frauen einfach nicht gerne trinken? Oder dass es in ihrer weiblichen Natur verankert ist, immer mindestens zu zweit ausgehen zu wollen, oder am besten gleich im Rudel? Der einsame Wolf ist eben ein Mann, die Frau an sich mag Gruppe. Könnte man meinen. Wenn man vergisst, dass Männer und Frauen in anderen sozialen Möglichkeitsräumen leben.
Einfach noch in diese und jene Bar gehen wollen, dort am Tresen sitzen und ein Bier trinken. Eine völlig selbstverständliche, spontan ausführbare Handlung, die keinerlei Planung oder Aufmerksamkeit erfordert. Es sei denn, du hast Brüste. Dann wird es schwierig. Es ist nicht möglich, als Frau einfach so an einer Bar zu sitzen. Stets wird ihr Alleinsein von irgendeinem Mann als eine Einladung verstanden, die er sich über seinen offenen Hosenschlitz testo-postalisch selbst zusendet.
Denn Frauen sitzen doch in Bars, um abgeschleppt zu werden. Niemand kann sich vorstellen, dass sie diese aus irgendwelchen anderen Gründen aufsuchen (Traurigkeit, Feiern, Langeweile, Gewohnheit, usw.).
Frau fällt auf - so allein, das kann doch gar keinen anderen Grund haben, als dass sie Kontakt sucht. Männlichen Kontakt, am besten körperlich. So denken sich das die anderen. Und Frau sitzt nicht lange allein. Die selbstverständliche Unsichtbarkeit, die der männliche Barbesucher besitzt, ist der Frau nicht gegeben. Und wenn sie schon nicht angesprochen wird, dann zumindest beäugt, beurteilt, etc. In Ruhe ein Bier trinken gehen sieht anders aus.
Deshalb sind Vorkehrungen nötig - mindestens mit einer Freundin weggehen, am besten gleich mit mehreren, ein Buch mitnehmen, um symbolisch auf das Bedürfnis des Alleintrinkens hinzuweisen. Es erfordert immer Überlegung, Planung, Entscheidung. Die Strategien sind vielfältig, aber alle ein bisschen wirkungslos. Stets fühlt sich ein anwesender Mann dazu berufen, die alleintrinkende Frau (oder sogar Gruppe von Frauen) aus ihrer misslichen Lage zu befreien und sich als Gesprächspartner anzubieten. Am besten geht Frau gleich mit einem Mann weg, denn dann ist Ruhe. Seltsam, nicht wahr?


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