Patrick Viol

Teilhabe ist Menschenrecht

Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen ist ein Menschenrecht. Darauf macht am 3. Dezember der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen aufmerksam. Zwei Schüler:innen und ein Abgänger der Tagesbildungsstätte Helga-Leinung-Schule berichten zu diesem Tag von ihren Berufswünschen.

Bremervörde. „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“, so heißt es umgekehrt zitiert nach dem römischen Autor Seneca. Schulische Bildung soll bestenfalls auch auf die Lebenspraxis vorbereiten und Orientierung für den weiteren Weg geben. Der Übergang von Schule in den Beruf ist dabei einer der großen Schritte im Leben von jungen Menschen, egal ob mit oder ohne Beeinträchtigungen.

Doch für Menschen mit Beeinträchtigungen ist der Übergang ungleich schwerer. Strukturen und mangelnder Inklusionswillen von Arbeitgebern auf dem ersten Arbeitsmarkt sind für viele große Steine auf ihrem Weg gesellschaftlicher Teilhabe. Statistiken zeigen: Seit Jahren steigt die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung an: 14.890 Personen haben in Niedersachsen aktuell keinen Job, das sind noch einmal 5 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. „Unsere Wirtschaft sucht händeringend nach gutem Personal und gleichzeitig werden hier tausendfach Chancen vertan“, kritisiert z. B. Friedrich Stubbe, Vorsitzender des Sozialverbands VdK Niedersachsen-Bremen, die fehlende Einstellungsbereitschaft.

Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen ist ein Menschenrecht. Darauf macht der 3. Dezember - der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen - aufmerksam.

Diesen Tag haben wir zum Anlass genommen, um mit zwei derzeitigen Schüler:innen sowie einem Abgänger der staatlich anerkannten Tagesbildungsstätte Helga-Leinung-Schule (HLS) der Lebenshilfe Bremervörde/Zeven zu sprechen. Die HLS ist eine im niedersächsischen Schulgesetz verankerte Einrichtung, in der Schüler:innen mit einem Förderbedarf im Bereich Geistige Entwicklung ihre Schulpflicht ableisten. Hier erzählen sie, welche Berufswünsche sie entwickelt haben, wie sie sich auf die Arbeitswelt vorbereiten beziehungsweise vorbereitet haben und wie sie dabei unterstützt werden.

 

Stellt Euch bitte kurz vor.

JS: Ich heiße Jesse Schnackenberg, bin 14 Jahre alt und in der 9. Klasse der Helga-Leinung-Schule. Ich wohne in Tarmstedt. In meiner Freizeit koche ich gerne und ich fahre gerne in den Urlaub – am liebsten nach Scharbeutz.

EP: Ich bin Emma Pülsch, 13 Jahre alt und wohne in Bremervörde. In meiner Freizeit gehe ich zum Tanzen.

TB: Mein Name ist Tjaark Bösch. Ich bin 19 Jahre alt und wohne in Heeslingen. Ich fahre gerne Fahrrad, spiele Landwirtschafts-Simulator und unternehme viel mit meiner Familie.

 

Was sind Eure Pläne für die Zukunft? Wo oder als was möchtet Ihr arbeiten?

JS: Ich möchte gerne in einer der Küchen oder der Kantine der Lebenshilfe im Vördewerk arbeiten. Das finde ich richtig gut. Ich durfte da sogar schon ein Praktikum machen. Ich habe auch schon im CAFESITObar in Rotenburg und bei Fleischerei Bösch in Tarmstedt ein Praktikum gemacht. Wenn ich in der Abschlussstufe bin, möchte ich noch viel mehr über die Arbeit lernen und noch mehr Praktika an verschiedenen Standorten machen. Dann kann ich gut sehen, was mir Spaß macht und wo ich mich wohl fühle.

EP: Ich würde gerne Kinder betreuen. Ich möchte mit kranken Kindern arbeiten, damit ich die wieder gesund machen kann. Ich mag Kinder sehr gerne und würde deswegen gerne auf einer Kinderstation im Krankenhaus arbeiten.

 

Wie seid Ihr auf Eure Berufswünsche gekommen? Wie habt Ihr Euch vorbereitet und wer unterstützt Euch?

JS: Ich koche gerne, mit vielen Menschen koche ich gerne zusammen und ich habe viele gute neue Ideen, die man dann umsetzen kann. In der Schule haben wir viel über Kochen und gesunde Ernährung gelernt, leckere Gerichte getestet und ich durfte viel ausprobieren. Wir Schüler:innen dürfen oft Rezepte raussuchen, die wir zusammen kochen. Wie man eine Einkaufsliste schreibt, habe ich in der Schule gelernt. Ich finde es immer richtig cool, wenn ich im Supermarkt meine eigene Einkaufsliste geschrieben habe und die Lebensmittel dann alleine zusammensuchen darf. Das kann ich schon richtig gut. Wir rechnen auch immer aus, wie viel wir brauchen, damit es für alle reicht. Mit meinen Lehrerinnen und meinen Eltern überlege ich immer, wo ich ein Praktikum machen kann oder wo ich später mal arbeiten kann.

EP: Ich gucke gerne „Bettys Diagnose“, das ist eine Serie im Fernsehen. Da haben mir die Geschichten mit den Kindern besonders gut gefallen. Ich lerne dafür immer besser Lesen, Schreiben und Rechnen. Meine Lehrerinnen aus meiner Klasse helfen mir dabei. Ich helfe auch meinen Mitschüler:innen, wenn sie Hilfe brauchen. Das bereitet mich auch vor.

Und wie ist es bei Dir abgelaufen, Tjaark?

TB: In der Zeit in der Abschlussstufe habe ich vier verschiedene Praktika gemacht. Da ich großes Interesse an der Landwirtschaft habe, absolvierte ich davon eines auf einem Milchhof und eines bei Hof Eckhoff in Osterheeslingen. Danach war für mich klar: Ich möchte nicht in einer Werkstatt arbeiten, sondern auf einem landwirtschaftlichen Hof! Wir haben dann Kontakt zur Agentur für Arbeit aufgenommen und uns über berufliche Möglichkeiten nach der Schule informiert. Seit August 2024 mache ich nun eine Unterstützte Beschäftigung* auf dem Hof Eckhoff. Zu meinen Aufgaben zählen: die Schweinemast (Abladen der Ferkel, tägliche Kontrolle, Aufladen der schlachtreifen Schweine, den Stall reinigen); das Auffüllen des Hofladens; das Roden von Kartoffeln, Zwiebeln und Zuckerrüben; das Absacken von Kartoffeln und Zwiebeln; die Maisernte; die Fütterung der Biogasanlagen; Hofarbeiten wie Fegen oder Mähen.

Wenn Ihr an Euren Start ins Berufsleben denkt: Was ist oder war besonders wichtig für Euch? Was benötigt Ihr oder wünscht Ihr Euch, damit er gut gelingt?

JS: Mir ist wichtig, dass ich mit den Leuten gut klarkomme, dass alle nett sind und dass ich viel Spaß habe. Und dass ich weiß, was ich zu tun habe und immer jemand da ist, den ich was fragen kann, wenn ich was nicht weiß. Ich bin auch nett zu allen und bin motiviert, Neues auszuprobieren. Pausen mag ich auch gerne, da finde ich cool, viele neue Leute kennenzulernen.

EP: Mir ist wichtig, dass ich mich gut darauf vorbereiten kann. Ich muss lernen, was ich da für die Arbeit brauche. Vielleicht mache ich vorher mal ein Praktikum, um zu sehen, wie es mir gefällt.

TB: Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Möglichkeit erhalten habe. Familie Eckhoff und meine Kollegen sind sehr hilfsbereit und verständnisvoll. Mir ist wichtig, dass alle respektvoll miteinander umgehen und jeder jeden unterstützt – das erfahre ich dort jeden Tag.

 

Die drei jungen Menschen zeigen auf, wie unterschiedlich die Berufswünsche und Wege ins Arbeitsleben für Personen mit Förderbedarf sein können. Während Tjaark Bösch in der Landwirtschaft arbeitet und damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt strebt, ist es das Ziel von Jesse Schnackenberg, später in einer Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigungen (WfbM), wie dem Vördewerk der Lebenshilfe Bremervörde/Zeven, tätig zu sein. Emma Pülsch hingegen liebt die Arbeit mit Kindern. Dies ist beispielsweise bei einem ausgelagerten Arbeitsplatz möglich. Hier sind die Mitarbeitenden mit Beeinträchtigungen Werkstatt-Beschäftigte, arbeiten aber in einem Unternehmen oder einer Einrichtung des allgemeinen Arbeitsmarktes wie Kindertagesstätten. Bei der Lebenshilfe Bremervörde/Zeven beispielsweise begleitet der Fachdienst berufliche Teilhabe (FdbT) die Beschäftigten auf einem ausgelagerten Arbeitsplatz.

(*Anm. d. Red.: Die Unterstützte Beschäftigung ist ein individuelles Angebot für Menschen mit Beeinträchtigungen und besonderem Unterstützungsbedarf. Ihr Ziel ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.)

Das Interview wurde der Redaktion von der Lebenshilfe Bremervörde Zeven zum Abdruck zur Verfügung gestellt.


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