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Schon wieder so ein Genderdings?

Warum wir im Schriftbild des ANZEIGER fortan den gendersensiblen Doppelpunkt verwenden
 

(pvio). Zum Anfang ein Rätsel: „Ein Vater fährt mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglücken. Der Vater stirbt an der Unfallstelle. Der Sohn wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und muss operiert werden. Ein Arzt eilt in den OP, tritt an den Operationstisch heran, auf dem der Junge liegt, wird kreidebleich und sagt: ‚Ich bin nicht imstande zu operieren. Dies ist mein Sohn.‘ Nun, wie ist das möglich?
Bevor das Rätsel seine Auflösung erfährt, etwas anderes: Sicherlich haben einige Leser:innen bemerkt (wie jetzt gerade), dass wir das Sternchen durch den Doppelpunkt ersetzt haben. Und weil sich bereits viele über das Sternchen beschwerten, weil es die Lesbarkeit störe und zudem unnötig sei, da man beim generischen Maskulinum ja auch die weibliche Variante mitdenken würde, leisten wir einem erneuten Erregungssturm Vorschub und erklären, warum wir diese Schreibweise nutzen.
Grundsätzlich haben wir uns, bereits vor dem Doppelpunkt, dafür entschieden, in unseren Texten genderneutrale (z. B. Lehrkraft statt Lehrer und Lehrerin)und gendersensible (Lehrer:innen) Sprache zu verwenden, weil wir zum einen davon überzeugt sind, dass man beim generischen Maskulinum eben nicht stets auch die Anwesenheit von anderen Geschlechtern mitdenkt. Oder hat schon jemand das Rätsel gelöst? Zudem wird die Nicht-Benennung von Personengruppen auch rechtlich nicht länger geduldet. Zum weiteren finden wir deshalb, dass wir zu einer Verzerrung der Wahrnehmung der Realität vor Ort betrügen, wenn wir nur das generische Maskulinum verwendeten. Denn gerade im ländlichen Raum sind es mehrheitlich Frauen, die sich engagieren und über die wir berichten. Von Organisatoren zu sprechen, während aber 8 Frauen und 2 Männer eine Veranstaltung planen, erweckt den Eindruck, das Verhältnis wäre anders herum bzw., dass Frauen gar nicht aktiv anwesend gewesen wären. Das Wort Organisator:innen ist hingegen nicht nur weniger sperrig, sondern macht es unmöglich, an Frauen nicht zu denken, wodurch die Beschreibung des tatsächlichen Sachverhalts und das Bild, das sie erzeugt, adäquater ist. Darüber hinaus schließt der Doppelpunkt wie das Sternchen auch Menschen ein, die sich weder männlich noch weiblich positionieren. Und während diese Personen gesellschaftlich versuchen, sicht- und hörbarer zu werden, werden wir als Zeitung nicht dagegen steuern und sie weiterhin aus dem Schriftbild verdrängen.
Beim Journalismus geht es um die Beschreibung dessen, was ist und dass in allen zivilen und politischen Zusammenhängen Menschen aktiv sind, die sich nicht eindeutig positionieren, ist ein Fakt, den wir durch ein Festhalten an einer gewohnten Schreibweise nicht verdecken wollen. Wir denken, nicht das Sternchen oder der Doppelpunkt sind ideologisch, sondern der Versuch, die Realität weniger vielfältig erscheinen zu lassen, als sie ist, ist ideologisch.
Den Doppelpunkt haben wir nun statt des Sternchens eingeführt, weil er technisch kompatibler ist, z. B. für eine Vorleseapp. Ein Sternchen würde die App vorlesen, der Doppelpunkt hingegen wird als kurze Pause gesprochen, wie zum bespiel beim Wort Theater, wo wir zwischen dem e und a auch eine kleine Unterbrechung machen.
Und des Rätsels Lösung? Der Arzt ist die Mutter des Sohnes.


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