Sarahs Nachtgeschichten: Wenn Körper einfach Körper sind
21.16 Uhr in irgendeiner norddeutschen Sauna. Während ich gemütlich auf der Dachterrasse sitze und rauchend in die Landschaft schaue, spricht mich ein (durchaus nicht unattraktiver) junger Mann an und will ein Gespräch beginnen. Er ist respektvoll, merkt an meiner freundlichen, aber distanzierten Antwort, dass meinerseits kein Interesse besteht und zieht sich zurück. Alles gut. Aber ein Gedanke lässt mich seitdem nicht los - gibt es einen schlechteren Ort, um Frauen anzusprechen, als die Sauna? Ich möchte mich zu der These hinreißen lassen, dass selbst eine KZ-Gedenkstätte besser geeignet wäre. Es ist total weird. Aber - warum?
Es ist doch eigentlich praktisch - immerhin hätte ich mir keine Sorgen machen müssen, ob wir uns auch nackt attraktiv finden. Allen wäre sonnenklar, worauf man sich einlässt. Weniger anxiety. Man hat ein gemeinsames Interesse und eine nette kleine Kennenlerngeschichte.
Also warum kommt mir das so unpassend vor? Weil wir uns eben noch nackt gesehen haben. Und zwar in einer speziellen Form von nackt. Dieselbe wie beim FKK - eine völlig entsexualisierte Form von Nacktheit. Die nur durch ihre Entsexualisierung funktioniert. Und oft genug von älteren Männern missbraucht wird, nicht umsonst gibt es in jeder Sauna Frauentage. Es ist halt nötig. Aber: Jeder weiß, dass das ein sozialer Normverstoß ist. Dass das so nicht soll und ein Big No No ist.
Deshalb gibt es auch Umkleidekabinen am FKK-Strand - das Entkleiden kann als sexuell empfunden werden. Das hat mit FKK nichts zu tun. Sobald wir bestimmte nackte Räume betreten, legen wir automatisch einen sexualisierten Blick ab. Ich bin immer wieder fasziniert davon, was menschliche Kultur kann. Was wir können, so völlig automatisch, ohne darüber nachzudenken.
Dadurch passt der Flirtversuch dort so absolut nicht hin. Durch die notwendigerweise sowas von unsexualisierte Nacktheit wird es seltsam. Seltsam, sich plötzlich in einer potenziell flirty Situation zu finden und damit in einer sozialen Kategorie, die mit Attraktivität zu tun hat. Die Frage nach Attraktivität hat eine Nähe zum Sexuellen, zum gewollt werden. In der Sauna, da soll der Körper aber nur sein können. Gerade für Besitzerinnen weiblicher Körper eine eher seltene Erfahrung.
Natürlich schaut man, unauffällig, andere Körper an. Männer wie Frauen. Und dabei denke ich nichts weiter als: Ja, auch so können Körper aussehen. Und das ist so eine angenehme, fast heilsame Erfahrung. Es sind Menschen, mit Körpern, die halt irgendwie aussehen. Und sie sehen so verschieden, so eigen aus, dass ein Vergleich mir gar nicht in den Sinn kommt.
Es hat etwas - sehr Nacktes. Sehr Menschliches. Sehr Wohltuendes. Alles Mediale, egal ob soziale oder klassische Medien, erscheint absurd. Alle Normen, Ideale, gefilterten fast mythischen Körper, an denen man sonst misst - all das fällt weg in einer deutschen Saunalandschaft in der niedersächsischen Provinz. Nicht, weil die Menschen hässlich sind. Sondern weil man versteht, worin menschliche Schönheit besteht. Und das geht absurderweise am besten in einer entsexualisierten Situation, die durch Nacktheit hergestellt wird.
Plötzlich misst man nicht mehr in den Magazin- und Bildschirmkategorien. Sondern man sieht etwas ganz anderes - nämlich so viel Unterschiedliches. So unendlich viel Individualität und Einzigartigkeit. Darin besteht Schönheit. Die Gleichsetzung von (sexueller) Attraktivität und Schönheit, die wir sonst fast ohne es zu merken vollziehen, die fällt weg in der Sauna. Und gibt den Blick frei auf etwas anderes.
Ich will gar nicht gegen die sexuelle Attraktivität sprechen. Es gibt sie und sie hat sicherlich ihre Berechtigung. Man kann viel Spaß damit haben. Aber es passiert etwas Ungutes, sobald diese mit menschlicher Schönheit verwechselt wird. Deshalb glaube ich, dass viel Leid gemindert werden könnte durch regelmäßige Saunabesuche. Nicht, weil dort alle genauso hässlich sind wie man selbst oder sogar hässlicher. Sondern, weil man entsexualisierte Schönheit entdecken kann.
Aber Frauen kennenlernen, das sollte man bei wenigstens gering bekleideten Aktivitäten verfolgen. Kultur ist zauberhaft und der menschliche Körper voll Schönheit. Aber die Sauna kein guter Ort, um Frauen kennenzulernen.

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