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Patrick Viol

Pures Glück, Reines Elend - Norbert Schwontkowskis Reflexionen des alltäglichen Lebens

Worpswede. Kunstwerke seien Rätsel, so Theodor W. Adorno in seiner Ästhetischen Theorie. Rätsel, deren Lösung letztlich das Selbstverständliche als problematisch erweisen. Dieserart Kunstwerke zeigt derzeit der Barkenhoff Worpswede. Allesamt gemalt und gezeichnet von Norbert Schwontkowski.
 

Die Ausstellung läuft noch bis zum 3. November. Sie sich anzuschauen, wird hier nicht nur denen empfohlen, die es bisher versäumt haben. Auch jene, die sie bereits sahen, sollten noch einmal den Barkenhoff aufsuchen. Schwontkowski zeigt mehr als der erste Blick fassen kann. Am 31.10. findet passend eine Sonderführung statt: Eine Einführung zu Schwontkowskis Leben und Werk.
Die Ausstellung visual poetry liefert einen ergreifenden Einblick in die Werke Schwontkowskis. Das ist zum einen das Verdienst von Brigitte und Udo Seinsoth. Es ist deren private und umfassende Sammlung, aus der das Gezeigte stammt. Dem Galeristenpaar ist Schwontkowski seit seiner ersten Arbeit treu geblieben. Zum anderen leistete Kuratorin Beate C. Arnold fabelhafte Arbeit. Ihre Auswahl der Leinwände, Drucke, Collagen, Unikatbücher und Postkarten ermöglicht, dass Schwontkowskis einmaliger Ambivalenzkonfliktsound: seine so humorvoll wie melancholische Sprache in gespenstischer Atmosphäre im Barkenhoff gänzlich zur Darstellung kommt.
Es ist dieser Sound, der Schwontkowski so sehenswert macht. Er verleiht Selbstverständlichkeiten einen verzerrten Ton, wodurch sie als Quellen des Schmerzes begreifbar werden. Als ein „verdammter Schmerz“, den keiner will, so Schwontkowski.
Viele Arbeiten zeigen Alltagssituationen. Doch Schwontkowskis spezielle Formsprache verleiht noch der flüchtigsten - karg gezeichnete Figur läuft durch diesig-nebelhafte, dunkle Umgebung - wie der Verzerrer eines Gitarrenverstärkers den zarten Saitenklängen, eine Wucht, die das Bild kippen lässt. Schwontkowski mag kein Gleichgewicht, wie er sagt. Er mag es dort, wo etwas kippt.
 
Den Abgrund spürbar machen
 
Was hier kippt, das ist die Beziehung zwischen Figur und Welt, abstrakter gesagt: zwischen Subjekt und Objekt: Die Selbstverständlichkeit, dass Subjekt und Objekt getrennt sind, wird zum Problem. Klar, nur getrennt kann zwischen ihnen eine Beziehung bestehen. Doch Schwontkowskis Ausgestaltung der selbstverständlichen Trennung bzw. Beziehung, wie z. B. in Ohne Titel, 1993 (oberes Bild), macht spürbar, dass zwischen dem Getrennten ein Abgrund klafft, wodurch das Objekt unerreichbar für das Subjekt ist, was aber von der alltäglichen Selbstverständlichkeit der Trennung verdeckt wird.
Darauf deutet z. B. der Unterschied zwischen Schwontkowskis Maltechnik des Hintergrundes und der Kritzel-oder Hinwischtechnik der vordergründigen, so einsamen wie nicht individuierten Figuren. Immer wieder dick aufgetragene Schichten von Farbe, Eisenoxide und Zahnpasta machen den Hintergrund zu einem in sich festgeschlossenen, dunklen oder braun-okkrigen gegenstandslosen Dunst mit endloser Tiefe. Die Figur hingegen ist nachträglich und nur konturhaft reingekritzelt, wirkt dadurch abgetrennt und schleppt sich, wie in Ohne Titel, 1993, Steine hinter sich herziehend durch die gegenstandslose Umgebung. Mit gesenktem Kopf. Vorausschauen braucht die Figur nicht - überall ist es gleich.
 
Gespenstische Gegenständlichkeit
 
In Schwontkowskis Figur-auf-Hintergrundbildern drückt sich aus, wie sich die Trennung zwischen Subjekt und Objekt in unserer Gesellschaft vollzieht: Sie ermöglicht keine Beziehung, in der sich Subjekt und Objekt gegenseitig bereichern. Zwischen ihnen liegt ein Abgrund, durch den hindurch ihre Beziehung sich in ein Drama verwandelt. Sind Menschen gegenständliche Wesen, so bedürfen sie einer gegenständlichen Welt zur Betätigung ihrer Individualität und Freiheit. Schwontkowskis gegenstandslose Hintergründe in Konstellation mit den nicht individuierten, melancholischen Figuren deuten aber an, dass ihnen die Welt als gegenständliches Betätigungsfeld ihrer Individuation verloren ging. Dieser Verlust - die traurig hinterher gezogenen Steine deuten dessen Bedeutung an - wiegt nicht nur schwer, sondern schränkt als Ballast die Bewegung in der Welt ein.
Schwontkowski zeigt, dass die bisher vollzogene Trennung von Subjekt und Objekt dazu führte, dass die Welt nicht mehr greifbar, die Beziehung zu ihr nur noch als belastender Schmerz wirksam ist, den man stets mit sich rumschleppt. Sie erscheint in ihrer grenzenlosen Fülle gegenstandslos, aber doch wirksam - wie ein böses Gespenst. Die Menschen sind gefangen in gespenstischer Gegenständlichkeit.
Doch Schwontkowski bezeugt nicht nur die Trennung von Subjekt und Objekt als schmerzlich unversöhnt, sondern hält deren mögliche Versöhnung radikal aufrecht. Sein Werk ist die ästhetische Gestaltung eines grundlegenden Ambilvalenzkonflikts: Der Welt kommt hier nicht nur Groll ob ihres Entzugs, sondern ebenso viel Liebe entgegen. Richtigerweise. Wer sie bloß hasste, will sie brennen sehen. Wer sie nur liebt, ignoriert das Leid, das sie bereitet.
 
Rettender Humor
 
Ist Humor psychoanalytisch betrachtet, eine Abwehr der Kränkung durch die Welt, so lässt sich Schwontkowskis Humor als Widerwille verstehen, die Welt als verloren zu akzeptieren. So zeigt der 11. Versuch, die Welt zu begreifen, die sonst traurige Figur als überschwänglich in ihrer Liebe zur Welt. Sie umarmt und küsst sie; hält sie fest. Wie sie reines Elend und Abgrund ist, wie sie nochmals im 8. Versuch erscheint, so könnte sie auch pures Glück bedeuten. Hierzu müsste sich aber die Beziehung von Subjekt und Objekt ändern. Inwiefern, das mag in der Arbeit Pures Glück, Reines Elend aufscheinen.
In ihr bildet die Spitze des christlichen Ichthys-Symbols, der Fisch, der für den Frieden durch Wahrheit bringenden Jesus Christus steht, den Mund eines Kopfes. Der Kopf isst den Fisch nicht, sonst äße er seinen eigenen Mund und verletzte sich selbst. Es geht hier aber nicht darum, keinen Fisch zu essen. Es geht um eine Form der Beziehung von Subjekt und Objekt, in der sie einander nicht verletzen, sondern friedlich versöhnt sind, ohne dabei ineinander aufzugehen. Um es mit Adorno zu sagen: Das Bild beschreibt den „Stand eines Unterschiedenen ohne Herrschaft, in dem das Unterschiedene teilhat aneinander“, den er als „Frieden“ fasst. Der erst ermöglichte so was wie ungetrübtes pures Glück.
Doch das Bild bleibt ambivalent und warnt zugleich: Geht es den Menschen weiterhin nur um Selbsterhaltung - ums Fressen und Gefressen werden - ohne Anspruch auf Glück, wird die Möglichkeit wahren Friedens verspielt und die Welt bleibt, wie sie ist: vornehmlich reines Elend.


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