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„Polizeiberuf braucht mehr Akzeptanz“: Polizeipräsident berichtet von Herausforderungen in

Osterholz-Scharmbeck (alvo). Bei der Norddeutschen Tafelrunde war der Bremer Polizeipräsident Dirk Fasse als Redner zu Gast.

Bremens Polizeipräsident Dirk Fasse auf Gut Sandbeck. Foto: alvo

Bremens Polizeipräsident Dirk Fasse auf Gut Sandbeck. Foto: alvo

Gedeckte Abendanzüge statt glänzender Rüstungen und auch Excalibur konnte getrost stecken bleiben: Für das Mehrgängemenü, zu dem die Norddeutsche Tafelrunde auf das Gut Sandbeck eingeladen hatte, reichte normales Besteck vollkommen aus. Aber Rote Bete Quiche und Kürbis-Apfelcreme-Suppe sollten, wie sich bald herausstellte, lediglich die leichte kulinarische Ouvertüre zu ziemlich schwerer Kost sein: Dirk Fasse, Bremer Polizeipräsident, referierte danach zum Thema „Polizei - Rückhalt in herausfordernden Zeiten“.

 

Weniger Einbrüche, mehr Betrug

 

Zu Beginn seines Vortrags bezog Fasse das gesamte Auditorium mit ein und ließ in einer Art akustischer Abstimmung durch jeweils lautes oder leises Summen einschätzen, wie sich einzelne Verbrechensarten im Vergleich zwischen 1997 und 2021 entwickelt haben, wobei es einige Überraschungen gab: Im positiven Sinne auffällig war, dass Mord und Totschlag von 50 auf 39, Raub von 1626 auf 710 und Wohnungseinbrüche von 2604 auf 977 - coronabedingt waren allerdings auch viel mehr Menschen zu Hause - Fälle zurückgegangen sind. Mit aktuell 128 gegenüber 125 blieb die Zahl der (aktenkundigen) Vergewaltigungen fast gleich.

Förmlich explodiert ist jedoch die Anzahl der Betrugsfälle von 7288 auf 12142 (bei coronabedingter Zunahme des Internethandels) und mit 3985 Körperverletzungen hat sich die Zahl von 1960 Taten fast verdoppelt. Insgesamt standen im letzten Jahr 63.146 Straftaten 80.133 Delikten aus 1997 gegenüber, wobei für eine Realbeurteilung der Verbrechensentwicklung natürlich alle Fälle der Jahre 1997 bis 2021 in die Bewertung einfließen müssten.

 

„Keine Luft nach oben“

 

Zahlen, Statistiken, Rechenbeispiele und Durchschnittswerte zogen sich dann auch wie ein roter Faden durch die Rede, in welcher mehr als deutlich wurde, wie der große, im Prinzip aber unterbesetzte, dabei oft im Verwaltungskorsett und durch übertriebenen kontraproduktiven Datenschutz gehemmte Polizeiapparat gegenüber einer oszillierenden, sich ständig verändernden und aufrüstenden Verbrecher:innen-Liga aufgestellt ist. Fasse: „3000 Beschäftigte schieben aktuell 300.000 Überstunden vor sich her und bei der Kriminalpolizei liegen 15.000 Akten mit offenen Vorgängen.“ 168.000 Notrufe gingen im Jahr ein, wovon ca. 30 Prozent jedoch kein Fall für die Polizei seien. Bei 104.000 Einsätzen im Jahr werde der anspruchsvolle Standard gehalten, in schweren Fällen innerhalb von 8 Minuten am Tatort zu sein, in anderen Fällen könne zum Teil nur bedarfsorientiert gearbeitet werden.

Die Freitag- und Samstagnächte beinhalten erfahrungsgemäß die höchste Einsatzintensivität, da sind dann 35 statt der üblichen 20 Streifenwagen eingesetzt. „Das funktioniert zwar, aber es gibt definitiv keine Luft mehr nach oben“, sagt Fasse.

 

Kinder- und Jugendarbeit ist entscheidend

 

Ein permanentes und grundlegendes Problem stelle dabei dar, dass Bremen zwar das kleinste Bundesland ist, aber wie ein großes behandelt werde, dazu komme noch der politische Wille, im Stadtstaat keine Landespolizei mit erweiterten Möglichkeiten einzurichten. Ob es sich zum Beispiel um die Aufnahme von Flüchtlingen, unbegleiteten Jugendlichen, über 400 zu kontrollierende IMEI-Nummern, 300 bis 400 Islamistinnen (von denen 40 als Gefährder:innen einer permanenten Überwachung unterliegen) oder auch Kinderpornografie handelt: Bremen werde immer wieder unproportional belastet, ohne über mehr Personal verfügen zu können. Fasse ergänzte: „Im Land Bremen durften zuletzt 100.000 Menschen nicht wählen, weil sie keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, wahrscheinlich haben wir die bunteste Gesellschaft in der Republik, aber auch die meisten Hartz IV -und Sozialhilfeempfänger, in unseren Schulen lernen inzwischen mehr Kinder mit Zuwanderungsgeschichte als ohne, in manchen Stadtteilen bis zu 95 Prozent.“

Vor dem Hintergrund einer sekundenschnellen globalen Informationsverbreitung inklusive vieler „mit manipulativer Absicht ins Netz gestellte Videoclips über Polizeieinsätze“, immer besser vernetzter und gewaltbereiter Krimineller und einer allgemeinen Unsicherheit werde natürlich der Ruf nach der Polizei immer lauter. Man stelle sich auch engagiert seinen Aufgaben und monitore dabei Stadt, Land und Welt, sagt Fasse. Es komme jetzt besonders darauf an, dass in der Gesellschaft rechtzeitig und prophylaktisch nachhaltige Kinder- und Jugenderziehungsarbeit geleistet und die Bildung verbessert werde. Es sei auch verständlich, dass die Polizei in die Vorgänge einbezogen werde, so Fasse, „aber nicht alles ist machbar“.

 

Bewerbungen gehen um zwei Drittel zurück

 

„Der Polizeiberuf braucht mehr Akzeptanz und muss wieder attraktiver werden. 300 Bewerbungen statt der sonst üblichen 900 sprechen ihre eigene Sprache und senden ein deutliches Signal“, sagte der Polizeipräsident abschließend. Nach Ende der Rede konstatierte ein Bremer Kaufmann, dem bereits eine Uhr „abgenommen“ wurde, unter Hinweis auf einige Brennpunkte wie etwa die Bahnhofsgegend illusionslos, dass er sich in Bremen keineswegs sicher fühle. Die Erklärung des Polizeipräsidenten, dass trotz Einrichtung einer Ermittlungsgruppe bisher nur wenige der im Innenstadtbereich durch unbegleitete Jugendliche begangenen Straftaten aufgeklärt werden konnten, war offensichtlich für ihn nicht zufriedenstellend.

Das Feedback verlief ohnehin wohl nicht so, wie Fasse es sich vorgestellt hatte, denn als er von Tisch zu Tisch wanderte, sah er seinen Redeinhalt kritischen Einwänden ausgesetzt, die wohl der Erwartungshaltung des Auditoriums geschuldet waren, das wegen des Abendthemas eher Rückhalt, Zuspruch und Hoffnungssignale erwartet hatte als einen im dicht gewobenen Netz unzähliger und interessanter Informationen cachierten Hilferuf der Polizei.


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