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Pipelines in die Politik - LobbyControl stellt Studie zu Gaslobby vor

Berlin (jm). Die Gaslobby hat der Gesellschaft großen Schaden zugefügt - so lautet die zentrale These einer neuen Studie von LobbyControl.

„Die Lobby-Pipelines zudrehen“: Der Verein LobbyControl fordert mehr Transparenz in der Energiepolitik, eine breite Beteiligung verschiedener Interessengruppen und stärkere öffentliche Kontrolle über kritische Infrastruktur.

„Die Lobby-Pipelines zudrehen“: Der Verein LobbyControl fordert mehr Transparenz in der Energiepolitik, eine breite Beteiligung verschiedener Interessengruppen und stärkere öffentliche Kontrolle über kritische Infrastruktur.

Bild: Gordon Welters

Die umfangreiche Recherche soll belegen, wie groß der Einfluss von Gaslobby-Netzwerken auf die deutsche Energiepolitik war und bis heute ist. „Enge Verflechtungen zwischen Politik und fossiler Industrie haben zu der jetzigen Energiekrise mit ihren dramatischen gesellschaftlichen Folgen beigetragen“, heißt es in der Studie. Finanzstarke Akteure hätten strategisch die Energiewende ausgebremst und seien - wie im Fall von NordStream 2 - mit verantwortlich für milliardenschwere Fehlinvestitionen.

 

Viel Geld für Überzeugungsarbeit

 

Mindestens 40 Millionen Euro gaben Gaskonzerne und entsprechende Verbände laut Lobbyregister im Jahr 2021 für Lobbyarbeit aus. Dazu kommen noch Ausgaben aus der ernergieintensiven Industrie, etwa von Chemie-Unternehmen, die ebenfalls ein Interesse am Erhalt fossiler Brennstoffe als Energiequelle haben. Recht niedlich wirkt im Vergleich dazu der Etat für Interessenvertretung der drei größten Umweltverbände Greenpeace, Deutsche Umwelthilfe und BUND, die zum Thema Gas arbeiten: 1,55 Millionen Euro investierten diese im selben Jahr in ihre Lobbyarbeit.

 

Institutionalisierte Zugänge

 

Ein ähnliches Ungleichgewicht sehen die Autorinnen Dr. Christina Deckwirth und Nina Katzemich beim Zugang zu Politikerinnen durch verschiedene Interessenvertretungen. Hier sei die Gaslobby eindeutig privilegiert, meint LobbyControl und verweist auf Institutionen wie die Deutsche Energieagentur (DENA).

Das bundeseigene Unternehmen organisierte für das Wirtschaftsministerium Veranstaltungen, bei denen die Gasindustrie sich teils exklusiv mit Beamtinnen des Ministeriums austauschen konnte. Gemeinsam mit dem Lobbyverband „Zukunft Gas“ gründete die DENA die LNG Taskforce und sorgte dafür, dass Lastwagen, die mit LNG fahren, steuerlich begünstigt werden - gegen den Rat des Umweltbundesamts.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die große DENA-Leitstudie zur Klimaneutralität, in der die Agentur Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung erarbeitete. Diese wurde von zahlreichen Unternehmen aus der fossilen Energiewirtschaft finanziert, die im Gegenzug ein Mitspracherecht erhielten.

 

Mehr Treffen als je zuvor

 

Die aktuelle Regierung ermögliche der Gaslobby die Verteidigung ihrer fossilen Geschäftsinteressen weiterhin - im Zuge der aktuellen Krise sogar verstärkt. Treffen zwischen Politikerinnen und Lobbyistinnen sind schwer nachzuvollziehen, weil es in Deutschland keine Pflicht gibt, die Kontakte zu veröffentlichen. Anfragen auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes würden oft sehr spät oder gar nicht beantwortet - so erhielt LobbyControl bis zur Fertigstellung der Studie keine Antwort der Bundesregierung. Seine Anfrage hatte der Verein bereits im Februar 2022 gestellt.

Deshalb griffen die Autorinnen auf Daten aus einer parlamentarischen Anfrage des Linken-Abgeordneten Jan Korte zurück. Die Antwort der Ampelregierung zeigt, dass von Dezember 2021 bis September 2022 mehr als 260 Treffen zwischen Spitzenpolitiker:innen - darunter der Bundeskanzler, seine MInister:innen und andere enge Vertraute - und Vertreter:innen von Gaskonzernen stattfanden. Das ist im Schnitt ein Treffen pro Tag.

Diese hohe Frequenz an Kontakten ist sicherlich mitunter der aktuellen Energiekrise geschuldet. LobbyControl kritisiert dabei inbesondere die fehlende Transparenz. „Auch eine Krise braucht ein Mindestmaß an Demokratie“, sagt Nina Katzemich.

 

Geschäftsinteressen statt Völkerverständigung

 

Für die schweren Folgen der Energiekrise macht LobbyControl ein deutsch-russisches Netzwerk aus Lobbyistinnen, Politikerinnen und Unternehmen verantwortlich. Diese hätten Deutschland bewusst immer weiter in die Abhängigkeit von russischem Gas geführt. Die Wege der Einflussnahme seien - wie im Falle von Seitenwechslerinnen aus der Politik, die Beraterposten annehmen - mal mehr und mal weniger offensichtlich. So hätten sich die Beteiligten etwa auch im Rahmen von Institutionen, die unter dem Vorwand der Völkerverständigung gegründet wurden, ausgetauscht. Ein Beispiel sei das Deutsch-Russische Forum.

Die prominenteste Figur dieses Netzwerks ist natürlich SPD-Altkanzler Gerhard Schröder. Die LobbyControl-Studie listet im Anhang insgesamt 30 Personen, die über die Jahre in verschiedenen Rollen zwischen Politik und Gasindustrie vermittelt haben.

 

„Den Preis zahlen wir jetzt alle“

 

Mit „Horrorszenarien, was in Deutschland passierend wird, wenn wir keine LNG-Terminals bauen“ habe die Gasindustrie bewirkt, dass zahlreiche Politiker:innen ihre Erzählung von Gas als klimafreundlicher Brückentechnologie übernommen hätten. Das habe in jüngster Zeit unter anderem dazu geführt, dass eine „völlig überdimensionierte“ LNG-Infrastruktur in Deutschland geplant werde.

Professorin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stimmt LobbyControl zu. „Die Studie deckt sich mit meinen Rechercheergebnissen“, sagt die Ökonomin, die sich mit Klima-, Energie- und Verkehrspolitik befasst. „Erdgas ist alles andere als klimafreundlich“, stellt die Wissenschaftlerin klar. „Wir hätten heute schon 80 Prozent erneuerbare Energien haben können“, zieht Kemfert ein ernüchterndes Fazit. „Den Preis für die verschleppte Energiewende zahlen wir jetzt alle.“


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