

Sozialverbände und Gewerkschaften haben zum Internationalen Tag der Pflege am Montag weitreichende Reformen in der Pflege gefordert. Bei einer zentralen Aktion in Berlin überreichten Vertreterinnen und Vertreter von Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Paritätischem Gesamtverband, Deutschem Gewerkschaftsbund und Volkssolidarität eine Petition mit mehr als 143.000 Unterschriften an das Bundesgesundheitsministerium. Die Kampagne „Mach dich stark für Pflege“ zielt auf eine tiefgreifende Umgestaltung der Pflegeversicherung ab – hin zu einer solidarisch finanzierten Vollversicherung, die Pflegebedürftige umfassend vor finanziellen Risiken schützt.
„Pflege braucht kein Mensch“
Auch die Diakonie in Niedersachsen hatte im Vorfeld Druck gemacht. Unter dem Motto „Pflege braucht kein Mensch* – nur die 600.000 Pflegebedürftigen in Niedersachsen“ startete sie eine Kampagne mit klaren Forderungen an die Bundespolitik. Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke mahnte, es gehe nicht mehr um Erkenntnisgewinn, sondern um politische Umsetzung. Ein Entwurf für eine Pflegereform müsse noch 2025 vorgelegt werden.
Pflegeversicherung neu denken
Die Finanzierung solle künftig alle Einkommensarten einbeziehen – auch Kapitalerträge und Mieteinnahmen. Zugleich forderte Lenke die Zusammenführung gesetzlicher und privater Pflegeversicherungen. Grundlage ist unter anderem ein Gutachten von Professor Heinz Rothgang, das eine Pflegevollversicherung mit begrenztem Eigenanteil vorsieht.
Pflege kostet mehr als die Rente hergibt
Aktuelle Zahlen belegen die Dringlichkeit: Der Eigenanteil für einen Platz in einem niedersächsischen Pflegeheim liegt bei durchschnittlich 2.870 Euro im Monat. Die durchschnittliche Rente – bei Männern 1.800 Euro, bei Frauen 1.333 Euro – reicht dafür nicht annähernd aus. Für viele bleibt nur der Weg in die Sozialhilfe. Andrea Hirsing von der Diakonie Niedersachsen bezeichnete die Pflege als „Armutsfalle“, die nicht nur Pflegebedürftige, sondern auch deren Angehörige zunehmend überfordere.
Angehörige am Limit
Pflegedienstleiterin Kerstin Hoffmann aus Hildesheim forderte eine bessere Unterstützung für Angehörige, etwa durch den Ausbau von Tagespflegeeinrichtungen. 80 Prozent der Pflegebedürftigen würden zu Hause versorgt – oft durch Menschen, die an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gingen. „Pflege ist ein 24/7-Job, ohne Feierabend, mit wenig Pausen“, so Hoffmann.
Warken will Kompetenzen erweitern
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) signalisierte Gesprächsbereitschaft. Sie wolle die Kompetenzen von Pflegekräften erweitern und die Aufgaben stärker an deren Qualifikationen anpassen. Pflege könne „mehr, als sie bislang darf“, erklärte Warken. Unterstützung erhielt sie dabei von Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbands, die die mangelnde Nutzung von Spezialkräften wie der Advanced Practice Nurse kritisierte.
Patientenschützer fordern Rechtsansprüche
Kritik kam auch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Vorstand Eugen Brysch zeigte sich enttäuscht über das Fehlen konkreter Pflegevorhaben im Koalitionsvertrag. Statt neuer Kommissionen brauche es endlich politische Entscheidungen. Brysch fordert ein Pflegezeitgeld nach dem Vorbild des Elterngelds und einen Rechtsanspruch auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege.
Einrichtungen schlagen Alarm
Auch die Diakonie verweist auf akute Versorgungsprobleme: Zwei Drittel der Träger mussten ihr Angebot zuletzt einschränken. Nahezu jede zweite stationäre Einrichtung konnte Betten nicht belegen, viele ambulante Dienste nehmen keine neuen Patienten mehr auf. Der Fachkräftemangel hat sich verschärft – Stellen blieben häufig über ein Jahr unbesetzt.
Politiker sollen mitlaufen
Die Kampagne „Pflege braucht kein Mensch*“ setzt auf Provokation mit ernstem Hintergrund. Ziel ist es, Politikerinnen und Politiker bis zur Sommerpause in die Einrichtungen einzuladen – zum Mitlaufen, Mitfühlen und Mitverändern. Denn, so bringt es Sven Schumacher vom niedersächsischen Evangelischen Verband für Altenhilfe und Pflege auf den Punkt: „Eine Pflegereform ist eine Mammutaufgabe. Aber wenn wir jetzt nicht handeln, wird Pflege zum Luxusgut.“