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Persönliches Budget: Möglichkeit zur Selbstbestimmung wird im Landkreis wenig genutzt

Landkreis Osterholz (jm). Seit 2008 haben Menschen mit Behinderung das Recht, für Assistenzleistungen ein persönliches Budget zu bekommen - anstelle der traditionellen Sach- oder Dienstleistungen. Viele Betroffene und Angehörige wissen nichts von dieser Möglichkeit.

Die Mitarbeiter:innen der Teilhabestelle des Landkreises seien sehr überrascht gewesen, als sie nach einem persönlichen Budget für ihren schwerbehinderten Enkel gefragt habe, erzählt Frau R. (vollständiger Name der Redaktion bekannt) aus Osterholz-Scharmbeck. Nach rund sechs Monaten und mehreren Gesprächen, für die sie sich mitunter auch Rat von einem befreundeten Juristen einholte, wurde ihr Antrag im vergangenen Herbst bewilligt. „Für Erwachsene ist das hier schon schwierig zu bekommen“, sagt sie. Ihr 14-jähriger Enkel sei wohl der erste Minderjährige Im Landkreis, der das persönliche Budget für Teilhabeleistungen erhält, mutmaßt die Osterholzerin. Nach Angaben der Kreisverwaltung wurden im vergangenen Jahr 18 Anträge auf ein persönliches Budget bewilligt, darunter eine minderjährige Person.
 
Jede Leistung ist budgetfähig
 
Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf Eingliederungshilfe und Leistungen zur Teilhabe an verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. „Es gibt qualifizierte Assistenz und einfache Assistenz“, erklärt Juristin und Sozialpädagogin Karen von Grote, die in der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) in Lilienthal tätig ist. Bei der qualifizierten Assistenz handelt es sich um Leistungen, die nur von geschultem Personal erbracht werden können. Die einfache Assistenz hingegen benötigt keine besondere Qualifikation - darunter fallen etwa Einkaufshilfen, Fahrdienste oder Begleitung bei Freizeitaktivitäten.
Jede dieser Leistungen ist nach §29 SGB IX prinzipiell auch budgetfähig, das heißt, die Empfänger:innen bekommen Geld, das sie selbst verwalten und können sich aussuchen, wen sie für bestimmte Leistungen beauftragen möchten. „Das ist größtmögliche Selbstbestimmung“, sagt Karen von Grote. Auf dem herkömmlichen Weg haben die Empfänger:innen oft wenig Gestaltungsfreiräume: In der Regel bewilligt der Leistungsträger (z.B. Krankenkassen oder Träger der öffentlichen Jugendhilfe) einen bestimmten Umfang an Leistungen - etwa eine gewisse Anzahl an Stunden - und die Abrechnung erfolgt direkt mit dem jeweiligen Dienstleister.
 
In anderen Landkreisen gang und gäbe
 
Auch Frau R. ist zunächst diesen Weg gegangen. Für ihren Enkel wünschte sie sich unter anderem eine Begleitung beim Sport. Assistenzleistungen im Freizeitbereich werden von der Kreisverwaltung an die Lebenshilfe weitergegeben. „Wir haben dann auch eine Person gefunden, die das übernehmen sollte.“ Das Problem: Die Assistenzkraft hatte nur noch vier Stunden pro Woche übrig, die übrige Zeit sollte von anderen Mitarbeiter:innen übernommen werden. „Drei oder vier verschiedene Assistenzen kann man schon einem Menschen ohne Behinderung nicht zumuten, einem mehrfach schwerbehinderten Kind schon gar nicht“, sagt die Osterholzerin. „Wir haben das dann vorerst nicht in Anspruch genommen.“
Die ehemalige Pädagogin erkundigte sich dann nach Alternativen. Der entscheidende Hinweis kam aus Oldenburg: „Die dortige Leiterin der Teilhabestelle hat mich ganz verdutzt gefragt, ob ich denn kein persönliches Budget für meinen Enkel bekomme.“ Nachdem sie erfahren habe, dass die alternative Leistungsform in anderen Landkreisen gang und gäbe ist, startete R. einen neuen Anlauf. Auf den schriftlichen Antrag, den sie zusammen mit der EUTB erstellte, folgte ein „schwieriges Gespräch“ mit der Fachstelle Pädagogik des Landkreises, letztlich wurde das persönliche Budget dann aber bewilligt. R. wünscht sich, dass mehr Betroffene, vor allem auch Eltern behinderter Kinder, von dieser Möglichkeit erfahren. Die Teilhabestelle des Landkreises weist nach eigenen Angaben im Rahmen der Beratung in der Regel auf die alternative Leistungsform hin.
 
Nicht für alle geeignet
 
„Leistungsträger wie der Landkreis tun sich schwer damit“, sagt hingegen Karen von Grote. „Es gibt Landkreise, da ist das schon selbstverständlich, wir sind da etwas hinterher“, sagt die Juristin. Über die Gründe könne sie nur mutmaßen - die Angst, zu viel Geld auszugeben sei jedenfalls unbegründet, denn das persönliche Budget sei nur eine besondere Leistungsform und soll die Höhe der bisherigen Sachleistungen nicht überschreiten. Die Lebenshilfe und andere Dienste müssten schließlich auch bezahlt werden.
„Ich kann nur dazu raten, das in Anspruch zu nehmen, wenn man es möchte. Mehr Selbstbestimmung geht nicht“, sagt von Grote, gibt aber zu bedenken, dass die Leistungsform nicht für alle Menschen geeignet sei. „Man muss sich im Klaren darüber sein, dass man dann zum Arbeitgeber wird. Man muss das Budget verwalten, Sozialleistungen zahlen und Krankentage überbrücken.“ Für Menschen mit körperlicher Behinderung oder Eltern von behinderten Kindern sei es eine gute Möglichkeit. „Es gibt auch Dienstleister, die die Budgetverwaltung übernehmen. Die Kosten hierfür können dann in das Budget mit eingerechnet werden.“
Die EUTB berät Menschen mit Behinderungen und Angehörige kostenlos in der Hauptstraße 82 in Lilienthal, telefonisch unter 04298-9310185 oder per Email: kg@eutb-osterholz.de. Über die Beratungsstelle kann auch Kontakt zu Frau R. hergestellt werden. „Ich stelle mich gerne zur Verfügung, um Gedanken und Gefühle zum Thema auszutauschen.“


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