Ordnung in die Wirren des Krieges
Mucksmäuschenstill war es in der IGS-Mehrzweckhalle Osterholz-Scharmbeck, wo sich ca. 180 Schüler:innen der Jahrgänge 11 bis 13 zu einer ganz besonderen Politik- und Geschichtsstunde am 2. März eingefunden hatten. Gehalten wurde sie von der Politikwissenschaftlerin Yana Lysenko, selbst Ukrainerin und 2015 aus ihrer Heimat geflüchtet. Sie ist im Bereich der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen tätig und hielt auf Initiative des Politiklehrers Kaiser einen Impulsvortrag zu den Hintergründen und zur aktuellen Situation im Ukraine-Krieg. „Es ist Frau Lysenko hoch anzurechnen, dass sie sich trotz der hohen eigenen Belastung und persönlichen Betroffenheit dazu bereit erklärt hat“, dankte ihr Kaiser in der Begrüßung, „uns in dieser schlimmen Zeit der Ratlosigkeit und Sorge mit ihrem Insider-Wissen beizustehen und unsere Fragen zu beantworten.“ Bei freiwilliger Teilnahme und voll besetzten Stuhlreihen wurde auch tatsächlich gleich deutlich, welchen Informations- und Gesprächsbedarf die Schülerschaft in dieser turbulenten Lebensphase mit ihren tragischen und nahezu unfassbaren Eindrücken hat.
Unübersichtlicher Konflikt
Zunächst schilderte Yana Lysenko die Entwicklung in der Ukraine seit 2013, dem Jahr, in welchem es zu den Maidan-Unruhen kam, weil der damalige Präsident Janukowitsch sich am 21. November unter russischem Druck geweigert hatte, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu ratifizieren. Seitdem wurde die Ukraine immer tiefer in einen bewaffneten und wegen mehrerer unterschiedlicher gewaltbereiter Interessensparteien sowie einer immensen Propagandaflut zunehmend sogar für besonders erfahrene OSZE-Sonderbeobachter:innen völlig unübersichtlichen Konflikt hineingezogen. Der hat inzwischen über 13.000 Tote gefordert und gipfelt nun darin, dass Wladimir Putin am 24. Februar trotz vorausgegangener intensivster europäischer und amerikanischer Bemühungen um Deeskalierung einen unerwartet grausamen und für die Weltöffentlichkeit völlig unverständlichen Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hat.
„Unter Führung ihres dynamischen Präsidenten Selenskyi stellt sich die Bevölkerung energisch und mutig gegen die Invasoren“, so Lysenko. Sie habe dadurch auch ein schnelles Vorrücken bisher verhindern können, sei aber dringend auf Hilfe von außen angewiesen.
Waffen für den Frieden
Die angespannte Stimmung löste sich dann bei Eröffnung der Fragerunde etwas, doch die traurigen Augen blieben - bei der Vortragenden und inzwischen auch beim Auditorium, das sichtlich berührt von der Schilderung der Ereignisse war. Denn es ist eben wohl doch etwas ganz anderes, abseits der allgegenwärtigen Info-Schleife im TV direkt von einer involvierten Ukrainerin einen eigenen ungeschönten Lagebericht zu erhalten.
Wer hier eine Verurteilung des russischen Volkes insgesamt erwartet hatte, wurde jedoch eines Besseren belehrt, denn trotz des hohen Leidensdrucks blieb Frau Lysenko in ihren Äußerungen weitestmöglich objektiv und fair, selbst für den grausamen Despoten und Kriegstreiber Putin fand sie klare, unmissverständliche Worte, ohne in eine Hasstirade abzugleiten. „Womit kann denn der Ukraine am besten geholfen werden?“, lautete dann eine der darauffolgenden Fragen. Bedächtig abwägend die Antwort: „Angesichts der Lieferung von 5.000 Helmen durch die Bundesrepublik fühlten wir uns zunächst sehr im Stich gelassen, doch jetzt sind alle froh, doch auch Waffen geliefert zu bekommen. Es ist leider ein Märchen, Frieden ohne Waffen schaffen zu können und ein Soldat kann ohne Waffen eben nicht kämpfen, daher ist jede Lieferung wichtig für die Verteidigung meines Heimatlandes.“
Daneben würden Spenden, Hilfslieferungen und auch Medikamente dringend benötigt, um die Menschen am Leben zu halten. Nicht zu unterschätzen seien auch die zahlreichen Solidaritätskundgebungen in Europa und motivierenden Nachrichten auf den sozialen Plattformen, nicht zuletzt auch die uneingeschränkte Bereitschaft, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. Diese starken Signale blieben auch in Russland nicht unbemerkt und es zeige sich dort ja auch bereits zunehmendes Unverständnis und Ablehnung bezüglich der putinistischen Aggressionspolitik.
„Wie könnte es in Russland und der Ukraine nach dem Krieg aussehen?“, so eine weitere Frage. Da gebe es verschiedene Möglichkeiten: Sie reichen von einem ukrainischen „Aleppo“ über Kapitulation mit einem Leben in einem riesigen Territorium ohne freie Handlungsmöglichkeiten bis hin zu einem Militärputsch oder einer Revolution gegen den emotionslosen, fanatischen Tyrannen Putin.“ Niemand könne in die Zukunft schauen, aber sie hoffe, dass sich die ethnischen und moralischen Gemeinsamkeiten der Ukrainer und Russen weiter ausbilden und sich so konzentriert möglichst bald gegen Putin mit seiner irren, unmenschlichen Machtpolitik durchsetzen können.