"Meine Frau prügelte auf mich ein"
(lst). Die Europäische Union hat 2023 zum Jahr der psychischen Gesundheit erklärt und auch der Anzeiger rückt das Thema in den Fokus. Wir haben mit einem 52-Jährigen* darüber gesprochen, wie er es mit professioneller Hilfe geschafft hat, sich von einer psychischen Erkrankung zu erholen und sich gleichzeitig aus einer toxischen Beziehung zu befreien.
Du bist in therapeutischer Behandlung, was ist deine Diagnose?
Ich habe eine chronische Depression (Dysthymie), die in den Hochphasen meiner Krankheit „mittelschwer“ war.
Wie hat sich dein psychisches Krankheitsbild vor der Behandlung geäußert?
Ich steckte mehr als 20 Jahre in einer sehr toxischen Ehe mit einer Partnerin fest, gegen die ich mich nicht wehren konnte. Es kam zu psychischer und in den letzten fünf Jahren auch zu körperlicher Gewalt gegen mich. Ich habe mich während dieser letzten fünf Jahre oft völlig zurückgezogen in „mein Loch“, hatte tagelang keinen Kontakt zu meinem Umfeld, obwohl ich wusste, dass einige sich um mich sorgen. Ich war nicht ansprechbar und je mehr Sorgen jemand sich um mich machte desto tiefer fiel ich. Nach ein paar Tagen schaffte meine Schwester es dann immer irgendwie, mich da wieder raus zu holen. Sie war als Krankenschwester und in der Pflege tätig und offenbar für mich die richtige Person. Meine Freundin oder Eltern aber kamen nicht an mich ran.
Du bist ein Opfer häuslicher Gewalt?
Man hört und liest ja meistens, dass häusliche Gewalt eher von den Männern ausgeht. Bei uns war es umgekehrt. Regelmäßig ging meine Frau auf mich los, jagde mich zum Beispiel um den Esstisch oder prügelte auf mich ein - einmal bis zum Rippenbruch. Ich will jetzt hier nicht das „als Mann ist das schwer zu ertragen Fass“ aufmachen, weil körperliche Gewalt immer furchtbar ist. Egal, ob sie von Frauen oder Männern ausgeht. Aber das sind die schlimmsten Erfahrungen meines Lebens. Ich habe fünf Jahre gebraucht, um mich aus der Situation zu befreien.
Wie hast du dich befreit?
Ich merkte, dass ich die Befreiung, also den Auszug, nicht alleine schaffte. Es gab ja schließlich noch drei Kinder im Haus, die natürlich auch furchtbare Einblicke in die Auseinandersetzungen hatten und die ich nicht im Stich lassen wollte. Ich war verzweifelt und habe mir dann Hilfe gesucht. Erst bei einer Gewaltstelle in Bremen. Die haben mir akut geholfen und auch psychologische Praxen für den weiteren Weg genannt.
War es schwer einen Platz zu finden?
Nein, mir wurden gezielt passende Praxen genannt, bei denen - zumindest damals - keine langen Wartezeiten bestanden.
Mit Hilfe der psychologischen Behandlung hast du es dann geschafft, dich zu trennen und auszuziehen. Wie war das für die Kinder?
Die Kinder habe ich nach meinem Auszug und der dann folgenden Scheidung zweieinhalb Jahre nicht mehr gesehen. Genau damit hatte meine Ex-Frau mir vorher auch immer gedroht. Meine Psychologin bezeichnet die Situation als Abhängigkeitsbeziehung zur Mutter mit kompletter Entfremdung vom Vater. Ich habe immer wieder vergeblich den Kontakt gesucht. Seit kurzem habe ich immerhin wieder Kontakt zu einem meiner Kinder, was mich sehr glücklich macht.
Wie bist Du mit Deiner Situation in deinem persönlichen Umfeld umgegangen?
Ich stand zu meiner Krankheit, wollte allen reinen Wein einschenken und kein Versteckspiel mehr, nachdem ich die fünf Krisenjahre versucht hatte, zu verheimlichen. Auch bei der Arbeit, wo ich als Führungskraft agiere, war mir Offenheit wichtig. Keine Details für jede/n, aber ich wollte, dass nicht auf dem Flur „geredet“ wird, vor allem als mein Klinikaufenthalt anstand.
Was kannst du uns von deiner Zeit in stationärer Behandlung berichten?
Die sechs Wochen in der psychosomatischen Klinik waren eine sehr wertvolle und wichtige Zeit für mich. Wenn ich einfach irgendwie weiter gemacht hätte, hätte sich meine Depression verstärkt. Davon bin ich überzeugt. Ich habe mich vorher nie ausschließlich nur um mich gekümmert. In der Klinik war aber genau das meine Aufgabe. Ich wurde dabei professionell begleitet und hatte wirklich viel Glück mit meinen Therapeuten, was leider nicht selbstverständlich ist. Ich denke sehr gerne an die Zeit zurück, weil sie mir gut tat. Einige Bekanntschaften aus der Zeit gibt es sogar noch.
Hattest du zu irgendeinem Zeitpunkt Angst um deinen Job?
Nein, durch meine Offenheit war ich in gutem Kontakt und hatte eine schöne Rückkehr.
Was für eine Therapie machst Du jetzt?
Aktuell habe ich wöchentlich eine Einzelstunde bei einer Psychologin und eine Sitzung mit einer therapeutischen Gruppe - ebenfalls initiiert von ihr. Die Mischung aus beidem halte ich für ideal. Auch wenn die gesetzliche Krankenkasse nur eins von beidem übernimmt.
Sich in der Gruppe zu öffnen und sich den anderen acht Menschen anzuvertrauen, habe ich übrigens in der Klinik gelernt.
Wie hilft dir die Therapie in deinem Alltag?
Ich spreche dort persönliche Themen an, die mich bewegen und bekomme sehr klare und manchmal auch schmerzliche Rückmeldungen. Das bringt mich enorm weiter und hilft mir, den Alltag zu bewältigen. Vollkommen gesund bin ich noch nicht. Ich muss aufpassen, dass ich meine Reaktionsmuster in meinen Beziehungen verstehe und entwickle. Fühlen lerne, was ich eigentlich will und nicht nur ein bestimmtes Verhalten an den Tag lege, um anderen zu gefallen. Da gibt es noch einiges zu tun.
Inwiefern hat sich dein Verhältnis zu Arbeit, Familie, Freunde und zur Welt durch die Therapie verändert?
Ich bin mir schon viel bewusster über das, was ich will und was ich fühle. Ich kann das sprachlich ausdrücken, nehme nicht mehr alles hin und bin zufrieden und glücklich. Was will man mehr. Es war zwar ein harter Weg, aber es war der richtige.
Was hältst Du von dem Begriff psychische Gesundheit?
Ich weiß inzwischen, dass meine psychische Gesundheit die Grundlage für alles in meinem Leben ist. Wenn sie nicht gesichert ist, ist auch der Rest meiner Gesundheit gefährdet. Daher musste ich lernen, auch - und gerade - auf meine psychische Gesundheit zu achten und sie in den Vordergrund zu stellen. Das ist anstrengend und kostet Zeit, aber es lohnt sich.
Vielen Dank für das Gespräch und deine Offenheit.
*Name der Redaktion bekannt
Hilfe für Betroffene
Betroffene und Angehörige finden unter anderem Hilfe beim kostenlosen Info-Telefon Depression unter 0800/3344 533 (Mo, Di, Do: 13 bis 17 Uhr sowie Mi, Fr: 8.30 bis 12.30 Uhr) sowie online auf www.deutsche-depressionshilfe.de/rotenburg-wuemme; E-Mail: info@buendnis-row.de