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Maurice Höfgen

Mehr Arbeitslose und leerere Geldbeutel

Wirtschaftsanalyst Maurice Höfgen nimmt die aktuelle Geldpolitik kritisch unter die Lupe und zeigt die brutalen Nebenwirkungen der aktuellen Zinspolitik auf.

In seinem neuen Buch „TEUER! Die Wahrheit über Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik“ nimmt Bundestagsreferent und Wirtschaftsanalyst Maurice Höfgen die aktuelle Wirtschafts-und Geldpolitik kritisch unter die Lupe. In dem vorliegenden Vorabdruck zeigt er auf, warum höhere Zinsen kein gutes Mittel gegen die Inflation sind.

 

Große Kosten, kleiner Nutzen - das gilt auch für die Strategie, die Zentralbanken seit dem Sommer 2022 verfolgen. Die Europäische Zentralbank (EU), die Bank of England (Großbritannien) und die Federal Reserve (USA) liefern sich einen Wettlauf darum, wer die Zinsen am schnellsten anheben kann. Alle drei sind nämlich für stabile Preise zuständig. So sehen es die für die Zentralbank gemachten Gesetze vor. Die meisten Ökonomen und Politiker sind bis heute überzeugt, dass das eine gute Idee ist und die Zentralbanken also die richtigen Werkzeuge gegen die Inflation haben.

Dabei wirken die Zentralbanken seit Jahren so, als seien sie mit ihrer Aufgabe heillos überfordert, allen voran die europäische. Nach der Eurokrise rund ums Jahr 2010 versuchte sie alles, um die Wirtschaft in Gang zu bringen und die Inflationsrate auf das erklärte Ziel von 2 Prozent zu hieven. Sie senkte die Zinsen bis auf null, berechnete den Banken sogar Minuszinsen für ihre Einlagen bei der Zentralbank und kaufte Staatsanleihen in Billionenhöhe. Mit anderen Worten: Sie ging all in, sie tat alles, was in ihrer Macht stand - und scheiterte. Schließlich lag die Inflationsrate ab 2012 fast immer deutlich unter der Zielmarke von 2 Prozent. 2015, 2016 und 2020 kratzte die Rate sogar an der Nullprozentgrenze zur Deflation. Warum, dazu werden wir noch kommen.

 

Geld teuer machen

 

Heute ist die Aufgabe eine andere, ungleich schwierigere, nämlich, die Inflationsrate zu senken, statt sie zu erhöhen. Der Plan der Zentralbank ist dabei folgender: Geld „teuer machen“. Denn wenn die Zentralbank die Zinsen anhebt, müssen Banken Kredite „teurer machen“, verlangen also auch höhere Zinsen von ihren Kunden. Teurere Kredite aber erschweren Firmen, ihre geplanten Investitionen zu finanzieren. Die Anschaffung neuer Maschinen, der Bau von neuen Produktionshallen und solche Investitionen, die mit niedrigen Finanzierungskosten gerechnet wurden, müssen dann erst einmal verschoben werden. Weil sie sich nicht mehr rechnen oder zu riskant sind, wenn die Wirtschaft stottert. Eigentlich alle Investitionen, die nicht gerade unvermeidlich sind, werden somit erschwert. Und damit eben auch Investitionen in effizientere und grünere Energieversorgung, obwohl es genau die angesichts von Energie und Klimakrise dringender denn je bräuchte.

Auch der Staat muss nach Zinserhöhungen der Zentralbank mehr Zinsen zahlen, wenn er Anleihen verkauft. Das führt wegen der Schuldenbremse zu Spardruck, denn sie begrenzt, wie viel mehr der Staat ausgeben darf, als er über Steuern einnimmt. Als Folge legt die Regierung vielleicht geplante öffentliche Investitionen auf Eis oder kürzt Sozialleistungen, um Geld einzusparen und die Schuldenbremse einzuhalten.

 

Keine vernünftige Antwort

 

Ob bei den Firmen oder beim Staat - die Zentralbank will mit der Erhöhung der Zinsen bewirken, dass weniger Geld ausgegeben wird. In der Wirtschaft sorgt das nicht für Hochstimmung. Denn wenn gespart und weniger investiert wird, laufen die Geschäfte schlechter, Menschen verlieren ihren Job und ihr Einkommen, die Wirtschaft wird ausgebremst. Dieses Ausbremsen wiederum soll Firmen dazu bringen, ihre Preise zu senken, und Gewerkschaften davon abhalten, höhere Löhne zu fordern. Im Grunde wirkt das so ähnlich wie Lindners Sparplan, beides zielt darauf ab, die Nachfrage zu dämpfen, würgt aber gleichzeitig die Wirtschaft unkontrolliert ab. Auch hier stellt sich die Frage: Wie soll knappes Gas, Preistreiber Nr. 1, dadurch günstiger werden?

Darauf hat die Zentralbank keine vernünftige Antwort. Joachim Nagel, Präsident der Bundesbank, der für Deutschland im Entscheidungsgremium der Europäischen Zentralbank (EZB) sitzt, sieht das selbst ein, wenn er sagt: „Wir haben einen Energiepreisschock, an dessen Wirkung wir kurzfristig nicht viel ändern können.“ Bei der EZB hofft man derweil auf Küchenpsychologie. Wenn nur alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer der EZB zutrauen, dass die Inflationsrate mithilfe hoher Zinsen fällt, werden sie auf hohe Lohnsteigerungen und Preisanpassungen verzichten, so die Hoffnung. Mehr zu dieser Prophezeiung, die sich selbst erfüllen soll, später. Es zeigt sich jedenfalls - so viel sei schon jetzt verraten -, dass die Zentralbank mit ihrer Aufgabe überfordert ist. Sie hat lediglich den Zinshammer in ihrem Werkzeugköfferchen und nutzt ihn, um eben irgendwas gemacht zu haben. Doch der Aktionismus hat ungemütliche Nebenwirkungen. Für die Firmen, die deshalb pleitegehen; für die Malocher, die deshalb ihren Job verlieren und in (Energie-)Armut rutschen; für die Häuslebauer, die Probleme mit ihrer Anschlussfinanzierung bekommen; und für die Banken, bei denen Kredite ausfallen. Die Nebenwirkungen redet Nagel klein. Das sei eben eine „Durststrecke“, die es zu überwinden gelte. Am Ende seien stabile Preise wichtiger, ein kurzzeitiger Wirtschaftseinbruch kann in Kauf genommen werden, so Nagels Überzeugung. Am Ende droht das Szenario: Operation gelungen, Patient tot.

 

Zinspolitik gegen Lohnzuwachs

 

Am Rande: Im selben Interview, in dem Nagel zu Protokoll gibt, dass die EZB gegen den Energiepreisschock machtlos sei, aber trotzdem die Zinsen anhebe, wird er von den SZ-Journalisten gefragt, ob er zu Hause und in seinem Büro noch heize oder im Winter einen dicken Pulli tragen werde. Nagel beteuert, zu Hause sparsam zu heizen und auch im Bundesbankgebäude das Thermometer maximal auf 19 Grad zu stellen. „Ein dicker Pulli liegt bisher noch nicht in meinem Büro. Den werde ich mir aber demnächst mitbringen“, fügt er hinzu. Die Botschaft: Ich bin einer von euch. Das ist aus zwei Gründen zynisch. Erstens, weil er als Präsident der Bundesbank 484.762,78 Euro im Jahr verdient. Der Preisschock geht an ihm komplett vorbei, höhere Zahlen auf seiner Nebenkostenabrechnung müssen ihn schlicht nicht interessieren. Und zweitens, weil er dafür verantwortlich ist, dass Tausende Menschen durch die Zinserhöhungen ihren Job verlieren. „Wir werden vorübergehend sicher einen Anstieg der Arbeitslosigkeit sehen“, gesteht er selbst im Interview, als ginge es nur um Zahlen, nicht um Existenzen und Abstiegsangst. In dem Licht betrachtet ist seine Botschaft heuchlerisch - erst recht, wenn man bedenkt, dass er auf Vorschlag der Sozialdemokraten zum Präsidenten ernannt wurde.

Ohnehin ist das, was eine Zentralbank darstellt, macht und machen kann, sehr weit weg von denen, die Deutschland mit ihrer täglichen harten Arbeit am Laufen halten. Dass die Zentralbank mit höheren Zinsen für mehr Arbeitslose und weniger Lohnzuwachs sorgen will, ist den wenigsten bewusst. Selbst denen, die sich politisch interessieren, abends die Tagesschau«einschalten und beim Pendeln zur Arbeit die Nachrichten im Radio verfolgen. Aber es ist ein Problem, dass sich die Technokraten in den Streit um die Verteilung des Kuchens mächtig einmischen. Die Zinserhöhungen werden zum Nachteil derer umgesetzt, die den Preisschock mit kleinem Geldbeutel zu wuppen haben.

 

Das Buch erschien frisch am 16. März bei dtv, hat 240 Seiten und ist für 20 Euro erhältlich. Der Autor ist Ökonom im Bundestag, betreibt den Youtube-Kanal Geld für die Welt und macht das Wirtschaftsbriefing für Jung & naiv. (Der Vorabdruck wurde vom Autor genehmigt.)

 


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