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Lücke zwischen Ambition und Handeln

(jm). Von „historisch“ über „Fortschrite in Details“ bis hin zu „Betrug“ oder „Katastrophe“: Das Abschlussdokument der Klimakonferenz in Glasgow (COP26) hat sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Wir haben bei der Klimawissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Kemfert nachgefragt, wie das Ergebnis der Konferenz einzuschätzen ist.

Bild: A>DELICIOUS-PHOTOGRAPHY.DE

Prof. Dr. Kemfert, wie bewerten Sie den Ausgang der jüngsten Klimakonferenz? Wurden in Glasgow entscheidende Fortschritte gemacht?
 
Der Klimapakt von Glasgow bleibt zwar hinter den Erwartungen zurück, dennoch wurden einige Fortschritte erzielt. Es ist ein wichtiger Schritt, aber nicht ausreichend. Der wichtigste Meilenstein ist der Beginn des Ausstiegs aus der Kohle. Wenn auch einige Abschwächungen im Abschlussdokument in der letzten Minute vorgenommen wurden, so lassen doch einige ermutigende Signale einen schnelleren Kohleausstieg erwarten. Ebenso erfreulich ist die Initiative Deutschlands, durch gezielte Kooperationen für eine Energiewende den Kohleausstieg in Südafrika aber auch Indien zu begleiten. Ermutigend ist auch, dass das Klimaziel des Pariser Abkommens, die globale Erwärmung von 1,5 Grad nicht überschreiten zu lassen, weiterhin von allen Ländern unterstützt wird. Dies wird allerdings nur gelingen können, wenn nicht nur aus Kohle, sondern auch aus Öl und fossilem Gas ausgestiegen wird. Zudem wurden einige Schlupflöcher in Punkto Greenwashing durch Doppelanrechnungen von internationalen Emissionsgutschriften geschlossen.
 
Die Zielvorgabe zur Erderwärmung wurde verschärft. Im Pariser Abkommen von 2015 war die Rede davon, die Erderwärmung auf unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, nun stehen 1,5 Grad als festes Ziel in der Schlusserklärung. Wie schätzen Sie nach der Konferenz die Chance ein, dieses Ziel noch zu erreichen?

 
Derzeit steuern wir eher auf eine Erwärmung von 2,4 Grad zu. Allerdings wurden zu Beginn der Konferenz einige Ankündigungen für den Schutz der Wälder und der Senkung der Methanemissionen gemacht, die, wenn ernsthaft und rasch umgesetzt, die Erreichung des Klimaziels, unter zwei Grad zu bleiben, durchaus noch erreichbar werden lassen. Es klafft noch immer eine globale Ambitions- und Umsetzungslücke, international genauso wie in Deutschland. Alle Länder müssen nicht nur die nun vereinbarten Ziele umsetzen, sie müssen auch nachgeschärft werden. Fossile Subventionen müssen abgeschafft werden. Das Zeitfenster des Handelns wird immer kleiner.

 
„Schrittweiser Abbau“ statt „Ausstieg“: Die Formulierung zur Kohlenutzung sorgte für reichlich Gesprächsstoff. Spielen solche Details eine wichtige Rolle für die Umsetzung der Klimaziele oder handelt es sich dabei um Symbolpolitik?
 
Es ist mehr als nur Symbolpolitik, da es trotz Abschwächung zu einem Kohleausstieg kommen wird. Nicht nur weil China selbst international keine Kohlekraftwerke mehr finanzieren wird. Dies werden auch globale Finanzinstitutionen spätestens jetzt nicht mehr tun. Deutschland wird zusammen mit Südafrika ebenso den Ausstieg aus der Kohle hin zur Energiewende kooperativ begleiten. Auch mit Indien gibt es Abkommen für den Umstieg zu mehr erneuerbare Energien. Der Kohle geht somit mehr und mehr das Geld aus. Es ist der Anfang des Endes der Kohle. Es wird allerdings ein weiter Weg, dies auch für Öl und fossiles Erdgas zu erreichen.


 
Der belgische Klimawissenschaftler Joeri Rogelj hob positiv hervor, die Wissenschaft sei stärker als je zuvor in die Entscheidungen auf der Klimakonferenz eingebunden worden. Beobachten Sie einen ähnlichen Trend zu mehr Beteiligung von Expert:innen in der Klimapolitik?
 
Durchaus. Die wissenschaftlichen Studien werden ja auch immer zahlreicher. Und es liegt auch an den Wissenschaftler:innen selber, die ihre Forschungsergebnisse öfter und intensiver öffentlich vorstellen und sich zu Wort melden. Auch das haben wir Fridays for Future zu verdanken: die Parole #unitebehindthescience hat die Wissenschaft nicht nur gestärkt, sondern auch aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt.
 Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Zu den Themen Energiewende und Klimapolitik hat Kemfert mehrere Bücher verfasst.


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