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Leserbrief

Man müsse sich nicht wundern, dass der Klimaprotest radikaler wird, schreibt Arnold Neugebohrn aus Schwanewede zum Thema Lützerath.

Das Dorf Lützerath existiert nicht mehr. Nach den Abrissbaggern kommen nun die Braunkohlebagger. Lützerath ist zum Symbol geworden, heißt es. Für was? Eine gescheiterte grüne Klimapolitik?

Steine sind geflogen, wird berichtet. Und Feuerwerksartikel. Nein, nicht gut. Für radikalen Protest, zivilen Ungehorsam mit Übertretung von Regeln aber muss es Verständnis geben. Es geht um das viel beschworene 1,5-Grad-Ziel, beschlossen auf der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris. Man folgte der Wissenschaft, die sagte, bis 2040 müssen Energie, Wärme und Verkehr komplett CO2-neutral werden. Eine enorme Umstellung bereits aus damaliger Sicht. Aber, und hier ist der Begriff wirklich berechtigt, alternativlos.

Und dann kommt, ausgerechnet verantwortet von Grünen in der Regierung, jetzt eine Kehrtwende: zurück zur Kohle! Klimawandel schafft Hunger, Vertreibung, Klimawandel tötet. Heute! Nicht irgendwann in ferner Zukunft. Die Hunger-Gebiete der Sahel-Zone breiten sich immer weiter aus. In Ländern Ostafrikas wie Somalia gab es immer jährlich zwei Regenzeiten. In den letzten fünf Jahren aber nur eine einzige. Bauern, die von stattlichen Viehherden oder Ackerbau leben konnten, haben nichts mehr. Das Vieh ist verhungert, verdurstet, die Äcker verdorrt. In Pakistan sind gleichzeitig Tausende in der schlimmsten Hochwasser-Katastrophe der Geschichte gestorben. Ein Drittel des Landes unter Wasser!

Die Klima-Katastrophe ist blanke Gewalt gegen die Menschen, die dort ihre Existenz, ihre Heimat und zunehmend ihr Leben verlieren. In vielen anderen Regionen wie z. B. Südspanien schafft der Klimawandel Armut, weil ganze Regionen versteppen. Landwirtschaft? Unmöglich. Das empfinden diese Menschen als Gewalt gegen sich und ihre Nachkommen.

Nein, Steine gegen Polizisten auch in Lützerath sind nicht in Ordnung. Wenn ich mir aber die moralische Empörung auch mancher Medienleute wie NDR-Radiomoderatoren vor Augen führe, fehlt mir jedes Verständnis. Wo war deren Empörung gegen die märchenhaften Profite der großen Energiekonzerne, für die jetzt das rheinische Braunkohlerevier erweitert wird - obwohl die eben beschriebene Katastrophe damit weiter verschärft wird? Obwohl man weiß, dass damit die Klimakatastrophe im Namen des Profits weiter befeuert wird und noch mehr Menschen ins Elend gestürzt werden oder gar daran sterben?

Über alleinerziehende Mütter und Väter hierzulande habe ich noch gar nicht geredet, die die Wucherpreise für Strom und Gas nicht mehr zahlen können, denen der Strom abgestellt wird und oft damit auch die Heizung. Kinder wickeln bei Kerzenlicht? Kein warmes Wasser für Säuglinge, um sie zu baden? Den Babybrei bereiten? Im Namen des Profits: NEIN!

Herzlichen Glückwunsch, Herr Klimaschutzminister Habeck. Das haben Sie toll hingekriegt! Nichts hat das alles mit sogenannter freier Marktwirtschaft zu tun, denn die „Erneuerbaren“ sind längst die weitaus günstigeren Energieen. Man hat es aber so geregelt, dass sie den gleichen, astronomisch hohen Preis haben wie die fossilen Energieträger. Sonst? Sonst hätten die ja längst keine Chance mehr „am Markt“.

Soll sich also bitte niemand wundern, wenn grüne Parteibüros besetzt werden und wenn der Protest sehr radikale Formen annimmt. Diese meist jungen Leute sind die Hoffnung unseres Landes. Nicht aber die Krakeeler, die bei jeder Gelegenheit den „Rechtsstaat“ anrufen.

 

 

 

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